Sie nennen sich Inscope 21, Rewi, Amar oder Trymacs: Zusammen haben sie etwa 25 Millionen Follower. Stars der deutschen Influencer-Szene feiern auf dem Frühlingsfest, erleben kreischende Fans und streamen aus Stuttgart. Was berichten sie vom Wasen?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Laut der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist Ron Bielecki mit seinen 24 Jahren der „moderne Playboy“. Als Youtuber ist der Berliner mit Partyexzessen und Provokationen so reich geworden, dass er auf der Straße schon mal eine Rolex verschenkt und diese ehrenhafte Tat filmt und postet. Die Berliner Staatsanwaltschaft schaut sich seine Streams ganz genau an und wirft ihm vor, sich mit Onlinewerbung für illegale Glücksspiele aus der Karibik strafbar gemacht zu haben. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten schickte dem Influencer, der das Protzen liebt, vor drei Monaten einen Strafbefehl in Höhe von 480 000 Euro. Rechtskräftig ist das Urteil aber noch nicht. Denn der Beschuldigte erhebt Einspruch.

 

Im Malo zeigt er, was ein Tornado aus der Flasche ist

Nun also zeigt Bielecki in Stuttgart, was ein Tornado ist. Mit Fitnessvideos fing’s bei ihm 2016 an, kaum, dass er sich wegen seiner „pummligen Figur“ gemobbt sah. Sein blitzschnelles Flaschendrehen ist heute ein Klickhit und sein Markenzeichen. Der Blondschopf, dessen Grinsen sein Gesicht nicht verlässt, als sei es eintätowiert, betritt gegenüber dem Stuttgarter Rathaus die Außenterrasse des Restaurants Malo und öffnet erst mal eine Bierflasche der teuren Marke Noam, die in einer eisgekühlten Wanne liegt und in der Welt der angeblich Schönen, in jedem Fall aber Reichen gerade der absolute Hit ist.

So schnell lässt Bielecki die Flasche kreisen, bis das Noam-Bier, wenn er es über seinen Mund hebt, wie ein Tornado rausschießt – in einem Zug trinkt der Youtuber die ganze Flasche leer. Der Tisch jubelt, etliche haben’s mit dem Smartphone festgehalten.

Die Millionäre der Klicks in Lederhose und Dirndl

Hat was von einem Klassentreffen. Malo-Wirt Lorenz Grohe hat 20 führende Influencer aus allen Teilen Deutschlands eingeladen, die sich alle untereinander von regelmäßigen Treffen gut kennen und dicke Freunde zu sein scheinen. Dabei sind unter anderen Rewi (zwei Millionen Follower bei Instagram), Trymacs (2,2 Millionen Abonnenten bei Youtube), Alexa Breit (1,2 Millionen Follower bei Instagram) oder der Stuttgarter Inscope 21 (2,7 Millionen Abonnenten bei Youtube), der das Treffen in seiner Heimatstadt samt Besuch in Tracht auf dem Stuttgarter Frühlingsfest mitorganisiert hat. Ein junges Mädchen läuft mit seinem Vater an der Malo-Terrasse vorbei und kann sein Glück nicht fassen. Unglaublich, wer da alles mit einer Flasche Noam rumsitzt! Der junge Fan bittet um ein Selfie, das Starautogramm der heutigen Zeit. Die Influencer sind bereit, der Papa drückt drauf.

An einem anderen Tisch beobachtet ein Endvierziger die Szene. „Was für uns Thomas Gottschalk und Günther Jauch waren, sind für die Jungen heute die Influencer“, sagt er, „von denen schaut ja keiner mehr Fernsehen, die sind alle bei Youtube zu Hause.“

Die Millionäre der Klicks sind fast alle in Lederhose oder in Dirndl erschienen. Wer direkt vom Bahnhof mit Reisekleidung kommt, zieht sich im Malo um oder kauft noch schnell was Passendes bei Angermaier Trachten ein paar Schritte weiter.

Schwer ist es nicht, sich über Influencer lustig zu machen – aber einer zu werden schon. Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit steht im Verzeichnis aller Berufe neuerdings Influencer-Marketing. Erklärt wird der Beruf so: „Influencer sind eine Art moderne Markenbotschafter. Sie können zum Beispiel als langfristiges Testimonial aufgebaut werden oder Inhalte erstellen, die ein Unternehmen dann für unterschiedliche Zwecke, wie beispielsweise Print- oder TV-Werbung, verwerten kann.“

Die Posts von Influencern verbreiten sich manchmal schneller als eine Influenza. Der Aufbau und die Pflege einer Community bei Instagram, Facebook oder Youtube können knallharte Arbeit sein. Obendrein sind Influencer den Vorwürfen ausgesetzt, sie würden viele Follower kaufen und keine Grenze zwischen eigener Meinung und bezahlter Schleichwerbung ziehen. Werbung machen die nach Stuttgart gereisten Influencer etwa passend zum Wasenbesuch für „Kater sein Vater“, für Pulver nach der Party.

Das Wort Suff wird zweimal gesungen

Laut Branchendienst Media.de kann ein Influencer, bei dem’s läuft, mit nur einem einzigen Posting 100 000 Euro verdienen. Nicht schlecht. Doch wie wird man Influencer? Mit enormen Ehrgeiz!

Die jungen Ehrgeizigen sind nach Stuttgart gereist. Viele waren nie zuvor auf dem Wasen. Malo-Chef Lorenz Grohe hat einen kleinen Bus gemietet, mit dem die Gruppe, nachdem sie mit Noam vorgeglüht hat, total vergnügt zum Frühlingsfest aufbricht.

Mit dabei ist Marc Eggers aus Köln, ehemals Model und Reality-TV-Teilnehmer. Heute betreibt der 36-Jährige den Youtube-Kanal „Thats M.E“ und ist bekannt für freche Straßenumfragen. Gern befragt er die Leute nach ihrem „Bodycount“, also nach der Zahl der Sexpartner im Leben bis heute. Wie sein persönlicher „Bodycount“ ist? Nein, er verrät nix, habe halt nicht mitgezählt. Was in seinem Leben zählt, verrät das Mallorca-Lied, das er geschrieben hat: „Party, Palmen und Suff Suff.“ Ganz wichtig: Das Wort Suff wird zweimal gesungen, aber bitte so laut, wie’s der Suff halt zulässt.

Die jungen Leute flippen aus

Auf dem Frühlingsfest beim Göckelesmaier gelingt es Eggers, seinen Ballermann-Song live auf der Bühne zu singen – die Kollegen Influencer kommen zum Spontanauftritt mit nach oben. Die jungen Leute im Zelt flippen aus, filmen die Youtube-Stars und bedrängen sie danach.

Da gibt’s für die Streamer also ordentlich was zu posten in ihren Storys. Stuttgart, erfährt die Welt, hat ein Frühlingsfest, das viel besser ist als das in München – schon allein, weil man hier in den Zelten rauchen dürfe. Ist der Lenz da, ist der Wasen die Nummer eins – und die Wies’n, nur im Herbst der Spitzenreiter, kann einpacken.

Als Partystadt hat Stuttgart die Influencer voll überzeugt

Wie verschieden junge Menschen doch sind! Die einen ergötzen sich am Suff, lieben das Leben, posten, wie schön das ihrige ist. Wer eine große Mehrheit der Jugend verstehen will, muss sich das reinziehen und ihre Geschäftstüchtigkeit erleben. Andere kleben sich auf die Straße, weil sie angesichts des Klimawandels Angst haben vor eine Zukunft, die es möglicherweise nicht gibt.

Nach dem Absturz auf dem Wasen lässt Lorenz Grohe die Youtube-Stars im Bustransfer in seinen Club Kiki chauffieren. Auch dort tun sie das, was sie immer tun – mit dem Handy alles einfangen. Das bringt Millionenklicks, also viel Werbung fürs Kiki, aber vor allem für Stuttgart generell.

Als Partystadt hat Stuttgart nämlich die Influencer voll überzeugt. Sie wollen wiederkommen. Wurden mal wieder ein paar Vorurteile zerstört – dank Suff Suff!