Der Insolvenzantrag von Deutschlands größtem Buchgroßhändler KNV hat bei der Belegschaft in der Hauptverwaltung in Stuttgart Bestürzung ausgelöst.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Nach dem Insolvenzantrag von Deutschlands bedeutendstem Buchgroßhändler KNV (Koch, Neff und Volckmar) ist die Unruhe am Verwaltungsstandort im Gewerbegebiet in Vaihingen groß. „Wir sind sehr verunsichert, wir hängen in der Luft“, sagt eine Mitarbeiterin in dem Bürogebäude an der Industriestraße. Dort sei am Freitag gegen 13 Uhr Insolvenzverwalter Tobias Wahl eingetroffen.

 

In Stuttgarts größtem Gewerbegebiet hat KNV noch seine Verwaltung mit etwa 500 Beschäftigten. Insgesamt hat KNV rund 1800 Mitarbeiter. Auf den Grundstücken um die neuen Büros, wo sich lange die KNV-Logistik befand, entsteht bis 2020 das Großprojekt Office 5 von Daimler für 4200 Mitarbeiter. Seit Oktober 2014 befindet sich die KNV-Logistik in Erfurt. Von dort aus werden im Geschäftsfeld Barsortiment rund 5600 Buchhandelsfilialen beliefert, 4200 in Deutschland, die anderen in der Schweiz und Österreich. Hier ist KNV Buchgroßhändler. Man habe rund 590 000 Titel von mehr als 5000 Verlagen im Bestand. Dazu kommt der zweite Bereich, die Verlagsauslieferung als Dienstleister für mehr als 250 kleinere und größere Verlage wie zum Beispiel Suhrkamp, Piper oder dtv.

Lieferant für 5600 Buchläden

Im Umzug nach Erfurt, von dem in Vaihingen 600 Mitarbeiter betroffen waren, sehen viele hier den „Kern des Problems“, so ein Beschäftigter. „Das Projekt war für die KNV-Gruppe zu groß.“ Erfurt hatte man wegen der zentralen Lage in der Republik gewählt. Aus den anfangs mit 100 Millionen Euro veranschlagten Kosten wurden „mindestens 150 Millionen Euro“.

Holpriger Start in Erfurt

Und der Start in Erfurt war mehr als holprig. Die IT, so schien es, war überfordert, es kam zu verzögerten Auslieferungen in einem Geschäft, in dem in Zeiten des Onlinehandels Schnelligkeit elementar ist. Um die Auslieferung im sogenannten „Nachtsprungverfahren“ zu sichern, musste zum Teil bis ins Jahr 2016 in Stuttgart ein Doppelbetrieb aufrecht erhalten werden. Einige Buchhandlungen und Verlage sollen sich dennoch von KNV abgewendet haben.

Die Geschäfte seien dann zwar gut gelaufen, erinnern sich Mitarbeiter, aber die Belastungen blieben. Und man habe im schwierigen Buchgeschäft auch leichte Umsatzrückgänge hinnehmen müssen. 2016 lag der Umsatz bei knapp 550 Millionen Euro, der Verlust bei 18 Millionen Euro. Dann im Januar die Nachricht: die Buchhandelskette Thalia mit 300 Filialen und die Mayerschen Buchhandlung mit 55 Filialen fusionieren. Bisher sei das Zentrallager der Mayerschen bei KNV in Erfurt, erzählt der Mitarbeiter, doch Thalia habe ein eigenes Zentrallager. Die Fusion werde bei KNV „ein Loch ins Geschäft reißen“.

Alter Standort im Graf-Eberhard-Bau

Als ein möglicher Investor abgesprungen ist, hat das 1829 in Leipzig gegründete Unternehmen, das seinen Sitz nach dem Umzug nach Stuttgart an der Eberhardstraße hatte (dafür wurde 1907 der Graf-Eberhard-Bau errichtet), beim Amtsgericht Insolvenz angemeldet. Doch Beschäftigte wie Beobachter glauben an eine Rettung. KNV sei der „Platzhirsch in Süddeutschland“, sagt etwa Martin Armbruster von der Wirtschaftsförderung der Stadt. Die Konkurrenten Libri (Hamburg) und Umbreit (Bietigheim-Bissingen) könnten den Ausfall nicht kompensieren. Wegen der existenziellen Bedeutung von KNV für den Buchhandel kann sich Armbruster nicht vorstellen, „dass man diesen großen Marktteilnehmer untergehen lässt“.

Insolvenzverwalter Tobias Wahl erklärte am Freitagabend, Ziel sei, „ das für die Branche bedeutsame Unternehmen fortzuführen und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten“. Löhne und Gehälter seien durch das Insolvenzgeld bis Ende April gesichert. Er suche weiter einen Investor.