Es war als Besetzungscoup gedacht: Die Schwestern Corinna Harfouch und Catherine Stoyan spielen zwei Schwestern, die einstmals Hollywood-Diven waren. Im Stuttgarter Kammertheater sehen sie aber nur wie komische Alte aus.

Stuttgart - Es ist ein Stoff aus Hollywood, wie er hollywoodhafter kaum sein könnte. Er spielt in Hollywood, handelt von zwei ehemaligen Hollywoodstars und ist durch einen Hollywoodfilm von 1962 weltberühmt geworden. Aber dass Robert Aldrichs Psychothriller „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“, der seinerseits auf einem Roman von Henry Farrell basiert, im Stuttgarter Kammertheater nicht filmrealistisch nachgespielt werden soll, wird schnell klar. Mit einem maßvoll dosierten, das Drama bisweilen grotesk zuspitzenden Anti-Illusionismus lehnt sich das Inszenierungsteam gegen die kalifornische Illusionsfabrik auf. So viel Stolz auf das eigene, der Bühne verpflichtete Genre darf schon sein, gerade auch im Prolog, der die Zuschauer in die sonnenhelle Traumstadt mit den nachtfinsteren Albträumen führt.

 

Das Ensemble tritt auf. Und zwar im Wortsinn: ein Schauspieler nach dem anderen kommt zu Beginn der Inszenierung aus der Kulisse und nimmt auf einer Stuhlreihe rechts und links am Bühnenrand Platz. Auf der Seite sitzend, verfolgt die Truppe nun, was Samantha Bates und Harriet Palmer (Dorothea Arnold und Nora Quest) zu tratschen haben. Mit großen Augen, in einer Mischung aus Bewunderung und Verwunderung, tauschen die Ladys die Gerüchte aus, die sich um die verschwisterten Filmstars ranken: Blanche Hudson, einst gefeierte Diva, sitze seit mehr als zwanzig Jahren im Rollstuhl, tuschelt Samantha. Ein Autounfall habe ihre Filmlaufbahn beendet, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere! Und man munkle, raunt sie weiter, dass der Unfall ja gar kein Unfall gewesen sei, sondern ein Anschlag ihrer eigenen Schwester Jane! Wahnsinn! Und von der lasse sie sich seither auch noch pflegen. Ist das nicht die Höhe? fragen sich sinngemäß die exzentrisch kostümierten Prolog-Girls – und schon erhebt sich das Rest-Ensemble, verlässt seinen randständigen Stand-by-Modus und macht sich an die Aufklärung des mysteriösen Hudson-Falls. Jetzt geht’s lo-hos!

Der Besetzungscoup: verpufft

Los geht’s auch für den Gaze-Vorhang, der bis dahin die Sicht aufs Bühnenbild milchig eingetrübt hat. Nun aber, nach dem Blick in die Theater-Werkstatt, der illusionslos, aber geistvoll sein will, bringt der sich senkende Vorhang einen Raum zum Vorschein, der allen Illusionen wieder perfekt huldigt. Das Haus der Hudsons hat Volker Hintermeier mit viel Liebe zum historischen Detail der sechziger Jahre ausgestattet. Zwei Etagen ragen dunkel in die Höhe – und weil sie aufgeschnitten sind, die Etagen, sehen wir das Interieur. Plüschsofas, Samtsessel, Kronleuchter und vor allem eine Menge Leuchten: Tischleuchten, Wandleuchten und Stehleuchten, die für das indirekte Schummerlicht sorgen, das ein auf düster diabolische Spannung setzendes Kammerspiel braucht.

Die Krux ist nur: diese Inszenierung von „Was geschah mit Baby Jane?“ setzt gar nicht auf Suspense, nicht auf Psycho, nicht auf Tragik. Die Arbeit des Regisseurs Christian Weise und seines Dramaturgen Christian Holtzhauer nutzt nämlich alle Bühnenmittel nur, um sich über klassische Hollywoodeffekte lustig zu machen. Und sie braucht auch den ganzen Hollywoodstoff im Grunde nur, um eine einzige Sache zu ermöglichen: einen Besetzungscoup, der im Kammertheater am Ende aber leider nichts bringt. Die beiden Christians haben sich derart auf ihre Hauptdarstellerinnen fixiert, dass sie darüber das Darzustellende offensichtlich gänzlich vergessen haben. Mit der Folge, dass ihr glücklich verpflichtetes Heldinnenduo jetzt nicht zu wissen scheint, was es eigentlich spielen soll. Eine Farce? Einen Psychoreißer? Eine Seelenstudie?

Auf der Bühne stehen Corinna Harfouch und Catherine Stoyan: leibhaftige Schwestern, die jetzt, in der Fiktion, leibhaftige Schwestern spielen, die Schauspielerinnen sind. Eine biografische Doppelung jener Art, in die nicht nur das Theater vernarrt ist – doch mehr gedoppelt und gespiegelt als hier kann eine Stückbesetzung kaum sein, zumal sich in „Baby Jane“ noch ein anderes Verhältnis aus der Realität wiederfindet. Harfouch ist berühmter als Stoyan und spielt Blanche, die berühmtere Schwester von Jane, mit der sich die jüngere Stoyan begnügen muss.

In Hassliebe aneinander gekettet

Aber was heißt begnügen? Auch im Kammertheater ist Blanche an den Rollstuhl gefesselt ist, weshalb die etwas beweglichere Jane die meiste Aufmerksamkeit auf sich – just wie in der Aldrich-Verfilmung, in der Bette Davis den vergessenen Kinderstar spielt, der den späteren Erfolg seiner von Joan Crawford verkörperten Schwester nicht verwinden kann. In der Tat erinnert Stoyan mit ihrer Aufmachung jetzt an Bette Davis. Grell überschminkt, ein herzchenförmiges Muttermal auf der Wange, spielt sie Jane, die in Hassliebe an Blanche gekettet ist – und umgekehrt: auch Blanche kommt von ihrer Schwester nicht los, hochneurotisch sind sie einander auf Leben und Tod verbunden, blutsverwandt einander nah, beruflich miteinander konkurrierend, privat einander tyrannisierend und beide der Ruhmsucht heillos verfallen.

Derart entwickelt sich nun ein Schwesternduell, das in Mord und Totschlag endet. Akut ausgelöst wird es von der Filmretrospektive, die das Fernsehen gerade zu Ehren von Blanche zeigt, die ihrerseits die dem Whisky ausgelieferte Jane jetzt doch in eine Nervenheilanstalt abschieben will – was die Alkoholikerin allerdings mitkriegt und mit allen Mitteln zu verhindern sucht. „Du kommst aus diesem Haus nicht mehr raus“, bellt Stoyan die Schwester an. Und das ist mehr als nur eine leere Drohung. Mit grausamer Systematik kappt Jane die Außenbeziehungen der behinderten Blanche, die selber freilich keineswegs frei von Perfidie ist. Im Showdown, wieder vorm Gazevorhang, kommt es zur Auflösung des zwei Jahrzehnte zurückliegenden Rätsels der verbitterten Schwestern. Nicht die rachsüchtige Jane wollte ihre Schwester über den Haufen fahren, nein, es war umgekehrt: Blanche wollte Jane töten, aber dieses Attentat brach unglücklicherweise ihr selbst, der Attentäterin, die Knochen.

Krieg der Furien

Bis zum Finale spielen Harfouch und Stoyan nun zwei Stunden lang den Krieg der Furien, sprachlich grob und körperlich handfest roh. Stoyan kiekst im Sopran, wenn ihre Jane wieder zu Baby Jane werden will; und sie grummelt im Bass, wenn sie der Schwester Strafe androht. Harfouch indes bleibt als Blanche im nuancenreichen Alt – und was aus der Inszenierung hätte werden können, wenn sie denn je irgendein Ausdrucksziel gehabt hätte, ahnt man, als Blanche die ihr gewidmete Filmschau vorm Fernseher selbst kommentiert. Monologisch zieht sie über die Talentlosigkeit ihrer ehemaligen Regisseure her, die nicht kapieren wollten, dass das Publikum nur wegen ihr, der Leinwandgöttin, ins Kino geströmt sei. Und auf und ab gehen Stimme und Erregung, dann setzt die Diva eine Pause und hetzt aufs Neue los. In dieser Suada blitzt ein großer Abend auf, der dann aber wieder – und jetzt muss es raus – im Chargieren und Outrieren der beiden Hauptdarstellerinnen untergeht. Denn sie wissen nicht, was sie spielen sollen. Und deshalb bleiben sie nur zwei komische Alte, die mit ihrer hysterischen Routineshow weit unter dem Niveau liegen, für das sie – zu Recht – bekannt und berühmt sind.

Das Stuttgarter Kammertheater als Boulevardtheater: Corinna Harfouch und Catherine Stoyan hätten Besseres verdient als diese innerlich völlig ausgehöhlte „Baby Jane“.