Im Stuttgarter Rathaus wird eine Festveranstaltung für den 100 Jahre alten Hauptbahnhof zelebriert. Nicht von der Stadt, sondern von einem privaten Festkomitee, das S21 mehrheitlich sehr kritisch gegenübersteht.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof wird 100 Jahre alt, aber niemand hat Lust, so richtig zu feiern. Zum 50. gab es einen großen Jubiläumsfestakt in der Bahnhofshalle, sogar der 65. wurde mit Festschrift und mehr gefeiert. Aber der 100.? Weil weder von Stadt, Land, Bund oder Bahn irgendeine Initiative für ein Jubiläumsfest ausging, hat sich ein privates Festkomitee von Eisenbahnfreunden zusammengefunden und für das Wochenende ein umfangreiches Programm mit historischen Sonderzügen und einigem mehr organisiert. Und es gab jetzt eine Festveranstaltung im ziemlich voll besetzten Großen Sitzungssaal des Rathauses. Dazu eingeladen hatten eben jenes Festkomitee und Die FrAKTION aus Linke, SÖS, Piraten und Tierschutz. Der Initiator des Komitees, Hans-Jörg Jäkel, hatte zwar im Vorfeld betont, dass man sich an diesem Abend im Rathaus jeder Kritik an Stuttgart 21 enthalten wolle. Die klang - neben Trauer um den „amputierten” Bahnhof - trotzdem deutlich durch.

 

Es war in der Nacht von 22. auf 23. Oktober 1922, als der erste Bauteil des Stuttgarter Hauptbahnhofs, genauer die Gleise 9 bis 16, in Betrieb genommen wurden. Die Bauteilung war notwendig, weil erst dann die Gleise zum bisherigen Hauptbahnhof an der heutigen Bolzstraße entfernt und der zweite Bauteil begonnen werden konnte. Vorausgegangen war eine zwölf Jahre währende Planungs-, Entscheidungs- und Bauzeit.

Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer gewannen Ausschreibung

Im Jahr 1910 hatten die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen - abgekürzt: KWStE - einen Architektenwettbewerb für einen neuen Bahnhof ausgeschrieben. Das Büro von Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer gewann. Der Siegerentwurf sah allerdings ganz anders aus als das, was dann schon ab 1914 tatsächlich gebaut wurde - sozusagen eine historische Parallele zu heutigen Bauprojekten. Ursprünglich hatten Bonatz und Scholer einen dem Historismus - vereinfacht: Jugendstil - angelehnten Bahnhof mit mittig stehendem Turm geplant. Das ging aber so nicht wirklich gut, weil es die Königstraße schon gab und das alles nicht so richtig zusammenpassen wollte. Deswegen steht der Turm jetzt da, wo er steht, in der Verlängerung der Königstraße.

Norbert Bongartz, Oberkonservator im Ruhestand, erläuterte im Rathaussaal, wie aus dem Jugendstil-Bahnhof dann das wurde, was zur damaligen Zeit europaweit beachtet worden war und seinen Teil dazu beitrug, dass Württemberg deutschlandweit als führend im Beton- oder Massivbau galt. Der Industrie- und Technikdenkmalpfleger Hans Peter Münzenmayer ging in seinem Vortrag mit dem Titel „Ingenieurbauwerke als Markenzeichen der Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen” vor allem auch auf das „Tunnelgebirge” ein, wie das Überwerfungsbauwerk auf Höhe des ehemaligen Ufa-Kinos genannt wird. 19 Gleise kreuzungsfrei über-, neben- und leicht quer zueinander nach den Plänen von Karl Schaechterle beeindruckten die Fachwelt damals europaweit.

Ablehnung für S21

„Wir wollen in erster Linie anregen zum Nachdenken”, sagte Hans Jörg Jäkel, der den Abend moderierte. Dass das S21-Projekt aber von der großen Mehrheit der Anwesenden nach wie vor abgelehnt wird, war auch klar. Bongartz sprach ganz emotional vom „arg geschundenen einstmaligen Vorzeigebahnhof”, der seine Bedeutung als europaweit bedeutendes Baudenkmal verloren habe. Der Eisenbahn-Romantiker und Fernsehmoderator Hagen von Ortloff gratulierte dem Bahnhof per Video-Grußwort, auch wenn der einst modernste Kopfbahnhof Deutschlands künftig wohl nur noch ein Haltepunkt auf dem Weg nach Bratislava sein würde. Und Hannes Rockenbauch sprach von einem Gebäude, „dessen Geist und Seele durch Entscheidungen der Politik entleert werden”, was ihn nach wie vor ärgere.