Am Sonntag ist der 36. Stuttgarter Filmwinter mit der Preisverleihung und einer Performance zu Ende gegangen.
Ein unbestimmter Ort in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft: In einer sterilen, pinkfarbenen Arbeitsumgebung hackt eine Frau auf die Tastatur eines vorsintflutlichen Apple-Computers ein. Der Körper der Frau steckt in unförmigen rosa Blöcken, die an hart gewordene Kaugummis erinnern, nur der Kopf, die Arme und ein Fuß liegen frei. In einem anderen Raum des Labors schmettert eine Arbeiterin pink gefärbte Tischtennisbälle mit einem ebenfalls pinkfarbenen Schläger durch ein Loch in der Wand. Vielleicht wird sie von der Frau an der Apple-Tastatur gesteuert.
Fokus auf die negativen Aspekte der Spaß- und Konsumgesellschaft
Das legt die Schnittfolge der seltsam lustigen, subtil unheimlichen Videoinstallation „Pink Slime Caesar Shift: Electropore“ von Jen Liu nahe, die bei der Abschlussgala des 36. Filmwinters am Sonntagnachmittag im Fitz ausgezeichnet worden ist. Die 1976 in New York geborene Künstlerin bearbeitet hauptsächlich Themen wie nationale Identität und Wirtschaft. „Pink Slime Caesar Shift …“ handelt von versklavten Frauen asiatischer und afrikanischer Herkunft, die ein sinnloses Spielzeug herstellen müssen.
Lius Auszeichnung mit dem Preis für „Expanded Media im Raum“ ist konsequent im Hinblick auf das diesjährige, gallig gemünzte Motto der Schau für Experimentalfilm: „Unendlicher Spaß“. Auch die anderen ausgezeichneten Arbeiten beschäftigen sich mit negativen Aspekten einer auf Spaß, Ablenkung, Konsum und Verdrängung konzentrierten Gegenwartsgesellschaft. Die mit dem Network-Culture-Preis ausgezeichnete Filmemacherin Gala Hernández López etwa setzt sich in ihrem Film „The Mechanics of Fluids“ mit einem im Internet angekündigten Suizid eines Incels auseinander; Incel ist eine Subkultur unfreiwillig alleinstehender, heterosexueller Männer, die sich online über ihren Frauenhass austauschen.
Preisträgerinnen und Preisträger zeigen Vielfalt
Den mit 2000 Euro dotierten Teamwork-Award von Ritter Sport erhält das Filmemacherduo Tin Wilke und Miguel Goya, die im Kurzfilm „Las Flores“ das Thema Arbeitsmigration beleuchten. In schmalen Smartphone-Bildausschnitten, die Wilke und Goya teils einzeln, teils als Triptychon nebeneinander montieren, schildern zwei junge Argentinier ihre Erfahrungen in einer deutschen Blumenfabrik. Der Norman-Award geht schließlich an Simon(e) Jaikiriuma Paetau, Natalia Escobar und Zamanta Enevia. Ihr Film „Aribada“ erzählt von indigenen Transfrauen in Kolumbien, sie setzen sich in teils surrealen, magisch-futuristisch anmutenden Szenen mit sexueller und kultureller Identität auseinander.
Die Preisträgerauswahl des Filmwinters in diesem Jahr zeigt zwar vielfältige künstlerische Strategien; thematisch nehmen die meist jungen Künstlerinnen und Künstler aber hauptsächlich Fragen aus dem Themenspektrum Identität und Fremdbestimmung in den Blick.
Die 40-minütige Performance des Studiengangs Figurentheater der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst unter Regie von Stephanie Rinke widmete sich zum Festivalabschluss dann der puren Freude an Ton, Licht, Bewegung: Weiße Steppdecken werden im Spiel von fünf Akteuren und Akteurinnen zu amorphen Leinwänden für abstrakte Projektionen.