Stuttgarter Grünen-Sprecher Andreas Winter „Wir sind nicht die Fußtruppe von OB Kuhn“

Andreas Winter (links) ist Sprecher der stärksten Fraktion im Rat. Hier im Gespräch mit den Redakteuren Thomas Braun und Josef Schunder. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Mit 16 Mandaten stellen die Grünen künftig die stärkste Fraktion im Stuttgarter Rathaus. Ihr Fraktionssprecher Andreas Winter will den Einfluss nutzen, um vor allem beim Klimaschutz und der Verkehrswende Druck zu machen.

Stuttgart - Die Grünen sind seit der Kommunalwahl im Mai wieder stärkste Fraktion im Rat. Ihr Fraktionssprecher Andreas Winter skizziert, wie sie diese Ausgangslage nutzen wollen.

 

Herr Winter, womit haben die Grünen den Erfolg bei der Kommunalwahl verdient?

Ich denke, wir haben in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet. Hinzu kommt sicher, dass das Klima-Thema jetzt nach oben geschossen ist, nicht zuletzt auch durch die Fridays-for-Future-Bewegung. Ich denke, wir Grüne können dieses Thema authentisch vertreten. Klimaschutz gehört zu unserer DNA, zu unseren Gründungsmotiven.

War Ihr fulminanter Wahlsieg nicht in erster Linie das Resultat der Schwäche Ihrer politischen Konkurrenz?

Erst einmal spreche ich von unseren eigenen Stärken. Vor zehn Jahren hatten wir das gleiche Ergebnis und wurden stärkste Fraktion. Vor fünf Jahren haben wir dann etwas eingebüßt und dieses Jahr wieder zugelegt. Wir haben gezeigt, dass wir Stuttgart verstehen und auch können.

Aber wo ist das eigenständige Profil, das den Wahlsieg erklären würde? Zumindest in der letzten Wahlperiode waren die Grünen doch vor allem Claqueure für die Ideen des grünen Oberbürgermeisters.

Wir sind vor fünf Jahren mit ganz klaren Zielen angetreten. Wir haben schon den Klimaschutz auf unsere Fahnen geschrieben, als das in der Stadt noch kein großes Thema war. Wir haben beim Thema Verkehrswende, dem Ausbau des ÖPNV und des Radverkehrs Profil gezeigt. Und wir haben bewiesen, dass wir die Stadt finanziell gestalten können. Mit anderen Worten: Wir haben uns durchaus Profil erarbeitet. Selbstverständlich hat der OB unsere Parteifarbe, und dass es da thematisch eine breite Übereinstimmung gibt, kann ja gar nicht anders sein. Aber wir sind kein OB-Wahlverein oder Kuhns Fußtruppe.

Gerade beim Klimaschutz sind Ihre Meriten doch überschaubar. Warum sind nicht längst alle städtischen Dächer mit Fotovoltaikanlagen bestückt?

Wir sind da alle sehr ungeduldig und hätten das alles gerne schneller gehabt. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass es vorbereitende Untersuchungen der Dächer geben muss, um statische Probleme bei älteren Gebäuden auszuschließen.

Aber gerade die Fridays-for-Future-Bewegung mahnt, man müsse schneller auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren. Muss da nicht mehr Drive rein?

Klar, wir müssen jetzt handeln. Wir haben vor einem Jahr vorgeschlagen, 55 Millionen Euro aus dem Jahresabschluss 2017 für ein Klimaschutzpaket in die Hand zu nehmen und sind überstimmt worden. Jetzt haben wir ein Klimaschutzpaket für 200 Millionen Euro auf den Weg gebracht.

Und was ist mit der schleppend verlaufenden Wärmewende? Die SPD beklagt, das gehe alles viel zu langsam.

Die SPD versteht sich zunehmend als Opposition im Rathaus und beklagt natürlich aus dieser Position heraus, dass alles zu langsam gehe. Selbstverständlich müssen wir schneller vorwärtskommen und jetzt die neuen Mehrheiten im Rat nutzen.

Bei der Verkehrswende wollen Sie ebenfalls mehr Druck machen. Der Umgestaltung der B 14 sollen bis zu fünfzig Prozent der Flächen für den Autoverkehr zum Opfer fallen. Sind da nicht Staus programmiert?

In anderen Städten gibt es genügend Beispiele dafür, dass der Rückbau von Straßenraum auch zu einem Verkehrsrückgang führt. Das kann aber nicht das alleinige Instrument sein. Der ÖPNV muss ausgebaut werden, der mit einem deutlich geringeren Platzbedarf viele sonst Autofahrende effizient von A nach B bringen kann. Wir wollen die autogerechte Stadtplanung überwinden, und die B 14 ist dafür eines der schlimmsten Beispiele.

Sie setzen doch mit dieser angebotsorientierten Politik auf das Prinzip Hoffnung. Eine echte Verkehrsreduzierung lässt sich aber wohl nur mit Beschränkungen durchsetzen. Warum setzen sich die Grünen nicht für eine City-Maut ein?

Wir wollen keine City-Maut, sondern eine Nahverkehrsabgabe. Das bedeutet eine solidarische Finanzierung des ÖPNV-Ausbaus durch alle Verkehrsteilnehmer . . .

Das juckt doch den Autofahrer, der sich das leisten kann, überhaupt nicht. Der fährt trotzdem.

Das wäre aber auch bei der City-Maut der Fall. Wir sind bei der Ausgestaltung ja auch noch nicht so weit. Da gibt es verschiedene Modelle. Bei der Nahverkehrsabgabe gibt es aber im Gegensatz zur City-Maut etwas oben drauf, nämlich ein ÖPNV-Ticket.

Der ÖPNV-Ausbau dauert. Die Zielvorgabe des OB von minus 20 Prozent Autoverkehr im Kessel muss schon wegen der Luftbelastung viel schneller erreicht werden. Braucht es nicht eine konsequente Drosselung, etwa durch Pförtnerampeln?

An einigen Stellen muss man den Zufluss sicher reduzieren. Aber ich denke, die Nahverkehrsabgabe ist wesentlich wirksamer, wir müssen das Modell den Leuten nur gut erklären. Zudem haben wir das Parkplatzangebot in der City reduziert, die Parkgebühren erhöht, das Parkraummanagement eingeführt, und wir wollen die Innenstadt autofrei gestalten. Das sind Instrumente zur Dosierung des Verkehrs.

Im neuen Rat gibt es rechnerisch eine satte ökosoziale Mehrheit. Wie sicher sind Sie denn, dass Ihnen die SPD oder das Linkskonglomerat nicht wieder von der Fahne gehen, wenn es darauf ankommt?

Da sollte man sich nie sicher sein. Wir wollen mit guten Konzepten um breite Mehrheiten werben. Und im alten Rat haben wir mit dieser Mehrheit viele gute Zielbeschlüsse auf den Weg gebracht.

Aber die geschrumpfte SPD ist wieder das Zünglein an der Waage. Gehen Sie diesmal im Vorfeld stärker auf die Wünsche der Genossen ein?

Wie gesagt: Ich bemühe mich um breite Mehrheiten. Und ich spreche mit allen Fraktionen außer der AfD. Im Zweifel ist es mir aber wichtiger, eine Mehrheit für eine gute Lösung zu erreichen als zu viele faule Kompromisse einzugehen.

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