Er ist Onkel, Priester, Theologe. Doch der Onkel hat noch eine andere Seite: er missbrauchte Kinder wie seinen Neffen Benedikt.

Stuttgart - Dies ist die Geschichte von Benedikt Maria Trappen, dessen kleines Glück lange Zeit ein großer Onkel war. Der Blutsverwandte kam öfter zu Besuch. Er war ein Priester, ein geschätzter Theologe, vor allem aber ein enger Vertrauter, der das Leben eines Kindes aus den Schranken des Alltags heben konnte. Benedikt Maria Trappen aus Blieskastel im Saarland war stolz auf diesen Onkel. "Meinen Freunden erzählte ich, er sei Papst. Das stimmte zwar nicht, aber ich war überzeugt davon, dass er es irgendwann wird."

Papst ist der Onkel nicht geworden, aber Professor. Alle in der Familie schmückten sich mit dem Mann in der Soutane, der aus einfachen Verhältnissen stammte. Sein Vater war Grubenschlosser im saarländischen Hühnerfeld. Der Onkel galt als Hoffnungsträger, nicht nur in seiner Familie, sondern auch in der katholischen Kirche. Mit 36 kam der Geistliche, der 1965 zum Priester geweiht wurde und 1975 in Regensburg promovierte, zu höchsten akademischen Weihen. Als seine Habilitation 1982 erschien, gab es dazu ein zweiseitiges Geleitwort von Josef Ratzinger, welcher später tatsächlich Papst werden sollte. "Der verdienstvollen Arbeit", schrieb Ratzinger, wünsche er "viele aufmerksame Leser".

Für Benedikt Maria Trappen war der Onkel ein väterlicher Freund. "Ich durfte bei ihm, was ich wollte, vor allem rauchen, was mich in meinem Erwachsensein bestärkte." Trappen war 14 Jahre alt, als er eines Abends eine Hand auf seinem Bauch spürte. Der Onkel, der noch ein andere Seite hatte, zwängte sich zu ihm ins Bett. Er sagte: "Da ist doch nichts Schlimmes, wenn man seinem Onkel einen Gefallen tut."

Der Priester missbrauchte den Neffen bis zum Äußersten und tat danach, als wäre nichts geschehen. Dieser Tag hat das Leben des Neffen in ein Vorher und ein Nachher unterteilt. Für den Jungen war dieses Verbrechen besonders schlimm, weil es von einem nahen Verwandten begangen wurde, der ein spiritueller Leuchtturm war, und weil er mit niemand in seiner Familie darüber sprechen konnte. Den Bruder seiner Mutter zu belasten, den Priester und Vorzeigetheologen, das wäre in der Welt des Jungen ungefähr so gewesen, als würde man Gott, den Allmächtigen, selbst beleidigen.

Nach dem Abitur trat Trappen aus der Kirche aus


Der Onkel mit den zwei Gesichtern machte Karriere. 1979 wurde er Direktor des Katholischen Bibelwerks in Stuttgart und damit wichtigster Funktionär in einem 20.000 Mitglieder zählenden Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, aus dem Wort Gottes zu leben. Der Onkel wohnte anfangs in Stuttgart, später in Zizishausen bei Nürtingen. Manchmal stand er auch auf der Kanzel und predigte. Er galt als Moralist und sprach Sätze wie diesen: "Wer Arme, Witwen, Fremde, Frauen, Schwache und Kleine ausbeutet, unterdrückt, versklavt, der lädt schwere Schuld und Sünde auf sich und wird sich im Gottesgericht zu verantworten haben." Der Onkel verfasste auch kluge Texte zur Bibel und war bekannt für seine Exkurse zu theologischen Sachfragen. "Stuttgarter Kleiner Kommentar zu den Evangelien" - nicht nur bei vielen Klerikern stehen seine Schriften im Regal.