Im Stuttgarter Renitenztheater hat der Kabaretist Stefan Waghubinger den Goldenen Besen gewonnen. Und redete übers Vögeln.

Stuttgart - Noch ist auf der Bühne des vollgepackten Renitenz gar nichts gelaufen, schon fordert Dieter Moor: "Wir brauchen noch Appläuse!" Außer diesem neuen Plural lernt das Publikum beim Kabarettwettbewerb "Stuttgarter Besen" nun auch, dass es sich bei einer SWR-Fernsehaufzeichnung zu benehmen hat. Nicht in der Nase bohren, mahnt der gut aufgelegte Moderator. Noch mal ein Probeapplaus! Man stelle sich zum Beispiel eine Steuersenkung vor, sagt Moor, oder was anderes. "Mappus weg!", offeriert einer aus dem Saal. Nein, es ist nicht Wolfgang Schuster, der in Reihe drei sitzt; der OB will an diesem Abend wohl keine große Politik machen, sondern Kleinkunst genießen.

 

Chin Meyer tritt auf als Steuerfahnder. Schwarze Hornbrille, grauer Anzug, bunte Rede. Gegen Libyen mitmachen? Die Nato müsste doch wissen, "dass wir im Kriegegewinnen gar nicht so gut sind!" Dafür sollten wir Hartz-IV-Empfänger nach Tunesien schicken, die müssten dort über Deutschland klagen, zur Abschreckung. Was beim Araber besonders schlecht ankommt: "Wir werden von einer kinderlosen Frau und einem Schwulen regiert!" Der Kabarettist bleibt mimisch und gestisch in seiner Rolle, lässt sich thematisch aber nicht einengen. Einmal übernimmt er sogar die Alien-Perspektive, beobachtet auf der Erde zwei Kreaturen, von denen eine die frische Kacke der anderen in eine Tüte steckt und hinterherträgt. Wer von beiden ist für den Alien wohl der Chef? Für seine klassische Ein-Mann-an-der-Rampe-Nummer - an diesem Abend eine von fünfen! - wird Chin Meyer den Silbernen Besen erhalten.

Die von Ottfried Fischer geleitete Jury, in der auch der StZ-Autor Ruprecht Skasa-Weiß mitstimmt, hat es allerdings nicht leicht. Auch wenn der "Besen" als Nachwuchswettbewerb deklariert wird, ist nämlich bei allen acht Wettbewerbern nicht nur Talent, sondern auch Bühnenerfahrung zu spüren. Kein Auftritt fällt wirklich ab, es ragt aber auch keiner meilenweit über die Konkurrenz hinaus.

Milde amüsant, statt brüllend komisch

Eine dieser klobigen Besenskulpturen hätte deshalb durchaus auch an den quirligen Stand-up-Comedian Sebastian Pufpaff gehen können, der auf die Bin-ich-dick-Frage seiner Frau diplomatisch antwortet: "Jedes gute Stück Fleisch hat einen Fettrand." Oder an den wuchtig-schweren Götz Frittrang, der sich so wunderbar eine einfältig-selbstgefällige Katzenmiene aufsetzen kann. Auch das virtuose Poetry-Slam-Duo Team und Struppi hätte einen Besen bekommen können, vielleicht sogar bekommen müssen für seinen Mix aus Dada, Agitprop- und chorischem Pollesch-Theater, bei dem die drahtigen Kerlewie Agents Provocateurs Brandsätze schleudern ("...kann geschossen werden!") und dann blitzschnell die Position wechseln. Die Sängerin Dota Kehr allerdings hat das Pech, dass ihre verwinkelten Lieder nicht recht ins Besen-Programm passen wollen.

So geht das Kehrgerät in Holz an ein mitunter ebenfalls singendes Paar, das sich Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie nennt. Zwischen den Liedern nervt die blonde Frau im grünen Kleid ihren Partner durch aggressiv vorgetragenes Halbwissen: "Wie hieß noch mal die Hitlerjugend von den Kommunisten?" Wenn die beiden dann über die Umwege Arsenal und Tottenham endlich auf den Namen von Clintons Tochter Chelsea kommen, ist das vielleicht nicht das, was man als Brüller bezeichnet, aber doch milde amüsant. Komischer ist allerdings schon, wie der in einem schwarzen Kapuzenpulli versteckte Publikumspreisträger Nico Semsrott wortkarg seine Depressionen pflegt.

Unlocker vom Hocker

In dieser Welt der Evaluationen und des Wettbewerbs, erzählt er langsam und leise, werde wohl noch der Grabstein zur Notentafel: "Karl Schmitt: 5minus!" Und damit höre es immer noch nicht auf, sogar der Verwesungsprozess werde weiter begutachtet! Pardon, dieses Ausrufezeichen muss wieder weg, es passt einfach nicht zum monotonen Vortrag des Nico Semsrott, nach dem einem sogar Bernd das Brot nicht mehr wie ein Stimmungstöter vorkommen kann, sondern schon fast wie ein munterer Gesell.

Auch Stefan Waghubinger ist nicht besonders gut drauf. Mit schlaff-strähnigen Haaren und hängenden Schultern sitzt er da, lässt die Mundwinkel fallen, wirkt irgendwie überfordert. Im richtigen Leben hat der aus Österreich stammende Stuttgarter mal Theologie studiert, jetzt aber spricht er nicht feurig von der Kanzel herab, sondern unlocker vom Hocker. Wie ihm die Frau weggelaufen ist, weil er deren Geburtstag vergessen hat, obwohl es ihm ja noch auffiel: "Ich hab schon zweimal gehabt und sie noch nicht." In wehleidig-weichem Tonfall geht es weiter in Sachen Beziehung ("Ich versuche Gefühle zu zeigen, die ich weder habe noch verstehe."), in Sachen Klima ("Man hat es kürzer zum Meer, aber wegen Holland werden die Tulpen teurer.") oder in Sachen Statistik: Zweieinhalbmal mache es der Deutsche pro Woche, sagt Waghubinger, und fragt sich dann: "Wer vögelt da eigentlich für mich mit?"

Doch, doch, dieser Mann hat seinen Goldenen Besen verdient, und als er ihn erhält, ist das für ihn der "Höhepunkt von zwanzig Jahren gelungener Integration in Stuttgart". Großer Applaus - und diesmal nicht bloß zur Probe.

Termin Am Ostermontag sendet der SWR eine Aufzeichnung des "Stuttgarter Besens".