Ausstellungen, Workshops, Performances, Kurzfilme: Beim 29. Stuttgarter Filmwinter unter dem Motto „Formwandler“ dürfen die Besucher an fünf Festivalorten so viel experimentieren wie sie wollen.

Ceci n’est pas une pipe!“ – „Dies ist keine Pfeife!“ schrieb der Surrealist René Magritte 1929 frech unter seine perfekte Abbildung eines altmodischen Rauchgeräts. Nur ein alberner Scherz? Magrittes wohl bekanntestes Werk trägt den Titel „Der Verrat der Bilder“, in dem der Maler den Unterschied zwischen realem Objekt, seiner Abbildung und begrifflicher Bezeichnung zum Thema machte. Einfach gesagt: nur weil etwas so aussieht wie eine Pfeife und weil jemand sagt: „Schau mal, das ist doch eine Pfeife!“, handelt es sich längst nicht um das Objekt selbst, sondern nur um seine Repräsentation.

 

Wie trügerisch unsere Wahrnehmung der Dinge oft ist und was wir mit ihnen außerhalb gewohnter Kontexte anstellen können, führen auch verschiedene Medienkünstler während des zum 29. Mal stattfindenden Stuttgarter Filmwinters vor Augen. Unter dem Motto „Formwandler“ laden Ausstellungen, Kurzfilmprogramme, Workshops und Performances dazu ein, Objekte, Bilder, Töne, Daten, Hard- und Software ganz neu zu sehen, zu hören, zu benutzen und zu verstehen.

Für die Leiter des Festivals, Marcus Kohlbach, Giovanna Thiery und Ivonne Richter, ist die Formwandlung ein interessantes Phänomen, denn gerade heute müssen sich Menschen und ihre Werkzeuge stetig an neue Bedingungen anpassen. „Was verbirgt sich hinter Konzernfassaden? Und welche Form haben wir eigentlich noch in oft prekären Arbeitszusammenhängen?“ Solche Fragen hätten ihn während der Vorbereitung des Festivals beschäftigt, erklärt Kohlbach zum Motto. So, wie der Mensch immer wieder Hürden im Alltag überwinden müsse, ginge es auch in der Kunst darum, „Grenzen zwischen Formen und Medien auszuloten“.

Pendeln zwischen fünf Festivalorten

Das klingt nach grauer Theorie – auf dem Festival geht es jedoch konkret zu. Allerdings darf man während des Filmwinters nicht in kuschelig-engen Stadtteilgrenzen denken, denn wer möglichst viele Veranstaltungen mitnehmen möchte, muss immerhin zwischen fünf Festivalorten pendeln. Als Gastgeber öffnen das Theater Rampe, das Studio-Theater, der Kunstbezirk am Leonhardsplatz 28 sowie der Kunstraum in der Filderstraße 34 vom 14. bis zum 17. Januar ihre Türen. Die Stadtbibliothek am Mailänder Platz zeigt bereits seit Mitte Dezember Animationsfilme des Japaners Mirai Mizue, der in einer öffentlichen Führung persönlich seine Werkschau „Gaze in Wonder“ präsentieren wird (Samstag, 12 Uhr, Stadtbibliothek).

Im Rahmen des Wettbewerbs, gegliedert in die Kategorien „Kurzfilm“, „Medien im Raum“ und „Network Culture“, vergibt der Verein Wand 5 sechs Preise. Aus allein 1300 eingereichten Filmen haben es stolze siebzig Werke ins Programm geschafft. Darunter Laura Lehmus’ animierter Kurzfilm „Alienation“, der ähnlich funktioniert wie Nick Parks Oscar-gekröntes Werk „Creature Comforts“ (1989).

Während bei Park Zootiere aus Knete ihre Haltungsbedingungen reflektieren, legt Lehmus ihren mal gezeichneten, mal collagierten, mal aus Knete geformten Figuren die Aussagen von Teenagern zu deren Pubertätsproblemen in den Mund. Plötzlich klingt das, was die Heranwachsenden von sich geben, vollkommen absurd, manchmal komisch oder gar grausam, wenn zum Beispiel ein glubschäugiges, außerirdisches Tierchen mit piepsiger Mädchenstimme von seiner handfesten Auseinandersetzung auf dem Schulhof berichtet.

Kinder können sich einen „Chill Beamer“ bauen

Alles ist eine Frage der Perspektive, was extrovertierte Festivalbesucher auch selbst erproben können, etwa während der Führungen durch die Ausstellung „Expanded Media“, (Vernissage am Donnerstag, 14 Uhr, Kunstbezirk Leonhardsplatz 28), oder in Martine Neddams Workshop „MyDesktopLife“ (Samstag, 11 Uhr, ebendort), zu dem man seinen eigenen Laptop mitbringen kann. Neddam, Mitglied der Jury, stellt eine Online-Software vor, mit der man Webinhalte zu einer Erzählung kompilieren kann. Wie das genau funktioniert, probiert man am besten live mit Anleitung aus.

Auch für Kinder und Jugendliche bietet das Festival Anlässe zum Experimentieren. Zusammen mit Andreas Gogol erzeugen Filmemacher von Morgen mit alltäglichen Utensilien ungewöhnliche Geräusche und erfahren, wie Musik und Atmosphären die Wirkung von Filmbildern beeinflussen (Samstag, 11 Uhr, Theater Rampe). Einen sogenannten „Chill Beamer“ bauten junge Leute früher, um sich zu berauschen. Eltern von Kindern von zwölf Jahren an müssen aber keine Angst haben, denn die Effekte, die das pfiffige Gerät, bestehend aus einem kleinen Motor, einer mit Folie beklebten Schallplatte und mehreren Leuchtdioden, projiziert, machen nicht abhängig, sind nur schön anzusehen (Samstag, 14 Uhr, Theater Rampe).

Wer genug hat von all dem medialen Input, geht tanzen. Zum Beispiel mit den „Glitch Robots“, nicht ganz perfekt programmierten Musikrobotern, (Freitag, 23 Uhr, Theater Rampe) oder – mit Magritte – bei der Live-Cinema-Show „Ceci n’ est pas une musique“ der italienischen Gruppe „Teatrino Elettrico“, die mit merkwürdigem Instrumentarium eine eigenwillige Kunsthybridform erschafft.

Kurz: der Filmwinter ist eine prall gefüllte, multimediale Wundertüte, es geht ans Auspacken!