Beim großen Umzug zum Finale fallen kiloweise Bonbons auf die 65 000 Zuschauer – später dann auch Regen. 1800 Teilnehmer in 56 Gruppen.

Stuttgart - Was zum Teufel ist denn hier los? „Mer losse d’r Dom en Kölle“, schallt es aus unzähligen Kehlen durch das Stuttgarter Rathaus. Dazu haut Josef Stützle aus Tamm in die Tasten eines riesigen Kastens, der ein ganzes Orchester ersetzt. Und vor dem Mittleren Sitzungssaal im vierten Stock ruckelt eine Polonaise vorbei. So was schafft nur der Fasching. Zum Glück. Traditionelles Warm up vor dem großen Umzug, die Stadt hat die Narrenzünfte zum Umtrunk und Mittagssnack geladen, dazu alle Angestellten, die sich dazu lediglich ausstempeln mussten. Es gibt Linseneintopf, Landjäger, Brot, Trollinger und Riesling für den Bauch und Kostüme fürs Auge. Gut, bei einigen vorwiegend männlichen Narren markiert eine bunte Krawatte oder eine Baskenmütze die maximale Faschingsenthemmung. Bürgermeisterin Isabel Fezer hat sich aber als Gastgeberin und Frontfrau des Umzugs in tiefschwarzes Ornat geschmissen. Die Liberale kommt als Zauberin, mit spitzem Hut, Zauberstab und Krähe auf dem Arm. „Ich muss ja einen neuen Bürgermeister herzaubern“, sagt sie. Nein, Wölfle ist noch da, Föll ist weg. Trends in der Kostümierung 2019 werden sichtbar. Pappnasen sind out, Perücken und Brillen aller Art in. Die Sanitäterin mit dem Stethoskop erweist sich allerdings als echt. Draußen scheint die Sonne, also ab zum Umzug.

 

Nach dem Warm up auf die Straße

Es geht stramm auf den Start zu, als sich der Himmel verdunkelt. Aber das närrische Volk soll sich nicht so mit dem Wetter haben. Beim ersten dokumentierten Umzug 1839 lag im Städtle Schnee, glitten die Narren auf Schlitten durch die Königstraße, vorbei an verdutzten Menschen, die sich laut Chronisten „erstaunt über den Mummenschanz der Neger, Ungarn, Gaukler, Tänzerinnen und Ritter“ zeigten. Darauf ein Narri, Narro. Viele verschiedene Kostüme gibt es auch in der Neuzeit. Vor allem viel Fell, buntes Tuch und böse Fratzen, aber auch kleine Bienchen und Legionen an Würdenträgern mit schrillen Hüten und heute mutmaßlich Tennisarm vom Bonbonschmeißen. Insgesamt zogen gut 1800 Narren in 56 Gruppen über sie Strecke von der Tübingerstraße zum Karlsplatz.

Kleiner Exkurs zum Thema Bonbon: Die flogen wieder mal kiloweise, aber ganz im Ernst – warum? Die Dinger sind steinhart, wenn man sie lutscht dauert das bis Ostern. Also wird draufgebissen, was über kurz oder lang nur einem wirklich nützt - dem Zahnarzt.

Mehr als halbe Luftschlangen

Trotzdem freuen sich die 65 000 am Rand über den harten Zuckerregen, es sei denn so ein Ding trifft die Brille. Dann doch lieber eines der kleinen Popcorn-Säckchen, die auch vom Wagen fliegen. Nach einer halben Stunde kommt dann noch echter Regen dazu. Das knabbert ein wenig an der Stimmung, aber nur ein wenig. Böse Zungen nennen ja zumindest Teile der Stuttgarter in Bezug auf Lebensfreude gerne mal „Pietcong“, aber das kontern die narreten Schwaben am Straßenrand locker mit einem donnernden „Helau“. Doch, ganz im Ernst. Natürlich auch Narri, Narro aber der Faschinsgschwabe wird traditionell aushäusiger. Mit manch wundersamer Blüte. Der Fronwagen des STUTTGARTER Stadtprinzenpaars war ein BMW, andere hiesige Würdenträger rollten in einem Audi mit Brauschweiger Nummer über die Strecke.

Stuttgarts Narren geben sich also offen. Und ja, der württembergische Faschingsmensch erkundigt sich auch nicht mehr zwingend, ob man auch halbe Luftschlangen kaufen kann. Der Umzug kann es mittlerweile also pfeilgrad mit einer Beerdigung in New Orleans aufnehmen. Da gibt es gar nichts. Im Süden der USA ist allenfalls das Wetter besser. Vielleicht auch die Musik – zumindest teilweise. Textauszüge vom Umzug: „Der ganze Bus muss Pippi“, oder: „So ein Scheiß – ich bin nackt.“ Das Niveau wurde von den Guggenmusikern aber postwendend wieder angehoben. Große Leistung im stärker werdenden Regen. Wenn die Truppen mit Pauken und Trompeten kamen, ging auch ein Ruck durchs närrische Volk am Rand.

Das meist gezeigte Kostüm bei den Zuschauer war keines. Dahinter rangierten Feen, Prinzessinnen, Pfarrer und Piraten. Cowboy und Indianer sind dagegen kaum noch zu sehen. Sie werden von Klorollen oder Astro-Alex ersetzt, kein Witz. Und gechillt ist er auch, der Faschingschwob. Die Handbewegung, wenn die übers Jahr im Locher gesammelten Stanzkonfetti in den Umzug geschleudert werden, hat was gemütlich weltumspannendes. Nur keine Hektik, schließlich lassen da viele ihre Steuerbescheide regnen.

Ja und das Ende – sauber, wie es sich gehört. Nach dem letzten Faschingswagen entern sieben Männer in Orange mit langen Besen die Straßen. Die fegen Restbonbons, Konfetti, Luftschlangen und sonstiges Gedöns akkurat in die Mitte. Den Rest erledigen drei Kehrautos am Ende. Zwei der Euro 6 Diesel tragen Autonummern aus Hannover und Aachen. Man sagt es seien Testfahrzeuge. Tschä hoi.

David Rau von Stuggi.TV und Redakteur Tom Hörner berichten vom Faschingsumzug: