Region: Verena Mayer (ena)

Der Mann, der sich zum Wissenschaftler und Forscher berufen fühlt, hält eine Laufbahn als Gelehrter nach dieser „unvorstellbaren Demütigung“ für ausgeschlossen. Hermann Nanz verlässt die Universität und geht zur Deutschen Bundespost nach Bonn. Er beginnt als Referendar und schafft es bis in den Rang eines Postdirektors, dem 1000 Mitarbeiter unterstehen. Bei der neu erschaffenen Telekom arbeitet er schließlich an der Digitalisierung des Kabelnetzes mit. „Das war sehr interessant“, sagt Hermann Nanz über die Karriere, die er gar nicht angestrebt hatte. Seine Erlebnisse in Tübingen hält er während dieser Jahre fest in seiner Seele eingebunkert.

 

Doch als Nanz im Jahr 2000 in den Ruhestand geht, brechen die Wut und der Schmerz aus dem Kokon aus, bahnen sich ihren Weg zurück ins Jetzt und machen ihm das Leben unerträglich. Während sich fragwürdige Doktoren aus der Politik wegen plagiierter Arbeiten wehren müssen, beschäftigt sich der Pensionär mit seiner ganz speziellen Titelverteidigung.

Nanz’ Doktorvater ist inzwischen gestorben, also schreibt er an die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Das Dekanat möge das ihm fast 30 Jahre zuvor angetane Unrecht aus der Welt schaffen und die Note seiner Promotion nachträglich auf magna cum laude anheben. Doch die Fakultät sieht keinen Anlass, das Verfahren nach so langer Zeit wieder aufzugreifen. Zumal es eindeutige Gerichtsurteile gebe. Mit seinem anschließenden Vorstoß beim Rektor der Universität hat Nanz ebenfalls keinen Erfolg. Keinem der heutigen Professoren sei es zumutbar, sich in den damaligen Stand der Wissenschaft einzuarbeiten, um die Korrektheit der Benotung zu überprüfen. Das über allen stehende Wissenschaftsministerium in Stuttgart schließt sich den Argumenten aus Tübingen an und weist den ruhelosen Rentner ebenfalls ab.

„Unrechtsbewusstsein ist für die geburtsprivilegierte Professorenschicht ein Fremdwort“, resümiert Nanz, der sich sogar beim damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus beschwert. „Ich hoffe, dass Ihre kriminelle Vereinigung CDU abgewählt wird“, schließt er seinen Brief. Eine Antwort erhält er nicht.

Ihn plagen innere Unruhe und Schlafstörungen

Der Doktorvater bewertet die Promotion mit ausreichend

Nanz’ Doktorvater teilt die überschwängliche Selbsteinschätzung nicht. Er bewertet die Promotion mit rite, „ausreichend“. Es fehlt also nicht viel, und die Arbeit wäre durchgefallen. Der Professor findet darin mehrere Widersprüche und Unklarheiten. Vor allem aber glaubt er, dass die speziell entwickelten Gleichungen keine Differenzgleichungen sind. Er hat sogar den Eindruck, dass dem Verfasser der Promotion der Unterschied gar nicht bewusst sei. Nanz fühlt sich als „Abkömmling aus der Arbeiterschicht“ diskriminiert. Dass auf seiner Urkunde nach der mündlichen Prüfung die gute Gesamtnote cum laude steht, tröstet ihn nicht.

Nanz widerspricht zuerst – erfolglos – bei der Univerwaltung und klagt dann vor dem Verwaltungsgericht. Wenn der Professor von falschen Prämissen ausgehe, argumentiert Nanz, liege er zwangsläufig auch bei der Beurteilung insgesamt daneben. Er fordert eine bessere Note.

Das Gericht lässt einen Sachverständigen bestätigen, dass Nanz’ Differenzgleichungen tatsächlich korrekt sind. Ob sie auch ökonomisch sinnvoll, also praktisch anwendbar sind, bleibt jedoch ungeklärt. Den Vorschlag des Gerichts, die Arbeit durch die Uni neu bewerten zu lassen, lehnt Nanz kategorisch ab. Er traut den Professoren nicht mehr. Am Ende des drei Jahre dauernden Verfahrens fällen die Richter ihr Urteil: Der Geprüfte Nanz hat keinen Grund zur Klage, denn Prüfer haben beim Bewerten einen gewissen Spielraum.

Hermann Nanz fühlt sich verleumdet. „Ich bin zur größten Niete erklärt worden, die jemals an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät promoviert hat“, zürnt er, zieht weiter an den Verwaltungsgerichtshof – und scheitert erneut. Das Gericht verkündet: Wenn ein Prüfer Richtiges für falsch hält, dann sei dies Sache des Prüfers und kein Fall für die Justiz. Nanz kann diesen „Irrsinn“ kaum ertragen. Aber als sein Fall 1983 nicht einmal zur Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen wird, sieht er keinen Weg mehr, seine Ehre zu retten. Er stellt den Kampf ein – vorerst.

Deutsche Bundespost statt Universität

Der Mann, der sich zum Wissenschaftler und Forscher berufen fühlt, hält eine Laufbahn als Gelehrter nach dieser „unvorstellbaren Demütigung“ für ausgeschlossen. Hermann Nanz verlässt die Universität und geht zur Deutschen Bundespost nach Bonn. Er beginnt als Referendar und schafft es bis in den Rang eines Postdirektors, dem 1000 Mitarbeiter unterstehen. Bei der neu erschaffenen Telekom arbeitet er schließlich an der Digitalisierung des Kabelnetzes mit. „Das war sehr interessant“, sagt Hermann Nanz über die Karriere, die er gar nicht angestrebt hatte. Seine Erlebnisse in Tübingen hält er während dieser Jahre fest in seiner Seele eingebunkert.

Doch als Nanz im Jahr 2000 in den Ruhestand geht, brechen die Wut und der Schmerz aus dem Kokon aus, bahnen sich ihren Weg zurück ins Jetzt und machen ihm das Leben unerträglich. Während sich fragwürdige Doktoren aus der Politik wegen plagiierter Arbeiten wehren müssen, beschäftigt sich der Pensionär mit seiner ganz speziellen Titelverteidigung.

Nanz’ Doktorvater ist inzwischen gestorben, also schreibt er an die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Das Dekanat möge das ihm fast 30 Jahre zuvor angetane Unrecht aus der Welt schaffen und die Note seiner Promotion nachträglich auf magna cum laude anheben. Doch die Fakultät sieht keinen Anlass, das Verfahren nach so langer Zeit wieder aufzugreifen. Zumal es eindeutige Gerichtsurteile gebe. Mit seinem anschließenden Vorstoß beim Rektor der Universität hat Nanz ebenfalls keinen Erfolg. Keinem der heutigen Professoren sei es zumutbar, sich in den damaligen Stand der Wissenschaft einzuarbeiten, um die Korrektheit der Benotung zu überprüfen. Das über allen stehende Wissenschaftsministerium in Stuttgart schließt sich den Argumenten aus Tübingen an und weist den ruhelosen Rentner ebenfalls ab.

„Unrechtsbewusstsein ist für die geburtsprivilegierte Professorenschicht ein Fremdwort“, resümiert Nanz, der sich sogar beim damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus beschwert. „Ich hoffe, dass Ihre kriminelle Vereinigung CDU abgewählt wird“, schließt er seinen Brief. Eine Antwort erhält er nicht.

Ihn plagen innere Unruhe und Schlafstörungen

Der Rächer der Doktorenehre zieht weiter zum Petitionsausschuss des Landtags. Der Petitionsausschuss geht Beschwerden von Bürgern nach, die sich durch staatliche Institutionen ungerecht behandelt fühlen. Hermann Nanz schildert dem Ausschuss das traumatische Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn und berichtet von der schweren posttraumatischen Belastungsstörung, unter der er deshalb leide. Nanz plagen bis heute innere Unruhe, Nervosität und Schlafstörungen.

Der Ausschuss holt Stellungnahmen bei der Universität und beim Ministerium ein und – findet deren Argumente nachvollziehbar. Ergebnis: Hermann Nanz’ Petition kann nicht abgeholfen werden. Dies geschieht im Juli 2006. Im Juli 2011 unternimmt Nanz einen neuen Anlauf. Die neue grün-rote Regierung, hofft er, beurteilt das Wirken seines CDU-zugehörigen Professors von anno dazumal anders als die bisherige schwarz-gelbe. Doch er irrt sich: Seine zweite Petition nimmt der Ausschuss gar nicht erst an, da sie keine neuen Argumente enthält.

Die wiederkehrenden Gedanken an sein Prüfungsunrecht machen Hermann Nanz fast wahnsinnig. Er sucht Hilfe bei Psychologen und Psychiatern. Doch auch nach einer stationären Behandlung ist sein Gemüt nicht befreit. Die Fachärzte raten dem leidenden Doktor, die quälende Geschichte in sein Leben zu integrieren. Sie liege doch schon lange zurück, und er habe doch trotzdem eine eindrucksvolle Karriere gemacht. Hermann Nanz, dessen Ehe über den endlosen Promotionsdebatten zerbrach, fühlt sich unverstanden. Das Einzige, was er integrieren kann, ist der Zorn. „Ich lasse mir diese Stigmatisierung nicht bieten!“

Er beginnt zu schreiben. In einem Buch arbeitet Hermann Nanz seine Erlebnisse als Doktorand auf. Auf 285 Seiten rechnet er mit seinem „inkompetenten, korrupten und verlogenen“ Doktorvater ab, der nur seinen Vorteil im Sinn gehabt habe: Der Professor – so Nanz’ Überzeugung – wollte die von ihm entwickelten Differenzgleichungen in einem eigenen Fachaufsatz veröffentlichen. Die Namen der Akteure hat der Autor sicherheitshalber verfremdet.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Hermann Nanz’ jüngster Versuch, erhört zu werden, datiert vom Januar dieses Jahres. Der Adressat ist nun der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. In seinem Brief, in dem Nanz für sein Buch wirbt, fragt er „freundlichst an, wie sich das Gericht die Wiederherstellung des geschaffenen Unrechts und die Zerstörung von Lebenschancen und -karrieren vorstellt“. In Karlsruhe fiel 13 Jahre zuvor ein Urteil, das für Hermann Nanz zwar zu spät kam, ihn aber in seiner Überzeugung bestätigt, im Recht gewesen zu sein.

Im April 1991 hat der erste Senat beschlossen, dass eben nicht allein der Prüfer darüber zu entscheiden hat, ob die Antwort eines Prüflings richtig oder falsch ist. Weiter als die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes habe der Bewertungsspielraum der Professoren dann doch nicht zu gehen. Verwaltungsgerichte seien darum grundsätzlich verpflichtet, Prüfungsbescheide zu kontrollieren.

Haben es sich die Gerichte, die Jahre zuvor über Nanz’ Arbeit urteilten, also zu leicht gemacht? Hätten sie anders entschieden, wenn die höchsten Bundesrichter schon früher ihre Position geändert hätten? Hätte Hermann Nanz anno 1983, nachdem er in allen Instanzen verloren hatte, noch nach Karlsruhe ziehen sollen? Antworten auf diese Fragen zu suchen ist müßig. Hermann Nanz weiß nur, dass er nach seinen Niederlagen zermürbt und kraftlos war und seinen Glauben an die Gerechtigkeit verloren hatte. Und in der Antwort, die er auf seine Frage an den Gerichtspräsidenten erhält, steht nur, dass der Präsident nicht in einen allgemeinen Meinungsaustausch mit Bürgern über abgeschlossene Verfahren eintreten könne.

Trotzdem schöpft Hermann Nanz aus dem historischen Urteil heute die Energie, die ihn antreibt. Er hat ein zweites Buch geschrieben. Es handelt von seinen verlorenen Prozessen und seinen abgelehnten Petitionen. Außerdem erwägt er, ein drittes Werk zu veröffentlichen. Vielleicht ein praktisches Lehrbuch zum Thema Prüfungsrecht. Hermann Nanz hat das noch nicht zu Ende überlegt. Aber er versichert: „Ich werde keine Ruhe geben.“