Er ist Teil der Popkultur, Instagram-Star und Nostalgie zugleich. Der Stuttgarter Fernsehturm, ein würdiger Anwärter aufs Weltkulturerbe, wird an diesem Samstag 66 Jahre alt. Ein Besuch beim guten alten Bekannten, den wir lieben.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Die Rechnung stammt von 1957. Da war der Fernsehturm quasi noch ein Baby, gerade mal ein Jahr alt, aber doch schon 211 Meter groß. Die Eltern von Michael Vetter haben ihr Hochzeitsessen mit bester Aussicht genossen. Ein wichtiges Dokument aus seinem Familienalbum hat er unserem Geschichtsprojekt „Stuttgart-Album“ geschickt. „Ihr Verzehr“, steht da drauf. Nah an den Wolken, dies haben unzählige Paare seitdem erhofft, lässt sich das Glück noch besser einfangen.

 

82,39 D-Mark – so viel hat das Hochzeitsessen der Vetters für vier Personen damals gekostet. Als Hauptgericht gab’s Rumpsteak. Vier Pils kosteten 4,80 D-Mark. Auch die Eintrittskarten sind aufbewahrt. Für die Fahrt im Lift zahlte ein Erwachsener 1,50 Mark.

Im Aufzug nach oben ist nur ein Gast

Seitdem haben die Preise wahre Höhensprünge gemacht. Seit Anfang des Jahres muss man 10,50 Euro hinblättern (zuvor waren es neun Euro), um in 36 Sekunden die Plattform zu erreichen. Das heutige Ticket ist zehnmal so groß wie früher. Der untere Teil wird nicht mehr abgerissen wie bei den Vetters – man muss die Pappe mit dem Turmbild selbst einscannen. Allein der QR-Code darauf ist so groß wie die früheren Eintrittskarten.

An diesem Nachmittag, kurz vor dem 66. Geburtstag des Wahrzeichens, ist wenig los. „Willkommen zur VIP-Fahrt“, sagt die Aufzugsfahrerin nach dem Einscannen. „Go“ steht an der Tür. Wieso VIP? „Das sage ich immer, wenn ich einen Gast alleine hochfahre“, antwortet sie. Sie freut sich, dass Arbeit kommt. Der größte VIP der Stadt ist der Turm selbst. Wir Stuttgarter lieben ihn. An diesem Samstag wird er 66 Jahre alt. Es gibt wohl niemanden, der 66 wird und nicht das Lied von Udo Jürgens zu hören bekommt. „Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an.“ Und: „Ich ziehe meinen Bauch ein und mach’ auf ‚heißer Typ‘, oh ho, oh ho, oh ho.“ Auf der Plattform erklingt die Hymne aller 66-Jährigen nicht. Und nirgends wird angezeigt, dass ein Geburtstag ansteht. Ein eisiger Wind peitscht. „Was? Der Turm wird 66?“, fragt ein Rentner, der mit dem Handy durchs Gitter fotografiert, als der Journalist ihn darauf anspricht. „Dann haben wir beide ja fast dasselbe Alter“, sagt er und freut sich.

Die Liebe will immer hoch hinaus

Der Mann ist 67 und Dauerkartenbesitzer, kommt oft vorbei, auch wenn’s kalt ist. Wegen Corona war der Turm zwölf Monate lang geschlossen. Jetzt hat er nur an vier Tagen in der Woche geöffnet (donnerstags und freitags von 12 bis 21.30 Uhr, samstags von 10 bis 21.30 Uhr, sonntags von 10 bis 19 Uhr). Der Fotograf würde gern zum Sonnenaufgang frühmorgens kommen, wie dies früher möglich war. Keiner weiß, wann dies wieder geht. Die Einnahmen sind drastisch eingebrochen bei der SWR Media Service GmbH, die das Wahrzeichen vom Eigentümer, dem SWR, pachtet.

Touristen bleiben aus. 2019 sind vor der Pandemie 340 000 Besucherinnen und Besucher gezählt worden. Jetzt kommt nur noch ein Viertel davon, weshalb die Betreiber die Öffnungszeiten stark eingeschränkt haben.

Händchen haltend steht ein Pärchen am Geländer. Selbst bei der Kälte ist der Fernsehturm ein romantischer Ort. Schon immer hat der Fernsehturm die Liebe angelockt. Die Liebe will immer hoch hinaus. Berührt sie uns deshalb so tief? Die pure Schönheit des Urmodells vieler Fernsehtürme überzeugt seit 66 Jahren. Als Erster seiner Art ist Fritz Leonhardts Meisterwerk ein würdiger Anwärter auf das Weltkulturerbe. Von Zeit zu Zeit müssen wir zu ihm hinauf, um unsere Stadt und das Leben besser zu verstehen. Wer in die Ferne blickt, schaut über seinen nahen Ärger hinweg. Zum 66. Geburtstag sammelt die SWR Media Service persönliche Erinnerungen. Auch in unserem Stuttgart-Album sprudeln schöne Turmgeschichten.

„Die Lichter der Stadt haben mich mehr beeindruckt als der Schwarm“

Christel Bischoff verrät: „Mein erster Schwarm, ein Koch, lud mich 1976 ins Restaurant ein. Die Lichter der Stadt haben mich mehr beeindruckt als der Schwarm als solcher.“ Viele schicken Fotos von oben. Regine Hugendubel, Nachfahrin eines Schirmhauses, etwa zeigt uns ihr Hugendubel-Familientreffen von 1967 (auch die Münchner, Gründer der Buchhandlungen, waren da).

Lieber Fernsehturm, du bist das vielleicht schönste Bauwerk der Stadt und stichst genial hervor. Du bist auf Logos zu sehen, auf Souvenirs, T-Shirts, Tassen. Du bist Teil der Popkultur, Instagram-Star und Nostalgie zugleich. Wir lieben dich! Alles Gute, Großer!