Trotz der Lockerungen sind Künstler auf die Hilfen und Spenden angewiesen, um über den Sommer zu kommen. Doch der Initiative geht die Puste aus.

Stuttgart - Henri Nannen, Stern-Gründer und Lichtfigur des deutschen Journalismus, meinte stets: „Journalisten müssen übertreiben.“ Aber was sich im Falle der Künstlersoforthilfe wie die Übertreibung des früheren Kolumnisten der Stuttgarter Nachrichten anhört, ist lediglich eine sachliche Feststellung: „Das Ende naht“, schreibt Joe Bauer, der Initiator der Künstlersoforthilfe (KSH), auf seinen Seiten in den sozialen Medien. „Da wir seit einiger Zeit kaum noch Spenden erhalten, müssen wir uns auf das Ende unserer Aktion vorbereiten“, sagt Bauer, „nach dem heutigen Kontostand halten wir nur noch bis Juli durch.“

 

Nach mehr als 1,2 Millionen Euro Spendeneinnahmen und rund 3000 Überweisungen, könnte Joe Bauer locker sagen: „Gutes Werk, das war’s. Danke an alle!“ Zudem müssten die Lockerungen nach dem Lockdown allen Künstlern wieder die Möglichkeit geben, aufzutreten. Ist die Unterstützung damit überhaupt noch notwendig? Jetzt sollten die Künstler doch wieder auf eigenen Beinen stehen können. „Alles Quatsch“, kontert Bauer, „es ist unheimlich schwer, jetzt wieder Tritt und Fuß zu fassen.“

Über den Sommer kommen

Das Gebot der Stunde lautet daher: Der Szene über den Sommer zu helfen. Bauer erinnert daran, dass gerade kleinere Veranstalter wegen der Coronaverordnungen „nur reduziert“ ihre Räume mit zahlender Kundschaft besetzen dürfen. „Das wird völlig unterschätzt“, sagt er und gibt ein weiteres Beispiel: „Die Veranstaltung am Römerkastell bekam zuletzt Landeszuschüsse, das fällt jetzt weg. Daher haben die jetzt ein Problem“, sagt Bauer und ergänzt: „Unser letztes Ziel ist es jetzt, noch mal eine fünfstellige Summe aufzutreiben, um kleinen, vom Land diesmal nicht bezuschussten Festivals, mit Gagen-Aufstockungen zu helfen.“ Ein weiteres Beispiel sei das Staatstheater-Festival: „Wir als Künstlersoforthilfe unterstützen das Festival mit einem größeren Betrag.“ Die 10 000 Euro entsprechen hier 33 mal 300 Euro Gagen für die Künstler.

Dass die Spendenbereitschaft zuletzt abgenommen hat, mag auch an der allgemeinen Situation liegen. In der Pandemie ist allenthalben eine Ermüdung in vielen Bereichen erkennbar. Es könnte unter anderem aber auch an einer gewissen Verwässerung der Initiativen liegen. Denn neben der Künstlersoforthilfe haben sich im Laufe der Zeit weitere Spendensammler um die Unterstützung von Musikern bemüht. Darunter auch das katholische Regionalkantorat und die Adele-Winter-Stiftung. Obwohl sich die Stoßrichtungen aller Initiativen unterscheiden, hätte es Joe Bauer begrüßt, die Kräfte im Sinne der Künstler zu bündeln. Auch um mögliche Doppelbezuschussungen zu verhindern. Zudem gilt Joe Bauer in der Kunst- und Eventszene als Insider und Kenner. Soll heißen: Er kann wie wenige abschätzen, wer und wo die Soforthilfen am besten angelegt sind. Ein weiterer Punkt ist laut Bauer, „dass wir auch an den Zapfer oder die Putzfrau eines Clubs denken und diese Gruppe ebenso unterstützen“.

Sogar „Die Zeit“ lobt die Initiative

Was die Künstlersoforthilfe geleistet hat, schlägt sich nicht nur in der 1,2 Millionen Euro hohen Spendensumme nieder. Die KSH erhielt auch zahlreiche Dankesbriefe, die zeigen, wie selbst kleine Beträge Großes bewirkt haben: „Hallo an das ganze Team, nun möchte ich mich ganz herzlich bedanken für die unglaublich unkomplizierte Unterstützung“, schreibt ein Künstler, „Ich bin so unglaublich dankbar. Das Geld war super schnell da. So wie es aussieht kann unsere Tour im Juli nun stattfinden. Und dank eurer Unterstützung konnte ich mich weiter um die Vorbereitungen und alles drum herum kümmern. Tausend Dank.“

Ein anderer schreibt: „Herzlichen Dank für ihre unerwartet großzügige Unterstützung. Damit konnte ich Schlimmes verhindern. Die Freude darüber hat die Harmonie in der Familie wieder hergestellt. Wir sehen nun positiver in die Zukunft.“ Oder: „Einfach ein riesiges Danke, liebe KSHler, dass ihr mich in einem verdammt schwierigen Moment so schnell und unbürokratisch unterstützt habt. Ich bin wahnsinnig beeindruckt, was ihr genauso unkonventionell und groß auf die Beine gestellt habt.“

Aber auch überregional hat die Arbeit der Künstlersoforthilfe Resonanz gefunden. Etwa bei der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Das Blatt schrieb: „Kühlschrankfüller des Südens: In Stuttgart tut eine spontane Künstlersoforthilfe Gutes.“ Und sie will noch ein paar Monate weiter Gutes tun. „Wir wollen gewissermaßen über den Sommer kommen. Und dann ist es auch genug“, sagt Joe Bauer.