Die Stuttgarter Hinduisten feiern in Bad Cannstatt zum zehnten Mal mit einer farbenfrohen Prozession den Höhepunkt ihres jährlichen Tempelfests.

Stuttgart-Bad Cannstatt - Von außen wirkt das alte Fabrikgebäude in der Bad Cannstatter Lehmfeldstraße recht unscheinbar. Kaum durch den Eingang geschritten, bietet sich ein anderes Bild: Der heruntergekommene Betonbau birgt in seinem Innern einen prächtigen Tempel. Hunderte Tamilen aus Sri Lanka in bunten Gewändern drängen sich in dem mit Blumengirlanden geschmückten Raum. Die Luft ist warm und von Weihrauchduft erfüllt. Es ist laut, Männer in weißen Wickelgewändern mit freien Oberkörpern schlagen auf große Trommeln und spielen orientalische Melodien auf langen Flöten.

 

Es ist Tempelfest. Zehn Tage im Jahr feiern Hinduisten auf der ganzen Welt ihre Gottheiten. Die 200 Mitglieder des Stuttgarter Hindu-Vereins beten Ganesha an, den Gott mit dem Elefantenkopf. Während der Festtage dürfen die Hindus kein Fleisch essen, viele fasten sogar komplett. Den Höhepunkt des Fests bildet alljährlich – wie am Sonntag – ein prächtiger Umzug.

Im Stuttgarter Westen gab es viel Ärger mit den Anwohnern

Kaum sind die Trommeln verstummt, ertönen in einer Ecke des Raumes Schmerzensschreie. Junge Männer liegen am Boden. Ihnen werden dicke Haken durch das Fleisch am Rücken getrieben. Nicht etwa zur Strafe. „Die Männer danken den Göttern oder bitten sie um etwas“, erklärt Thadchajini Sothinathan. Die 24-Jährige lebt seit 1999 in Deutschland und genießt es, in Cannstatt ihre Kultur leben zu können. Die Wünsche der Männer sind oft ganz alltägliche, erzählt sie. „Sie bitten um ein Visum oder um ein Kind.“

Dieses Jahr ist das Tempelfest für den Stuttgarter Verein ein besonderes. Seit inzwischen zehn Jahren gibt es ihren Tempel. Bis vor fünf Jahren war er an der Schwabstraße im Stuttgarter Westen ansässig. „Dort gab es aber viel Ärger mit den Anwohnern“, erklärt Sothinathan. Deshalb zog die Gemeinde nach Bad Cannstatt um. „Hier draußen stören wir niemanden.“

„Es tut ihnen nicht weh. Denn Gott ist bei ihnen“

Rund 1000 Hindus aus einem Umkreis von 100 Kilometern sind an diesem Sonntag zum Höhepunkt des Tempelfestes nach Bad Cannstatt gekommen, und auch einige Deutsche, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Nach der Zeremonie im Tempel sind die Männer nach draußen getreten, sie tragen die Statuen der Gottheiten auf ihren Schultern. In Sri Lanka würde diese Prozession außerhalb des Tempels täglich stattfinden, „in Stuttgart ist sie nur einmal während der zehn Tage erlaubt“, sagt Sothinathan.

Während der Tross durch die Straßen zieht, spielt die Musik weiter. Kokosnüsse werden von den hinduistischen Priestern, den Brahmanen, auf den Boden geschleudert, so dass sie bersten. Die harte Schale steht für dieselbige des Menschen. Die Nüsse werden zerschlagen, um zum weichen Kern, den guten Eigenschaften, vorzudringen. Die jungen Hindus mit den Haken in den Rücken tanzen bis zur Ekstase. An den Haken sind Seile befestigt, die andere Männer auf Spannung halten. „Es tut ihnen nicht weh. Denn Gott ist bei ihnen“, sagt Thadchajini Sothinathan. Noch bis Mittwoch dauert das Tempelfest an. Dann ist der Zauber vorbei. Die Hindus ziehen sich zurück und feiern ihre Feste verborgen im Inneren eines Industriegebäudes.