Von Tickets, die ungenutzt bleiben, und gekündigtenVIP-Logen: die Mercedes-Benz-Arena als Krisen-Indikator. Eine Analyse von Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Das Auswärtsspiel an diesem Freitag bei Werder Bremen kommt dem VfB gerade gar nicht so ungelegen. Schließlich werden die Folgen der Stuttgarter Krise nach 22 Bundesliga-Spielen mit 15 Punkten, Tabellenplatz 16, 50 Gegentoren, einem Trainer- und einem Sportvorstandswechsel in der Mercedes-Benz-Arena besonders deutlich sichtbar.

 

Die Mannschaft ist gerade dabei, das Stadion leer zu spielen. Die 1:3-Niederlage gegen Leipzig sahen nach Clubangaben 46 062 Besucher. Doch die Reihen präsentierten sich doch etwas löchriger besetzt, als es die offizielle Zuschauerzahl vermuten lässt. Diese Diskrepanz lässt sich erklären. Bei Weitem nicht mehr alle der insgesamt 30 000 Stuttgarter Dauerkartenbesitzer besuchen derzeit die VfB-Heimspiele, werden aber trotzdem allesamt als anwesend gezählt. Die nicht erschienenen Ticketbesitzer werden als sogenannte No-Shows bezeichnet. Diese Besuchsverweigerer können aber auch erfasst werden. Zuletzt lag die No-Show-Rate bei rund zehn Prozent, Tendenz steigend. Normalerweise lassen in Stuttgart höchstens fünf Prozent ihre Karten verfallen. Schließlich stehen Schwaben im Ruf, alles, was schon bezahlt ist, auch intensiv zu nutzen. Doch diese Regel setzt der VfB zurzeit außer Kraft.

Die Luxus-Bereiche als Problemzone

Das macht den VfB-Verantwortlichen vor allem mit Blick auf die Zukunft Sorgen, auch wenn der offizielle Zuschauerschnitt in dieser Saison noch bei 53 000 liegt und Platz vier hinter Dortmund, Bayern und Schalke bedeutet. Auch im VIP-Bereich macht sich die VfB-Krise bemerkbar. Von den Mietern der 63 Logen in der Mercedes-Benz-Arena haben einige ihre Verträge gekündigt, andere haben sie für die nächste Saison noch nicht verlängert. Deshalb muss Marketingvorstand Jochen Röttgermann bei Heimspielen gerade die Luxusbereiche des Stadions abklappern, um die zahlungskräftigen Kunden über die Saison hinaus zum Bleiben zu bewegen. Keine einfache Aufgabe in diesen fußballerisch mageren VfB-Zeiten, zumal neue Interessenten für die pro Saison zwischen 50 000 und 180 000 Euro teuren Logen gerade nicht Schlange stehen. Dasselbe gilt für die etwa 2500 Business-Seats im Stadion. „Die aktuelle sportliche Situation ist dem Geschäft natürlich alles andere als zuträglich“, sagt ein VfB-Sprecher. „Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass wir von einem sehr hohen Level mit einer sehr hohen Auslastung kommen.“

Der Abwärtstrend setzt auch Wolfgang Dietrich zu, was ebenfalls im Stadion abzulesen ist. Neben den Transparenten mit der Aufschrift „Spalter“ sind nun auch immer deutlicher die „Dietrich raus“-Rufe zu hören. Das wiederum ruft beim Präsidenten eher eine Trotzreaktion hervor. Ein Rücktritt kommt für den 70-Jährigen auch im Abstiegsfall nicht infrage – auch wenn er von vielen Fans nach der Entlassung von Sportvorstand Michael Reschke als Hauptverantwortlicher der Misere gesehen wird. Dietrichs Vertrauensmann Reschke lag vor und während dieser Saison mit seiner Personalpolitik ziemlich daneben.

Zu den Folgen der Stuttgarter Krise gehört dann auch das möglicherweise in den Sand gesetzte Kapital. Für Pablo Maffeo beispielsweise hat der VfB zehn Millionen Euro an Manchester City überwiesen. Nach bescheidenden Auftritten des Spaniers und der öffentlichen „Fehlgriff“-Einschätzung des Präsidenten dürfte sein Marktwert rapide gesunken sein. Ein Kursgewinn ließe sich derzeit genauso wenig mit dem für sechs Millionen Euro verpflichten Kroaten Borna Sosa erzielen oder mit dem fünf Millionen Euro teuren Gonzalo Castro, die dazu allesamt mit gut dotieren Verträgen ausgestattet sind.

Und geschätzte vier Millionen Euro soll Holger Badstuber jetzt jährlich durch den im Sommer geschlossenen neuen Vertrag erhalten. Der 29-Jährige spielt in den Planungen von Trainer Markus Weinzierl derzeit aber keine Rolle und saß zuletzt immer nur auf der Bank.

Die hohen Kosten und der im Moment geringe sportliche Gegenwert könnten auch das Verhältnis zwischen dem VfB und Daimler belasten. Der große Nachbar hat sich 11,75 Prozent der Anteile der VfB AG für 41,5 Millionen Euro gekauft. Rendite gibt es dafür nicht. Und mehr Autos, so hat es jedenfalls der nächste Daimler-Chef Ola Källenius schon einmal gesagt, werden durch den Fußball auch nicht verkauft. Trotzdem hofft man in der Chefetage des Autokonzerns auf bessere VfB-Zeiten. Andernfalls könnte das Fußballengagement von Daimler bei der nächsten Aktionärsversammlung kritisch hinterfragt werden.