Seit Monaten liegt das LKA verlassen wie ein Saloon in einer Geisterstadt an der B10. Wo normalerweise internationale Bands und lokale Größen spielen, schleicht Geschäftsführer Thomas Filimonova mit seiner Hündin Helga durch die Flure wie ein Schlossgespenst. Ein Besuch bei einem, dem langsam die Puste ausgeht.

Stuttgart – Als im März 2020 der Lockdown beschlossen wurde, ging es auf einmal über Tische und Bänke. Erst hieß es noch, der Lockdown beginne an einem Montag, plötzlich war schon vor dem Wochenende alles dicht. Das kam für viele unerwartet, für manche wie ein Schock; für LKA-Chef Thomas Filimonova war das eine mittelschwere Katastrophe. „Wir hatten drei ausverkaufte Konzerte an diesem Wochenende“, erinnert er sich fast ein Jahr später, als wir ihn in der verlassenen Ruhmeshalle des Rock besuchen. „Unser Lager war brechend voll mit Bier.“

 

Der Brauereipartner Dinkelacker zeigte sich erfindungsreich und leitete das Fassbier kurzerhand in den Schwabengarten um. Das Fassbier überließ man Filimonova sogar für lau. „Was glaubst du, was da bei unseren Feiern letzten Sommer los war“, grinst er. Es ist, das muss man ganz offen sagen, keine Selbstverständlichkeit, dass er überhaupt noch dazu in der Lage ist, die Mundwinkel nach oben zu ziehen.

Die Nerven liegen blank

Viel zu lachen gibt es derzeit nicht für ihn. Eher schon entspricht die Stimmung in der Live-Branche seinem Porträt für die Kulturgesichter-Aktion, das riesengroß vor dem LKA hängt: Es ist richtig ernst. Von der B10 kann man es gut erkennen, Konzertbesucher werden es erst mal nicht aus nächster Nähe zu sehen bekommen. Seit vielen Monaten steht in dem legendären Club alles still, einige weitere werden folgen. „Das ist alles sehr deprimierend“, so Filimonova, der früher die berüchtigten Nachtclubs Tao und Oz betrieb. „Die Nerven liegen blank – bei uns, den Bands, den Konzertagenturen. Einige Kollegen stehen kurz vor dem Ruin oder sind schon darüber hinaus. Wir bekommen zum Glück Unterstützung und lassen uns deswegen einen Rest Optimismus nicht nehmen.“ Dennoch: Wenn es Ende Juli nicht wieder losgehen kann mit Konzerten, wird es auch im LKA langsam heikel.

Wie damals nach dem Krieg

Eine vergleichbare Situation erlebte Filimonova erst einmal – damals, zu Beginn der Neunziger, als der Golfkrieg vorüber war. „Als die Mauer fiel und sich die Amerikaner aus Mitteleuropa zurückzogen waren wir schon mal in einer vergleichbar ernsten Situation. Auf einmal wurden 90 Prozent unseres Stammpublikums in die USA abgezogen, wo sie dann auch blieben.“ Dazu muss man wissen: Bevor das LKA als Rock-Club von internationalem Renommee bekannt wurde und Bands wie Nirvana, Rammstein, Die Ärzte, Mando Diao, Nina Hagen und Kraftklub oder Lokalmatadoren wie Die Fantastischen Vier, Farmer Boys oder Heisskalt hier ein- und ausgingen war der Schuppen einer der größten Country-Läden außerhalb der USA. Daher auch der alte Name, Longhorn, der irgendwann vor 30 Jahren zu Longhorn Kulturaustausch (LKA) wurde.

Verarscht von der Stadt

Damals half Filimonova die Öffnung der Halle hin zu einer anderen Besucherschicht. Heute kann auch er nur bangen. Und in diesem Fall ist ausnahmsweise mal nicht headbangen gemeint. „Ich fühle mich verarscht von der Stadt Stuttgart“, macht er seinem Unmut Luft. „Da setzen sie ein Projekt zur Unterstützung der Kulturstätten auf – und was muss ich da lesen: Es ist nur für Locations mit einer Kapazität zwischen 500 und 1000, alle anderen konnten nur ein Darlehen beantragen. Ich habe aber 1500! Läden in meiner Größe sind extrem wichtig für Stuttgart, weil wir davon kaum welche haben. Es wäre verheerend, wenn welche schließen müssten.“

Renovieren statt rasten

Für die Maßnahmen von Land und Bund hat Filimonova hingegen nur gute Worte übrig, für sein Team aus vier Festangestellten und 39 Aushilfen auch. Ganz allgemein ist er nach fast 40 Jahren im LKA und einigen mehr im Stuttgarter Nachtleben eh Routinier genug, um sich von einer solchen Krise nicht gänzlich den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen. Also tat er vergangenes Jahr das, was er schon sehr lange hätte tun sollen: Er renovierte, was das Zeug hält. „Viele Dinge standen schon lange an und waren mehr als überfällig“, erzählt er bei einem Rundgang. „Es war während des laufenden Betriebs aber schlicht nicht möglich.“ Auf Filimonovas Wunsch verraten wir hier nicht, was er schon alles umgesetzt hat und noch so alles plant im LKA. Er möchte die Besucher überraschen, sobald es hier wieder laut werden darf.

Es wird kälter zwischen uns

Wann das ist, weiß natürlich auch er nicht. Doch der Konzertveteran kann es kaum noch erwarten. Nicht nur um seinetwillen – auch um unser aller Seelenheil. „Mich schockiert, mit welcher Gelassenheit die Kultur übergangen, ignoriert und vergessen wird“, stellt er fest. „Laut sind im Grunde nur diejenigen, die es direkt betrifft. Alle anderen scheinen noch sehr gut darauf verzichten zu können. Aber das ist gefährlich, weil dadurch der Wert der Musik in Vergessenheit gerät. Kultur streichelt die Seele. Und das fehlt den Menschen gerade, wie man am allgemeinen Ton merkt: Die Menschen werden roher zueinander, gemeiner und kälter.“ Musik ist frei nach Kafka eben doch die Axt für das gefrorene Meer in uns. Denken wir daran, wenn wir uns demnächst wieder dreimal überlegen, zu einem Konzert zu gehen.

Wer das LKA in dieser schwierigen Zeit unterstützen möchte, kann das mit dem Kauf von Merch-Artikeln wie einem Kalender mit ausgewählten Konzertmotiven (lokal und international), Masken und Shirts tun.