Im Rathaus hat man den CDU-Fraktionsvorsitzenden Alexander Kotz als Chef der schwarz-grünen Koalition wahrgenommen. Martin Körner (SPD) hatte in der Haushaltsdebatte als „Oppositionsführer“ einen starken Auftritt – begünstigt durch die verbalen Attacken von OB Fritz Kuhn.

Stuttgart - Die Operation am offenen Herzen war gerade beendet, da erklärte der Mediziner Cornelius Kübler, es habe leider Probleme gegeben und das Ergebnis sei eine Katastrophe. Sprach’s und eilte davon – der CDU-Stadtrat hatte gerade 13 Stunden Haushaltsberatungen absolviert und sich geärgert, dass der Etat lediglich mit 32:28 Stimmen verabschiedet worden war. Die schwarz-grüne Haushaltskoalition und OB Fritz Kuhn (Grüne) übernahmen allein die Verantwortung, der fast gleich große Rest hat klar gemacht, dass er sich in dem Zahlenwerk nicht wiederfindet. Nun sind Mehrheitskoalitionen für Haushaltsberatungen üblich; dass sich aber nur zwei Fraktionen zusammentun, sich 170 Anträge genehmigen und die anderen ignorieren, war ebenso neu wie die Konstellation: Schwarz und Grün auf einer Seite hat im Stuttgarter Rathaus bisher allenfalls in einzelnen Punkten gepasst.

 

Als klare Siegerin ging Bürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) aus den Beratungen hervor, obwohl gerade Sport und Kultur im Entwurf des OB nur bedingt bedacht waren. Nun ist für sie schon am 18. Weihnachten gewesen. Nicht von ungefähr benötigte der Sportkreischef (und als CDU-Stadtrat unmittelbar Beteiligter) Fred-Jürgen Stradinger zwei Seiten für Auflistung und Würdigung der Segnungen. Schwarz-Grün hat auch den neuen Sportplatz für den TV Cannstatt in Freiberg beschlossen, ohne dafür die Hilfe der AfD benötigt zu haben. Deren Sprecher Bernd Klingler hatte vor den Etatberatungen noch gegenüber CDU-Fraktionschef Alexander Kotz behauptet, es gehe nichts ohne die Rechtspopulisten. Die Alternative für Deutschland spielte in den Beratungen gar keine Rolle, während sich Kotz gut erholt zeigte von der Demütigung durch seine Parteifreunde im April. Im Heimatbezirk Ost nicht für eine Landtagswahlkandidatur nominiert zu werden, hat den Kreishandwerksmeister schwer getroffen. Im Haushaltsbündnis sahen ihn Beteiligte als Meister, und das neue Grünen-Spitzenduo als Gesellen. Unter finanziellen Gesichtspunkten war die CDU klare Siegerin.

Grüne waren gegen einen besseren Betreuungsschlüssel

Die Grünen-Forderungen jenseits der gemeinsamen Schnittmenge mussten der CDU teils so banal („Ansporn der hiesigen Autoindustrie“, Förderung der Gemeinwohlökonomie und Rettung der Bienen und Tauben) erscheinen, dass sie sich gezwungen sah, sogar die sinnvolle Ausweitung der Baumschutzsatzung auf die Bezirke abzulehnen und das von OB Kuhn geplante Tempo 40 an Steigungsstrecken auf den Prüfstand zu stellen, indem sie eigens einen Antrag auf Streichung stellte. Irgendwie musste die Union ja ihrer Basis zeigen, dass sie bei aller Freundschaft nicht gewillt war, alle grüne Ideen gut zu finden. Wäre sie in der koalitionsinternen Debatte nur konsequenter gewesen: Einen besseren Betreuungsschlüssel für die Flüchtlingsarbeit aus finanziellen Gründen abzulehnen, ist nicht als Motivationshilfe angekommen.

SPD-Chef Martin Körner hielt eine politische Rede

Während Anna Deparnay-Grunenberg in ihrer ersten Haushaltsrede allgemein geblieben war („Die Menschheit rückt näher zusammen, wir nehmen wahr, dass wir eine Menschheit sind“) und betonte, es werde ihr „immer stärker bewusst, dass alle Themen irgendwie miteinander verwoben“ seien, rückte SPD-Chef Martin Körner mit einer politischen Rede in den Blickpunkt. OB Fritz Kuhn hatte ihn beim Wohnungsthema mit einer überzogenen Kritik provoziert, die nicht nur beim politischen Gegner für Verwunderung sorgte. Solchermaßen gereizt, rechnete Körner mit dem OB ab: Er sei nicht für alle Stuttgarter da und pflege einen Berliner Politikstil.

Welche Auswirkungen die schwarz-grüne Haushaltsdominanz auf die öko-soziale Mehrheit aus Grünen, SPD und der ebenfalls enttäuschten SÖS-Linke-Plus etwa in sozialen Fragen haben wird, ist bis auf weiteres offen. Revanchen sind denkbar. Einer sieht nicht nur die Beziehungen im Rathaus, sondern gar das grün-rote Bündnis auf Landesebene gefährdet: „Wenn das Schule macht, untergräbt das eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“, behauptete jedenfalls ein „irritierter“ SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel.