Jutta Schüle hat vor vier Jahren ein Tanzprojekt für Kranke und Gesunde ins Leben gerufen. Deshalb hat wurde sie von einer sechsköpfigen Jury zur Stuttgarterin des Jahres gewählt.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Die erste Frage, die Jutta Schüle stellt, nachdem man ihre Wohnung betreten hat, ist: „Kann ich Ihnen etwas Gutes tun?“ Gutes tun, ist Jutta Schüles Lebensinhalt. Demografielotsin, Vertrauensfrau bei den Werkstätten für Behinderte, Mitglied im Arbeitskreis Älter werden und so weiter. Die Liste ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten, mit denen die 57-Jährige die Welt tagtäglich ein kleines bisschen besser macht, ist lang.

 

Die Plieningerin widmet sich aber vor allem einer Herzenssache. Vor vier Jahren hat sie das inklusive Projekt „Zeit zum Tanzen“ ins Leben gerufen. Menschen, die psychisch krank oder körperlich benachteiligt sind, lernen bei ihr tanzen – gemeinsam mit Menschen, die gesund sind. Sylvia Schweizer vom Gemeindepsychiatrischen Zentrum Birkach fand den Einsatz ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiterin so bewundernswert, dass sie Jutta Schüle für die Auszeichnung „Stuttgarter des Jahres“ vorgeschlagen hat. Der Preis der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Versicherung wird in diesem Jahr bereits zum dritten Mal verliehen. „Jutta Schüle ist eine über die Maßen ehrenamtlich engagierte Bürgerin und setzt sich seit vier Jahren unermüdlich für gelebte Inklusion in Stuttgart ein“, sagt die Patin.

Einfach hatte sie es als allein erziehende Mutter nicht

Jutta Schüle weiß selbst, wie es ist, wenn im Leben nicht alles glatt läuft. Aufgewachsen in einem Dorf im Fränkischen („Ich habe auch Migrationshintergrund!“), lernte sie Hauswirtschafterin, später Bürokauffrau. Die Ehe mit ihrem Mann, aus der zwei Kinder hervorgingen, hielt nur sieben Jahre. Schüle musste allein neu beginnen – in Stuttgart. „Ich hatte hier Freunde, die Betreuungssituation war besser“, erzählt sie beim Gespräch in ihrem Wohnzimmer. „Ich konnte sorglos meine Arbeit machen.“

Sorgloser zumindest. Denn einfach hatte es Jutta Schüle als allein erziehende Mutter nicht. Manchmal hat sie mehrere Jobs gleichzeitig gemacht, um Tochter und Sohn etwas bieten zu können. Hauptsächlich arbeitete sie mehr als 20 Jahre lang beim städtischen Sozialamt in der Hilfeplanung. Dort hatte sie mit armen, kranken, behinderten Menschen und Migranten zu tun. „Da hing wirklich meine Seele dran“, sagt Jutta Schüle. Deshalb machte sie eine Weiterbildung zur Sozialpädagogin.

Eine Krankheit zwang sie zum Aufhören. Erneut musste Jutta Schüle von vorn anfangen. Vielleicht hat die Wahl-Stuttgarterin deshalb so ein großes Herz für Schwache. Sie selbst sagt, sie habe schon immer ein Selbstverständnis dafür gehabt, dass alle Menschen gleich sind. „Ich gehe auf jeden neugierig zu. Ich muss mich nicht öffnen, ich bin offen.“

Die Grenze zwischen Kranken und Gesunden aufheben

Heute arbeitet sie nur noch stundenweise, widmet sich sonst ihren sozialen Projekten – und natürlich ihrem liebsten Hobby, dem Tanzen. „Das hat schon immer zu meinem Leben gehört“, sagt Schüle. Fast naheliegend war es da, dass sie die zwei liebsten Bereiche ihres Lebens miteinander verband. „Psychisch kranke Menschen nehmen am normalen Leben teil, aber nur in einem geschlossenen Umfeld“, sagt Schüle. Diese Grenze zwischen Kranken und Gesunden wollte sie aufheben. Doch wie? „Ich lasse sie tanzen“, hat sie sich gedacht.

Auf dem Parkett kommt jeder mit jedem in Berührung, die Barriere ist niedrig. Mitmachen darf und kann jeder. „Es muss nicht jeder Schritt sitzen“, sagt Schüle, die nun selbst einen Trainerschein machen möchte, um ihre Schützlinge besser anleiten zu können.

Einmal im Monat veranstaltet sie einen Abend im Tanzlokal „Melody“ in Bad Cannstatt. „Der Besitzer hat mich sofort unterstützt. Er spendet sogar immer Kuchen“, berichtet sie begeistert. Die Resonanz sei großartig. Erst 60 Menschen, dann 75, längst seien es fast 100 Teilnehmer, schwärmt die Hobbytänzerin. Überhaupt erzählt Schüle – die sogar zu Hause Highheels trägt, damit tanzt es sich einfach eleganter – immer begeistert von all ihren Aktionen. Anderen zu helfen, hat sie selbst froh gemacht.

Keinen Aufwand hat sie gescheut, um ihre Idee zu realisieren. Dabei war es anfangs nicht leicht. Kaum Verein e oder Lokale wollten mitmachen. Gestartet ist sie dann mit einem Workshop beim TSV Birkach.

Das reichte Jutta Schüle jedoch nicht. Sie recherchierte, suchte weitere Adressen, leistete Überzeugungsarbeit bei Kooperationspartnern, suchte Prominente als Werbepartner, pflegte Mailverteiler. Auf jedem Dorffest sprach sie Menschen an – ihre ehrenamtliche Arbeit ist ein Vollzeitjob. „Manchmal sitze ich noch bis nachts um drei am PC“, sagt Schüle. Noch immer macht sie alles alleine. Das Projekt ist einfach ihr Baby.

Einen kleinen Traum hat sie trotzdem noch: Auch andere Vereine und Tanzschulen sollen sich für solche inklusiven Angebote öffnen. „Dann bin ich irgendwann überflüssig“, sagt sie. Es gibt ja auch noch so viele andere, die Hilfe brauchen.