Über zwölf Jahre lang war er der Privatfriseur von Caterina Valente: Ans Aufhören denkt „der Uli“ nicht. Zum 50. Geburtstag seines Salons spricht der Meister-Figaro über seine Liebe zu Haaren, zu seinem Mann und sagt: „80 fühlt sich an wie 60!“
Leidenschaft geht nie in Rente. „Nächstes Jahr“, sagt Uli, der seinen Nachnamen für sich behält, „werde ich 80“. Die Zahl, die ihm Furcht einflößt, wiederholt er gleich mehrfach. Dann aber strahlt der Kult-Friseur schon wieder und versöhnt sich mit der Zahl. „Ach, 80 fühlt sich an wie 60“, jubelt er, „80 ist doch ein schönes Alter, das erreicht nicht jeder.“ 80 sei für einen Vollblut-Figaro noch lange kein Grund, mit der geliebten Arbeit aufzuhören.
Zweimal in der Woche fährt der Uli nach Esslingen in seinen Salon Chez Uli am Kesselwasen – für einen Acht-Stunden-Dienst mit bald 80 Jahren im Stehen. Seine vielen (vor allem weiblichen) Fans wollen „Chefhaarbehandlung“. Dankbar ist er seiner langjährigen Mitarbeiterin Lydia Schmid, auf die er sich „immer verlassen“ könne und ohne die der Salon nicht funktioniere.
Ulis Knie schmerzt bei jedem Schritt, aber bald bekommt er ein neues Gelenk. Der OP-Termin steht. Wir treffen uns in seiner Wohnung im Stuttgarter Westen, die einem Museum gleicht – so viele Erinnerungsstücke und Fotos hängen an allen Wänden, stehen auf Vitrinen und Beistelltischen. Es gibt einen sehr guten Tee aus einer goldenen Kanne.
Kennengelernt hat sich das Paar in der Schwulendisco Kings Club
Auch „der Peter“ sitzt am Tisch unweit der goldenen Teekanne. Ulis Lebenspartner – das Paar ist seit 42 Jahren zusammen – will auch nicht, dass sein Nachname in der Zeitung steht. Der Peter ist in der Kulturszene weit über Stuttgart hinaus sehr bekannt, ja ein Star – seinem Uli, den er in den 1980ern in der Schwulendisco Kings Club kennen gelernt hat, will er nicht die Schau stehlen.
50 Jahre Chef eines Friseursalons. 50 Jahre Liebe zu Haaren. Wo Haar ist, ist Freud! 50 Jahre Psychologe mit der Schere in der Hand, „ja auch Psychoanalyse“, sagt er. 50 Jahre Leidenschaft.
Der Reporter dürfe gern schreiben, sagt Uli, dass er ein „Paradiesvogel“ sei. Das sei für ihn eine Ehre. Eine Stadt brauche Originale, nicht nur Kopien.
„Zwiespältig“, sagt er, sei früher sein Verhältnis zur schwäbischen Heimat gewesen. Da war die große Liebe zur Mutter, die über Jahrzehnte nach ihrem Tod noch immer resolut aus dem zentral aufgehängten Bilderrahmen in der Wohnung ihren Sohnes zu beschützen scheint. Früher waren aber auch bohrende Blicke, die den Uli trafen, wenn er auf die Straße ging, wie er sich fühlte: geschminkt, mit viel Schmuck um Hals und Handgelenke, mit langen Gewändern und einem Gesicht, das kaum zu erkennen war, weil von Haaren zugewachsen.
Dieser Mann sah nicht nach „Schaffe, schaffe Häusle baua“ aus. Und net nach de’ Mädle schaua? Nein, dieser Kerl schaute eher nach den Jungs. Das Denken in Schubladen ist ihm zuwider. Er hat Frauen wie Männer geliebt. Jesus und seine Jünger seien auf Abendmahl-Bildern so schön, die waren bestimmt alle schwul, sagt er und lacht.
Als Caterina Valente, die er nur „Madame“ nennt, im September in der Schweiz gestorben ist, weilte der Uli mit seinem Peter gerade im Urlaub im Süden. Sein Telefon lief heiß. Der Friseur, der ein ganz enges Verhältnis zu dem Weltstar hatte, akzeptierte den Wunsch der Familie, dass seine „Madame“ im allerengsten Kreis beerdigt wurde. Sonst wäre er zur Bestattung gereist. So viele schöne Erinnerungen und Emotionen haben beide verbunden. Die bleiben in seinem Herzen tief verankert.
Über SDR-Regisseur Horst Martel hatte er die große Valente Ende der 1960er kennen gelernt. Zum ersten Mal frisierte und schminkte er sie für den Landespresseball. Sie war davon so begeistert, dass sie ihn fortan mit auf ihre Tourneen nahm.
Heute trinkt er gar keinen Alkohol mehr
Schnell wurden sie ein professionelles Team: das frühere Artistenkind aus Italien und der schwäbische Figaro. Von 1970 bis 1982 hat der Uli die Frau mit dem berühmten Lachen auf Tourneen und zu TV-Shows begleitet. Die Zeit mit ihr bewahrt er wie einen Schatz und ist für immer dankbar: „Sie ist ein wunderbarer Mensch!“
Erlernt hat der Uli den Beruf des Graveurs, er wollte eigentlich Tänzer werden. Wenn der 79-Jährige erzählt, dass seine Hüfte fürs Ballett nicht mitspielte, wie er über Umwege bei der „Madame“, dem Weltstar, landete, wie er mit zwei Flaschen Wein am Tag abstürzte, sich berappelte, dem Alkohol dann aber ganz abschwor und lernte, mit Yoga seine Balance zu finden, ja dann begreift man, was für Risiken und Nebenwirkungen ein Leben bereithält, aber wie schön es auch sein kann.
Die ersten Frauenhaare seines Lebens gehörten seiner Mutter. Die schnitt und frisierte er so toll, dass sich ihre Kundinnen – die Dame arbeitete an der Kasse eines Kaufhauses in Esslingen – nach ihrem Friseur erkundigten und ihn sofort buchen wollten. So wurde aus dem Graveur ein Coiffeur. Auch Ireen Sheer, Gitte und Wencke Myhre zählten zu seinen Kundinnen.
Seine langen, grauen Haare („gefärbt werden die nie!“) hat der Uli zu einem Knäuel verknotet. Mit seinem Lebenspartner Peter ärgert er sich über die Mode, dass viele junge Männer ihre Haare seitlich abrasieren. Die beiden schmerzt das, weil es sich dabei um Frisuren handele, die Nazis trugen: „Aber das wissen die Jungen wahrscheinlich nicht.“
Die Mutter kann stolz auf ihn sein
Am Tisch mit der goldenen Teekanne fällt der Blick immer wieder auf Ulis Mutter im Bilderrahmen an der Wand. Ihr Sohn lebt vor, dass man so sein kann, wie man ist, dass man mit Optimismus und Lebensfreude auch im Alter sehr weit kommen kann, dass es Wichtigeres gibt als Zahlen. Die Mutter kann stolz auf ihren Uli sein. Der Uli ist ein Vorbild für Diversität, für innere Freiheit, für den Stolz, anders zu sein, für die Vielfalt, von der alle profitieren. Denn ein Paradies braucht seine Vögel.