Seit Jahrhunderten schon verkaufen und kaufen Menschen in Stuttgart Gebrauchtes und Benutztes. Früher aus purer Not, später aus Nostalgie, heute aus Spaß, weil man zu viel hat und für den Schutz des Klimas. Eine kleine Geschichte des Flohmarkts.

Eines gilt es zuerst zu klären: Warum um Himmels willen kaufen wir nicht auf einem Trödlermarkt ein oder einem Altwarenmarkt, wie man das einst nannte, sondern auf einem Flohmarkt? Nun, das haben wohl die Franzosen erfunden. „Marché aux puces“ – Flohmarkt – nannten sie diese Märkte. Weil die alten Klamotten damals vor Flöhen wimmelten. Von dort kam der Name Ende des 19. Jahrhunderts über den Rhein.

 

Wo kommen die Flöhe her?

Doch bereits viel früher schon wurde in Stuttgart mit Gebrauchtem gehandelt. Und wer könnte darüber besser Bescheid wissen als Ulrich Gohl, Experte für Stuttgarts Historie? Schon während des Mittelalters wurde Gebrauchtes verkauft. Nicht aus dem Überfluss heraus wie heute, sondern aus Not. „Denn üblicherweise fielen keine trödelfähigen Waren an“, schreibt Gohl in seiner Stuttgarter Flohmarkt-Geschichte, „Kleidung wurde aufgetragen, bis sie sich beim besten Willen nicht mehr flicken ließ.“ Und dann ward ihr ein Schicksal als Putzlumpen beschieden. Ein Holzlöffel wurde zum Munde geführt bis er zerbrach – und landete dann im Ofen. „Wer doch Gebrauchtes verkaufte, tat es aus Not“, sagt Gohl. „Und Not leitete auch den Kaufenden“: Gebrauchtes war bezahlbar, Neues hingegen nicht.

Für Betrüger setzte es Peitschenhiebe

Das System war genau organisiert: Es gab die „Vorkäufer“ oder „Fürkäufer“, vereidigte Altwarenhändler, deren Gewinnspanne festgelegt war und die eine Bürgschaft hinterlegen mussten, damit die Verkäufer stets ihr Geld bekamen. 1492 wurde dies abgeschafft, schrieb Karl Pfaff in seiner Stadtchronik. Und 1500 wieder eingeführt. „Weil die Nothdurft der armen Leute oft erfordert ihre Habe feil zu bieten, was mit geringerem Schaden nicht geschehen kann als durch geschworene Fürkäufer.“ 1566 hatte Stuttgart 8000 Einwohner und acht Fürkäufer, Grempler genannt. Noch 1729 schützte die Stadt diese Händler durch drakonische Vorschriften: Wer ohne Lizenz mit Altwaren handelte, wurde zehnmal ausgepeitscht.

Vom Alten Markt

Das änderte sich Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Begüterten mischten sich unter die Armen auf dem Trödelmarkt. Ein Kollege des Stuttgarter „Neuen Tagblatts“ schrieb im Mai 1910: „Die Sitte, altes Gerümpel an bestimmten Tagen in der Woche auf öffentlichen Plätzen feil zu halten, hat sich nur noch in wenigen deutschen Großstädten erhalten, somit ist Stuttgarts ‚Alter Markt‘ immerhin als eine Kuriosität zu betrachten.“ Weiter notierte er: „Man kann auf dem ‚Alten Markt‘ sowohl kaufen als verkaufen, und es ist hier alles zu haben, von der alten, abgelegten Leibwäsche, Kleider, Stiefel, Betten, Hausgeräte etc. an bis zu antiquarischen Kunstwerken und Raritäten. Gerade diese letzteren sind es, die dem ‚Alten Markt‘ die regelmäßigen Besuche der Sammler von Altertümern und dergleichen verschaffen.“

Idee aus Paris

Bis etwa 1870 hatte der Markt an der Hauptstätter Straße stattgefunden. Dann zog er auf den Leonhardsplatz um. Als dort statt der 1823 erbauten Kornhalle das Gustav-Siegle-Haus errichtet werden sollte, kam er 1910 auf den Marktplatz. „Mit seiner Verlegung“, vermutete das „Neue Tagblatt“, „wird ein typisches Bild aus dem Straßenleben Stuttgarts verschwinden.“ Weit gefehlt.

Aber es kam zu einer langen Pause. Irgendwann nach dem Ersten Weltkrieg verschwand der Trödelmarkt. Dann unternahm Jahrzehnte später Lothar Breitkreuz eine Reise nach Paris, schlenderte über die unzähligen Flohmärkte. Und weil er als Leiter des Marktamts immer die Augen offenhielt, wie man Stuttgart beleben könne, brachte er die Idee mit. Alsbald ergab sich eine Gelegenheit. Am 7. Oktober 1972 fand in Stuttgart ein verkaufsoffener Samstag statt, die Läden hatten auch nachmittags geöffnet. Gleichzeitig lud die Stadt zu einem kommunalen Trödelmarkt. 1979 wurde er auf den Sonntag verschoben. Und findet seitdem zweimal im Jahr statt, im Frühjahr und im Herbst. Am Sonntag, 18. September, wird das 50-Jahr-Jubiläum gefeiert. Doch nicht nur zweimal im Jahr wird mit Gebrauchtem gehandelt. Regelmäßig findet auf dem Karlsplatz samstags der Flohmarkt statt. Er vagabundierte zunächst durch die Stadt, seit dem 30. April 1983 ist er regelmäßig auf dem Karlsplatz. Nächstes Jahr kommt er also ins Schwabenalter, wird 40 Jahre alt. Doch das ist eine andere Geschichte.

Handeln auf dem Karlsplatz