Gudrun Nitsch kümmert sich um Flüchtlinge in Vaihingen. Sie organisiert Lernpaten und veranstaltet Treffen mit Nachbarn. Für ihr Engagement ist sie mit dem Preis Stuttgarter des Jahres ausgezeichnet worden.

Stuttgart - Vor nicht allzu langer Zeit sind Gudrun Nitsch und ihr Mann zu einer Hochzeit in die Schweiz gefahren. Einige Wochen zuvor überbrachte der Bräutigam die Einladung persönlich: mit einem Blumenstrauß und einem Geschenkkorb mit Schweizer Spezialitäten.

 

Die eigentliche Geschichte beginnt viel früher: Vor mehr als zwanzig Jahren, als der Mann ein kleiner Junge war. Gudrun Nitsch hat ihm, seinen Geschwistern und seiner Mutter geholfen, die als Witwe mit fünf Kindern Anfang der 90er Jahren aus Afghanistan geflohen und in einer Unterkunft in Vaihingen gelandet ist. Der Junge hat es von der Haupt- auf die Realschule und bis aufs Gymnasium geschafft. Gern hätte er nach dem Abitur Medizin studiert, aber dafür war das Geld zu knapp. Er wurde medizinisch-technischer Assistent, ist in die Nähe von Zürich gezogen und hat sich in eine Schweizerin verliebt. Mit der Einladung wollte er Gudrun Nitsch Danke sagen. Gut möglich, sogar sehr wahrscheinlich, dass er ohne die Stuttgarterin kein Abitur und nicht diesen Weg eingeschlagen hätte.

„Ich habe ihm nur gut zugeredet und bei den Schulen für ihn vorgesprochen.“ So hört sich das an, wenn Gudrun Nitsch darüber redet. Sie macht um ihr Engagement für Flüchtlinge kein großes Aufhebens. Weil aber Anerkennung in diesem Fall angebracht ist, hat die Sozialarbeiterin Uschi Dalhäusser vom Arbeiterwohlfahrtsverband Gudrun Nitsch für die Aktion Stuttgarter des Jahres vorgeschlagen: „Unermüdlich versucht Gudrun Nitsch, die Vorbehalte in der Nachbarschaft abzubauen. das bewundere ich an ihr.“ Mit den anderen neun Preisträgern ist sie am 23. März in den Wagenhallen für ihr Engagement gewürdigt worden. Die Stuttgarter Versicherungsgruppe und die Stuttgarter Zeitung hatten einen Preis ausgelobt, der mit jeweils 3000 Euro dotiert war.

„Mich interessieren schon immer andere Kulturen“

An ihrem Esstisch in ihrer Wohnung in Vaihingen erzählt Gudrun Nitsch, wie sie 1989 den ersten Helferkreis gründete, als die Unterkunft Kupferstraße eröffnet worden ist. In dem ehemaligen Arbeiterwohnheim sind nur männliche Flüchtlinge untergebracht worden. „Die standen oft an der Haltestelle Wallgraben und als Mutter von zwei Töchtern, die damals im Teenageralter waren, war ich auch zunächst stutzig.“ Aber auch ihre Neugier war geweckt worden und sie hat die Flüchtlinge einfach mal besucht. „Ich wollte schon immer mehr über andere Kulturen wissen“, sagt die 71-Jährige, die inzwischen drei Enkeltöchter hat. Aus der Neugier ist mehr geworden: Über Jahre waren an Heiligabend Familien bei ihnen zu Hause eingeladen. Aus dem Iran, aus Russland und aus Afghanistan. „Da gab es dann eben mal was Iranisches zu essen“, erzählt Gudrun Nitsch, als ob es das Normalste der Welt wäre, an Heiligabend mehr oder weniger fremde Menschen einzuladen. Den Töchtern und deren beiden Omas habe das sehr gut gefallen.

Uwe Hück, Vorsitzender des Betriebsrats bei Porsche, hat sich als Juror für Gudrun Nitsch ausgesprochen. „Meine Frau ist 1980 aus Vietnam geflüchtet. Das Thema liegt mir sehr am Herzen. Es ist toll, wie sich Gudrun Nitsch einsetzt.“

Gemeinsam Tee trinken – auch das hilft Flüchtlingen

Auf dem Esstisch liegt ein dicker Aktenordner mit dem Etikett „Flüchtlinge Vaihingen“ – das verrät, dass sie eben doch mehr macht, als Kindern gut zuzureden. Sie organisiert Treffen des Freundeskreises, der viel größer ist als in den 90er Jahren, findet neue Lernpaten, lädt zu Treffen mit den Nachbarn ein, koordiniert Aktionen mit Schulen und Kindergärten, die etwas Gutes tun wollen, hilft Schülern bei den Hausaufgaben und sucht für diejenigen Familien eine Wohnung, die in Deutschland anerkannt worden sind. „Erst neulich haben wir für eine Familie eine Wohnung in Sillenbuch gefunden, das hat uns sehr gefreut.“

Es sind solche großen Erfolge, aber auch die Gespräche bei einer Tasse Tee, die Gudrun Nitsch antreiben. „Eine Frau hat mich von ihrem ersten Gehalt zum Essen einzuladen“, erzählt Gudrun Nitsch. „Sie hat gesagt: ,Danke, dass du mich behandelt hast, als wäre ich deine normale Nachbarin.’“

Das ist es, was ihr so wichtig ist: Den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sie würdevoll behandeln. Dazu gehört auch, nicht säckeweise gesammelte Kleider in der Unterkunft abzugeben, sondern eine Kleiderkammer einzurichten, in denen sich die Menschen etwas aussuchen dürfen. Vor vielen Jahren hat Gudrun Nitsch, die vor der Geburt ihrer Töchter als Grundschullehrerin gearbeitet hat, auch die Hausaufgabenbetreuung für benachteiligte Kinder aufgebaut.

Ein Teil des Preisgeldes fließt an eine Moschee

Mit tausend Euro des Preisgeldes will sie die Islamische Gemeinschaft Stuttgart unterstützen, die das erste Minarett in der Stadt bauen will. Mit ihrem Mann hat sie sich schon die Moschee im Industriegebiet von Wangen angeschaut.

Denn auch das ist Gudrun Nitsch: Ihr liegen nicht nur Kinder und Flüchtlinge am Herzen, sondern auch das friedliche Miteinander von Religionen.