Seit Herbst 2023 gibt es die Wasenboje als Schutzraum für Frauen auf dem Volks- oder Frühlingsfest. Fühlen sich Frauen dadurch sicherer auf dem Frühlingsfest? Die Zahlen der Polizei sagen etwas anderes – aber auch das könnte mit dem Safe Space zu tun haben.
Fragt man Besucherinnen auf dem Frühlingsfest, ob sie von der Wasenboje oder der App SafeNow, beides Hilfsangebote für Frauen auf den Cannstatter Festen, gehört haben, schütteln die meisten die Köpfe. „Wir finden das aber eine super Sache“, sagen Laura und Jessica. „Wäre gut, wenn das alle Zelte hätten“, sagt Jessica. Die beiden fühlen sich dieses Mal recht sicher, sagen, sie seien aber auch mit mehreren Jungs unterwegs, „dann ist das was anderes.“
Mehr Frauen trauen sich, Anzeige zu erstatten
Beim Frühlingsfest letztes Jahr hat die Stuttgarter Polizei zwölf Anzeigen sexueller Belästigung aufgenommen, so Polizeisprecher Timo Brenner. Auf dem Cannstatter Wasen im Herbst waren es 31 Fälle, Vergewaltigungen seien beides Mal keine erfasst worden. Dieses Jahr berichtet die Polizei von 21 Anzeigen zu sexueller Belästigung. Zusätzliche stehe zwei mal der Verdacht einer Vergewaltigung im Raum. Den Anstieg erklärt man sich bei der Polizei so: „Wir gehen davon aus, dass die Wasenboje bestärkend wirkt, mehr Frauen sich dadurch trauen, Anzeige zu erstatten und so mehr Zahlen vom Dunkelfeld ins Hellfeld gebracht werden.“
„Wir haben beim Frühlingsfest bisher 140 Fälle bearbeitet“, erzählt Sozialarbeiterin Madeline Krieg von der Stuttgarter Wasenboje am Samstagabend, „vermutlich werden es bis Sonntagnacht um die 150 sein.“ Letzten Herbst gab es die Wasenboje auf dem Cannstatter Wasen zum ersten Mal. Die Wasenboje versteht sich als Safe Space für Frauen auf dem Cannstatter Frühlings- und Volksfest und ist Anlaufstelle für Frauen in Not. Damit seien es in etwa so viele Fälle wie beim Volksfest letzten Herbst.
„Die Dunkelziffer ist allerdings vermutlich um einiges höher“, sagt Jana Gunsilius, ebenfalls Sozialarbeiterin. Weil die Wasenboje alle Fälle anonym behandelt, vermutet man bei der Wasenboje, dass Frauen sich eher trauten, dorthin zu gehen als zur Polizei. „Denn die Polizei muss ermitteln, wir bei der Wasenboje hingegen nicht“, ergänzt ihre Kollegin Madeline Krieg.
Ein Viertel der Fälle wird als kritisch eingestuft
Die meisten Frauen, die die Wasenboje aufsuchen, seien junge Frauen. Etwa ein Viertel der Fälle, die die Wasenboje bearbeitet, also etwa 38, seien als kritisch einzustufen. „Darunter fallen viele verschiedene Arten von Diskriminierung, sowohl sexuelle Belästigung, Übergriffe, Verdacht auf K.o.-Tropfen, aber auch rassistische Anfeindungen“, so Krieg. Konkreter wollen die beiden nicht werden, aus Sorge, dass sich eine Betroffene in den Schilderungen wiedererkennen könnte.
Insgesamt arbeiten um die 60 Ehrenamtliche bei der Wasenboje in zwei Schichten, jeden Tag während der Festzeit. Unter den Mitarbeiterinnen sind sowohl ausgebildete Sozialarbeiterinnen wie Madeline Krieg und Jana Gunsilius als auch Auszubildende. Die Wasenboje arbeitet eng mit dem DRK und der Wasenwache, der Polizei auf dem Festgelände, zusammen. „Wenn die Frauen es wünschen oder die Einsatzkräfte es für nötig halten, holen sie uns dazu“, so Krieg. Wasenboje und Polizei sprechen von einer sehr guten Zusammenarbeit.
Abgesehen davon kommen die Frauen aber auch selbstständig zur Wasenboje: „Bei uns können sich Frauen kurz ausruhen und hinlegen, das Handy laden, oder wir helfen beim Organisieren des Heimwegs“, sagt Gunsilius. „Das Aufladen der Handys klingt jetzt etwas banal, aber dann kann man seine Freunde und Freundinnen nicht mehr erreichen und weiß unter Umständen nicht, wie man nach Hause kommen soll“, ergänzt Krieg.
Grandls-Festwirt: „Wäre schön, wenn mehr Orte Safe Now Zone werden“
Die Wasenboje kooperiert auch mit dem Grandls-Zelt und Festwirt Marcel Benz, der beim Frühlingsfest erstmals die App Safe Now getestet hat. „Die Sicherheitsleute im Grandls kontaktieren bei Bedarf die Mitarbeiterinnen der Wasenboje“, erklärt Sebastian Bürkle. Bürkle arbeitet in der Stabstelle für kommunale Kriminalprävention, die Wasenboje ist ein gemeinsames Projekt der Kommunalen Kriminalprävention und der Abteilung für Chancengleichheit der Landeshauptstadt Stuttgart. Bürkle bezeichnet die Nutzung der App als einen „guten Anfang“, man stehe dem „sehr positiv gegenüber.“
Festzeltwirt Benz sagt auf Nachfrage, dass noch keine Zahlen vorliegen, wie oft die App in seinem Zelt angeschlagen hat und seine Sicherheitskräfte einschreiten mussten. Man habe aber durchweg positives Feedback bekommen, nur müsse man die App noch bekannter machen. Beim Cannstatter Wasen soll die App im Grandls jedenfalls wieder zum Einsatz kommen. „Wir sehen das erst als Anfang und wünschen uns, dass noch viel mehr Gastronomiebetriebe und Veranstaltungsstätten zur „Safe Now Zone“ werden“, sagt Benz.
Positive Resonanz gerade auch von Eltern
Das Feedback, das die Mitarbeiterinnen von der Wasenboje bekommen, sei überwiegend positiv. „Wir hören von vielen, dass die Wasenboje gut ankommt und dass sie sich dadurch sicherer fühlen“, so Krieg. Gerade Mütter oder Väter freuten sich besonders, dass es so etwas für ihre Töchter gebe. „Oder dass zum Beispiel Frauen die Wasenboje als Treffpunkt ausmachen, falls sie sich unterwegs verlieren.“ Natürlich gebe es auch den einen oder anderen Kommentar von Männern, die fragen, wieso es das brauche und weshalb es das nicht für Männer gebe.
Fragt man auf dem Frühlingsfest nach, ob sich Frauen dort sicher fühlen, bekommt man unterschiedliche Antworten. Manche sagen, sie fühlten sich sicher, andere sind froh über männliche Begleitungen. Wieder andere sagen, heute sei noch nichts passiert, andere berichten von Händen, die nicht dort blieben, wo sie hingehörten.
Jana Gunsilius resümiert: „Es ist schade, dass es die Notwendigkeit für uns als Wasenboje gibt, aber es ist gut, dass es sie gibt.“ Und deshalb wird es die Wasenboje auch beim diesjährigen Cannstatter Volksfest wieder geben. Zur Europameisterschaft wird es als Pendant dazu die Fanboje auf dem Karlsplatz geben. Die sei für alle Personengruppen offen, die in Not sind oder Diskriminierung erfahren.