90 000 Zuschauer haben nach Angaben des Veranstalters den Stuttgarter Faschingsumzug verfolgt. Der startete wegen eines defekten Pollers verspätet. Die Gedanken waren allerdings auch bei den Menschen in Mannheim.
Oberbürgermeister Frank Nopper hatte offenbar gute Laune: Der Faschingstradition, die Machtverhältnisse ein paar Tage lang symbolisch umzukehren, begegnete er mit einer Narrenkappe. Neben seiner Gattin Gudrun Nopper, die aus einer Tüte Bonbons in die Menge warf, saß er mit karnevaleskem Kopfschmuck an zweiter Position des Stuttgarter Faschingsumzugs, der am Dienstagnachmittag durch die Stuttgarter City zog.
Die Amokfahrt in Mannheim mit zwei Toten am Montagmittag blieb gleichwohl in den Hinterköpfen der Menschen. Nach dem Anschlag in Mannheim am Montag hatte die Stadt Stuttgart gemeinsam mit den Veranstaltern und der Polizei diskutiert, den Umzug in Stuttgart abzusagen, dann aber daran festgehalten.
In anderen Städten wurde anders entschieden: Frank Noppers Amtskollege Eckart Würzner in Heidelberg hatte zur Absage des dortigen Umzuges mitgeteilt: „Unsere Nachbarstadt muss zum zweiten Mal binnen eines Jahres eine so furchtbare Gewalttat erleiden – in so einer Situation war es für uns unvorstellbar, bei uns in Heidelberg einen fröhlichen Fastnachtszug zu feiern.“
Andreas Volland, Zweiter Zunftmeister der Narrenzunft Feen und Brunnengoischter aus Plattenhardt, sagte vor der Aufstellung des aus Sicherheitsgründen verkürzten Stuttgarter Faschingsumzuges: „Innerlich trauere ich mit den Opfern mit. Aber es gibt überall Opfer. Warum soll die Fasnacht darunter leiden? Wir lassen uns die Fasnacht nicht kaputt machen.“
Catwalk statt Geisterbahn
Die Fasnacht – oder wie es in Stuttgart heißt, der Fasching – wurde in der Stuttgarter Innenstadt geschützt mit vielen Polizisten, vielen Eisengittern, quer gestellten Bussen und Pollern. Offenbar wegen eines defekten Pollers, der die Strecke versperrte, verzögerte sich der Start des Umzuges um eine halbe Stunde.
Vielleicht auch deshalb schien es in diesem Jahr bei Sonnenschein weniger Interaktion zwischen Narren und Publikum zu geben als im Vorjahr. Die Nürtinger Gruselwesen flanierten am Beginn der Tübinger Straße eher cool Catwalk-mäßig als geisterbahnhaft, eine Tanztruppe verzichtete aufs Tanzen, weil gleich zu Beginn des Zuges Löcher entstanden, da hieß es aufschließen. Gefeiert wurde auf den Werbe-Lastwagen, etwa der ILG-Außenwerbung GmbH: An der Windschutzscheibe prangte ein Schild, auf dem „Gute Laune“ steht, hinten verkündete ein Banner: „Der Kessel kocht, die Werbung wirkt.“
Von einem kochenden Kessel am Dienstagnachmittag zu sprechen, wäre übertrieben, aber viele der laut der veranstaltenden Karnevalsgesellschaft Möbelwagen 90 000 Besucher hatten Freude an dem Umzug von rund 50 Gruppen, der von der Tübinger über die Eberhardstraße über den Markt- und den Schlossplatz bis zum Schillerplatz zog.
Andere hatten mit Wurfgaben zu kämpfen: „A Mandarine kriegsch aufs Hirn!“, sagte eine Frau, die von dem von einem Wagen geworfenen Obst knapp verfehlt wurde. Und insbesondere die auf Lastwagen durch die Innenstadt ziehenden Karnevalisten machten deutlich, dass sie gewillt waren, der Weltlage zu trotzen: „Jetzt ist der Teufel los, bei uns geht’s richtig ab“, schallte es vom Wagen der Gesellschaft Zigeunerinsel.
Peitschenhexen und stoische Trommler
Als der den Marktplatz erreichte, entspannen sich zwischen dem Wagenpersonal und dem Ansager auf der Rathaustreppe Dialoge wie dieser: „Wie ist die Stimmung?“ „Die Stimmung ist hervorragend!“ Als hernach vom Wagen gerufen wurde: „Habt ihr Spaß?“ antwortete der Ansager: „Wir haben Spaß!“ Andere erledigten ihre Aufgabe so diszipliniert, wie der Stuttgarter Faschingsumzug durchgezogen wurde: Die Peitschenhexen peitschten in der Tübinger Straße und auch am Marktplatz, und die Trommler vom Portugiesischen Sport- und Kulturverein bearbeiteten ihre Instrumente mit stoischer Würde.
Wegen des Streiks der Abfallwirtschaft Stuttgart hatte die Stadt ein Fremdunternehmen beauftragt, hinterher sauber zu machen.