Drei junge Ärzte organisieren zusätzlich zu ihrem Dienst eine Sprechstunde für Flüchtlinge. Deshalb wurden sie als Stuttgarter des Jahres geehrt.

Stuttgart - Anästhesieärzten wird gelegentlich nachgesagt, sie seien unsensibel. Drei junge Ärzte im Katharinenhospital haben dieses Vorurteil widerlegt. Zusätzlich zu einer aufreibenden 40-Stunden-Arbeitswoche haben sie mit Kollegen eine Sprechstunde für Flüchtlinge eingerichtet. Für dieses Engagement wurden Stephan Rauscher, Simon Reichenauer und Christian Menzel mit dem Ehrenpreis „Stuttgarter des Jahres“ ausgezeichnet, den die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Versicherungsgruppe ausgelobt haben.

 

Initiator des Projekts war der Jüngste in der Gruppe: Christian Menzel, Jahrgang 1980. Er ist in Pforzheim aufgewachsen, hat seinen Facharzt in Leonberg gemacht und arbeitet von Beginn an in der Interdisziplinären Notaufnahme (INA) am Katharinenhospital. In dieser Abteilung sind seit vier Jahren die internistische und die chirurgische Notambulanz zusammengefasst. Menzel kennt seine beiden Kollegen aus Studientagen in Tübingen: Stephan Rauscher, 1977 in Tübingen geboren und in Vaihingen/Enz aufgewachsen, hat seinen Facharzt im thüringischen Meiningen gemacht und ist seit zwei Jahren Oberarzt am Katharinenhospital. Der gleichaltrige Simon Reichenauer ist Berliner, in Schwäbisch Gmünd aufgewachsen und arbeitet seit 2013 in der INA. „Eigentlich sind wir ja keine Stuttgarter“, kommentieren die drei schmunzelnd, dass sie zu „Stuttgartern des Jahres“ wurden. Ihr Pate Axel Enninger, Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendmedizin im Olgahospital, war aber anderer Meinung. Für ihn sind die drei Ärzte „klassische Helden des Alltags“.

Wir waren so naiv, zu glauben, das wäre schnell erledigt

Als im August 2015 die Erstaufnahmeeinrichtungen in Stuttgart überfüllt waren und sogenannte Bedarfsorientierte Einrichtungen eröffnet wurden, kamen immer mehr Patienten in die Notaufnahme, die eigentlich dafür nicht gedacht ist. Husten, Schnupfen, Heiserkeit oder schlecht versorgte Kriegsverletzungen, das sind Probleme, die bei Hausärzten besser aufgehoben sind oder langfristig behandelt werden müssen. Da Flüchtlinge keine reguläre Versicherung haben, landeten sie in der Notaufnahme.

Aus diesem Grund beschlossen die drei Ärzte, vor Ort eine Sprechstunde einzurichten. Unterstützt wurden sie vom Roten Kreuz, von der Johanniter-Unfall-Hilfe und vom Malteser Hilfsdienst. „Christian hatte die Idee, und wir waren so naiv zu glauben, das wäre in einer Woche erledigt“, erinnert sich Stephan Rauscher. Im Laufe des Jahres wurde die Lage immer schwieriger, und so übernahmen die drei in erster Linie die Organisation mithilfe von Rundmails, Doodle-Listen und einer Whatsapp-Gruppe. So kam ein Team von etwa 20 freiwilligen Ärzten und Kinderärzten zusammen, die zunächst in der Schleyerhalle, später im Reitstadion und im Haus Martinus an der Olgastraße regelmäßig eine Sprechstunde anboten. Oft aber mussten die Helfer mitten in der Nacht raus, weil wieder neue Flüchtlinge angekommen waren, die möglichst gleich untersucht werden sollten. Damit konnte die Ansteckungsgefahr in den überfüllten Unterkünften verringert werden. Die große Herausforderung war dabei neben den Sprachproblemen die Tatsache, dass im Vorfeld nicht klar war, wann wie viele Flüchtlinge kommen würden.

Ein bisschen profitieren sie auch von den Erfahrungen

Wie schafft man das neben dem regulären Dienst? „Wir machen ja keinen Bereitschaftsdienst, sondern arbeiten in Schichten. Ich selbst arbeite nur in Teilzeit“, erläutert Christian Menzel. Gespürt hätten sie die Belastung schon, und auch die Familien der jungen Ärzte waren nicht nur glücklich über das Engagement. Inzwischen ist die Situation etwas entspannter, es hat sich Routine eingestellt. Auch finanziell und hinsichtlich des Dienstplanes werden die Ärzte mittlerweile besser entschädigt, denn auf Dauer kann diese Aufgabe nicht ehrenamtlich geleistet werden.

Vom Regierungspräsidium seien sie immer gut unterstützt worden, loben die drei Ärzte die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden. Neuerdings arbeitet Simon Reichenauer auch im Vorstand der Stuttgarter Ärzteschaft mit. „Diese engere Vernetzung zwischen Klinikärzten und niedergelassenen Ärzten, die sich ja oft als Konkurrenz sehen, ist ein schöner Nebeneffekt“, findet Christian Menzel.

Ein bisschen profitieren die freiwilligen Helfer auch von den gemachten Erfahrungen. „Krätze habe ich vorher noch nicht gesehen“, sagt Stephan Rauscher. Alle drei Ärzte sind einhellig der Meinung, sie hätten durch die Arbeit mehr Verständnis für die Situation der Flüchtlinge entwickelt. „Es macht uns dankbar zu sehen, wie gut es uns selbst geht“, sagt Christian Menzel nachdenklich. „Wir können ruhig ein bisschen abgeben.“ Das sagen Ärzte, die das Thema Flüchtlinge vor allem pragmatisch angehen und weniger aus einem Bedürfnis heraus, helfen zu wollen.

Simon Reichenauer freut sich über die Dankbarkeit seiner Schützlinge. In der täglichen Arbeit in der Notaufnahme, so sagt er, seien die Ärzte nicht selten mit einer großen Anspruchshaltung konfrontiert. In der Flüchtlingsunterkunft spüren sie bei ihren Patienten die Hoffnung, dass ihnen geholfen werden kann.