Ende des Tagescafés Apotheke Stuttgarter Gastronom rechnet ab

Apotheke geschlossen: Eigentlich müsste ihm das Lachen vergangen sein, aber Lutz Metzger denkt positiv. Foto: Lichtgut//Leif Piechowski

Lutz Metzger stellt knallharte Rechnungen auf: Ein Cappuccino müsste fünf Euro kosten, damit Gastronomen noch Gewinn machen können. Sein Tagescafé Apotheke hat er aufgegeben. Droht jetzt eine Schließungswelle in der Gastronomie?

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Corona war für Lutz Metzger rein geschäftlich betrachtet das kleinere Übel. „Die echten Schwierigkeiten begannen danach“, sagt der Stuttgarter Gastronom. An der Scheibe seines Tagescafés am Stuttgarter Eugensplatz hängt seit Ende Februar ein Hinweis: „Die Apotheke sagt leise Goodbye!“ Nach sechs Jahren gab er aus wirtschaftlichen Gründen den Betrieb auf. Es ist kein Einzelfall, denn diesen Winter verschwanden mindestens ein halbes Dutzend Lokale aus dem Stadtbild.

 

Der Deutsche Hotel- und Gaststätten-Verband rechnet auch mit einem weiteren Rückgang der Betriebe. „Die Kosten steigen, aber nicht die Umsätze“, bringt der Stuttgarter Verbandssprecher Daniel Ohl die Lage der Branche auf den Punkt.

Ein halbes Dutzend Lokale hat geschlossen

Leise Goodbye sagte auch das Organic Kitchen in der Calwer Straße. Kürzlich saßen noch Gäste in dem Bio-Restaurant, mittlerweile sind die Scheiben zugeklebt. Amina Gauß hatte sich mit der Eröffnung im Mai 2020 einen Traum erfüllt, nun ist sie praktisch von der Bildfläche verschwunden. Die Gründe für die Aufgabe lassen sich deshalb wie in vielen Fällen nicht herausfinden. Ein paar Häuser weiter existiert die Masseria nicht mehr, die Caroline und Jérôme de Sadeleer ebenfalls erst in der Pandemie eröffneten. Das Earl Eberhard aus demselben Jahr ist gleichermaßen wieder Geschichte, obwohl das Vorgängercafé Graf Eberhard 28 Jahre lang im Geschäft war. Die im Herbst 2020 gestartete Hähnchenbraterei Gockler in Botnang hat die Krisen ebenso wenig überlebt, im Westen wurde das langjährige Restaurant Bella Italia von Nachfolger Misik abgelöst.

Für Lutz Metzger war die Pandemie eine spannende Phase. Seine Apotheke hatte er durchgehend geöffnet, und die Unterstützung der Gäste war groß. Nur hinterher blieben sie plötzlich weg. Arbeitnehmer waren seine wichtigste Kundengruppe – morgens zum Frühstück, mittags zum Lunch und zum Feierabendbier. Das Homeoffice bescherte ihm einen Umsatzrückgang von 75 Prozent. Er verkleinerte sein Team um vier Fünftel auf vier bis fünf Mitarbeiter, glich viel durch Eigenleistung aus. „Wenn es selbst auf dieser Basis nicht funktioniert, muss man die Konsequenzen ziehen“, sagt der 51-Jährige.

Im Nachhinein lässt sich das Aus der Apotheke sogar berechnen. Zu der Gleichung gehören: drei Anhebungen des Mindestlohns seit ihrer Eröffnung vor sechs Jahren und eine Verteuerung des Wareneinsatzes um 30 Prozent. Zu Beginn verlangte er 2,90 Euro für den Cappuccino, am Ende waren es 3,10 Euro. Tatsächlich hätte eine Tasse fünf Euro kosten müssen, um rentabel zu sein, hat er kalkuliert. In München oder Venedig seien solche Preise vielleicht denkbar, in Stuttgart gäbe es dafür keine Toleranz, weiß Lutz Metzger. Die Schmerzgrenze der Gäste habe sich verändert: Großverdiener gibt es nach wie vor, „allen anderen tut ein Mittagessen für 15 Euro weh“, ist seine Beobachtung. In einer Gruppe bestellten kürzlich zum Mittagessen von sieben Leuten alle das günstigste Gericht und sechs kein Getränk. Dabei macht der Gastronom mit der Flasche Limonade den anteilsmäßig größten Umsatz. Für eine Suppe seien 7,50 Euro die Schmerzgrenze, obwohl sie frisch gekocht und vier Scheiben Brot dazu serviert werden. „Wenn die Leute es für zu teuer halten, wird diese Art von Gastronomie aussterben“, sagt er. Denn geringe Gewinnspannen könnten nur über Masse ausgeglichen werden.

Ein Minus von 20 Prozent in der Gastronomie

Mit dem Gedanken aufzugeben, beschäftigen sich in Stuttgart wohl einige Gastronomen. Aber der Dehoga kann keine Zahlen liefern. Auch die Statistik für 2021 liegt noch nicht vor. Der Stuttgarter Geschäftsführer Jochen Alber rechnet mit einem Minus von rund 20 Prozent seit 2020, knapp zwölf Prozent davon entfallen alleine auf das erste Corona-Jahr. Damals kam es in Stuttgart zu rund 160 Geschäftsaufgaben in der Gastronomie. Laut einer Zählung vom Juni bestehen noch 1370 Gaststätten in der Landeshauptstadt. „Bei einer Steuererhöhung käme es zu Massenschließungen“, ist er jedoch überzeugt. Der Steuersatz für Speisen müsse bei den im Lockdown eingeführten sieben Prozent bleiben. Sollte der Eindruck aufkommen, dass es der Branche gut gehe, weil die Lokale voll seien, hat er dafür eine Erklärung: die Angebotsverknappung. „Im Moment haben die Gastronomen weniger Probleme mit dem Umsatz wie mit dem Ertrag“, bestätigt Dehoga-Sprecher Daniel Ohl.

Für die Apotheke lag das Problem am Standort

Die Apotheke hält Lutz Metzger trotzdem nicht für einen exemplarischen Fall. „Die echten Probleme entstanden aufgrund des Standorts“, sagt er, „der Eugensplatz ist Fluch und Segen zugleich.“ Vor allem Büros, wenige Anwohner, kein Einzelhandel seien der Grund für die geringe Frequenz an dem beliebten Aussichtspunkt. Im Stuttgarter Westen seien die Bedingungen für die Gastronomie ganz andere, nennt er als Vergleich. Weil ihm der Eugensplatz am Herzen liegt, hofft er, dass die Apotheke weiterhin bespielt wird. Angesichts der „hohen Drehzahl in der Branche“, wie es Daniel Ohl nennt, finden sich für die Leerstände in den meisten Fällen schnell wieder Nachfolger. Im Westen wird statt italienischer zum Beispiel nun koreanische Küche serviert, für die Lokale auf der Calwer Straße gibt es längst neue Pläne.

Lutz Metzger beabsichtigt „Stand heute“ nicht, ein neues Lokal zu eröffnen, obwohl er mit der Suite an der Theodor-Heuss-Straße und dem Jazzclub Bix viele Erfolge eingesammelt hat. „Meine gastronomische Leidenschaft ist verbrannt“, sagt der 51-Jährige.

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