"Ich bin überzeugt, dass es noch mehr Opfer gibt, möglicherweise auch in Stuttgart", sagt Benedikt Maria Trappen. In den achtziger Jahren lebte ein junger Israeli eine Zeit lang beim Professor. Der Gast offenbarte sich einem Nahestehenden, der selbst von den Übergriffen betroffen war. Der Israeli ist später in seiner Heimat ums Leben gekommen. Der Diözese in Rottenburg liegen aus der Zeit, als der Geistliche das Bibelwerk in Stuttgart leitete, bisher keine belastenden Hinweise vor.

"Altwerden ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was Anfangen heißt", hat der jüdische Theologe Martin Buber einmal geschrieben. Vor wenigen Wochen ist der Onkel 70 Jahre alt geworden. Ein paar Tage vor seinem Geburtstag schickte er einen überraschenden Brief an seinen Neffen. "Ich sehe meine Unrechtstaten voll ein und bedauere und bereue sie sehr", heißt es in dem Geständnis. "Ich habe den nötigen Respekt vor deiner Intimsphäre und sexuellen Selbstbestimmung vermissen lassen und dir großes Unrecht getan. Ich bitte dich um Vergebung und Verzeihung und um Barmherzigkeit."

Trappen hat Wut und Verachtung hinter sich gelassen


Das Bistum in Trier hat jetzt ein psychiatrisches Gutachten über den betagten Professor in Auftrag gegeben. Nach Angaben der Diözese ist der Theologe im Ruhestand damit einverstanden. Zu Hause am Telefon gibt er sich wortkarg. "Ich möchte nicht dazu sprechen." Sein früherer Arbeitgeber in Stuttgart hat eilends eine Pressemitteilung verschickt. "Die Nachricht über den Vorwurf der sexuellen Verfehlung gegenüber Minderjährigen gegen den ehemaligen Direktor hat das Katholische Bibelwerk mit Bestürzung aufgenommen."

Benedikt Maria Trappen versucht weiter, das Unbegreifliche zu begreifen. Der 48-jährige Schulleiter vermutet, dass es noch weitere dunkle Stellen in der Biografie des Verwandten gibt, den er einst so bewundert hat. Trappen, der Wut und Verachtung inzwischen hinter sich gelassen hat, schrieb dem Onkel nach dessen Geständnis zurück: "Du weißt, dass du strafrechtlich für die Übergriffe der Jahre 1976, 1980 und 1988 nicht mehr belangt werden kannst. Auch kirchenrechtlich dürften diese Taten verjährt sein. Seele und Ethos dagegen kennen solche Fristen nicht."

Am Ende seines Briefes gibt der kleine Neffe dem großen Onkel einen letzten Rat: "Gehe in dich. Erforsche die Wahrheit deines Lebens in Zurückgezogenheit und Einsamkeit. Nutze die Zeit, die dir bleibt, um mit dir und Gott ins Reine zu kommen."