Die verlorene Nervenschlacht um den Aufstieg, der WFV-Pokal-Triumph, die DFB-Pokal-Höhepunkte und eine bisher sehr starke Oberligasaison – 2022 bot für die Stuttgarter Kickers die geballte Ladung an Intensiverlebnissen. Wir blicken auf die wichtigsten Momente zurück.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Was das Schönste an seinem Hobby für ihn ist? „Das Schönste sind am Samstag die 90 Minuten Fußball. Das ist Adrenalin pur.“ Rainer Lorz sagte dies bei seiner Rede zu seinem 60. Geburtstag, den er am 14. Dezember feierte. Und natürlich waren dem Präsidenten der Stuttgarter Kickers noch die Intensiverlebnisse mit blauer Beteiligung in diesem ablaufenden Jahr in Erinnerung, die es in dieser geballten Form in der jüngeren Vereinsgeschichte nicht gab.

 

Das dramatische Rennen um den Regionalliga-Direktaufstieg mit dem SGV Freiberg hielt alle in Atem. Das Jahr begann mit einem Dämpfer. Am 9. März verloren die Kickers am 21. Spieltag vor 4650 Zuschauern im Gazi-Stadion das direkte Duell mit 1:2. Für den „lucky punch“ an jenem Mittwochabend hatte SGV-Torjäger Marcel Sökler gesorgt, per Kopf nach einer Ecke in der siebten Minute der Nachspielzeit. Nach diesem Nackenschlag betrug der Rückstand der Kickers auf den Spitzenreiter fünf Punkte und 22 Tore. Doch noch waren 17 Spieltage Zeit, um aufzuholen. Und tatsächlich zogen die Kickers am 9. April (28. Spieltag) mit einem 7:0 bei der Sport-Union Neckarsulm – Freiberg war nicht über ein 0:0 beim SV Linx hinausgekommen – mit einem Punkt am SGV vorbei.

Zwei schwache Spiele

Nun hatte das Team von Trainer Mustafa Ünal die Trümpfe für den Direktaufstieg in der eigenen Hand. Freiberg wurde nervös, trennte sich von Trainer Evangelos Sbonias, setzte ausgerechnet auf Ramon Gehrmann, den die Kickers Ende September 2021 gefeuert hatten. Der Effekt des Trainerwechsels blieb zunächst aus. Die Blauen konnten den Vorsprung am 31. Spieltag sogar auf drei Punkte ausbauen, den sie mit zwei schwachen Spielen (2:2 in Bruchsal, 1:2 gegen den FSV 08 Bietigheim-Bissingen) allerdings wieder verspielten. Am 33. Spieltag lag Freiberg wieder zwei Punkte vor den Kickers. Es blieb dramatisch. Ein 0:0 des SGV am 35. Spieltag gegen Bissingen nutzten die Kickers, um wieder gleichzuziehen. Punktgleich, aber mit der um 21 Treffer schlechteren Tordifferenz gegenüber Freiberg, ging es in den Showdown am letzten Spieltag.

Die Kickers mussten am 4. Juni zu den SF Dorfmerkingen, für die es gegen den Abstieg ging. Freiberg gastierte beim FC Nöttingen, der sich eigentlich nur noch ehrenhaft aus der Saison verabschieden wollte. Ohne große Hoffnungen auf ein Wunder reisten über 1000 Kickers-Fans auf den Dorfsportplatz auf dem Härtsfeld. Was sich dann dort abspielte, wird in der Vereinschronik der Blauen auf immer und ewig verankert sein. Relativ schnell war klar, dass die Kickers, trotz eines 0:1-Rückstands, das Spiel beim Team von Trainer Helmut Dietterle mit 3:1 gewinnen werden. Die Blicke aller Blauen gingen auf die Handys, auf den Liveticker in Nöttingen.

Vom siebten Himmel ins Tal der Tränen

Durch eine Fehlinformationen drang die Botschaft durch, das Spiel in Nöttingen sei 1:1 ausgegangen, was den Direktaufstieg der Kickers bedeutet hätte. Trainerteam, Präsident, Spieler fluteten völlig losgelassen den Platz, feierten frenetisch den vermeintlichen Aufstieg, ehe nach drei, vier Minuten der Absturz aus dem siebten Himmel ins Tal der Tränen erfolgte: In Form der Nachricht, dass Freiberg, doch noch zum 2:1 getroffen hat. Wie beim direkten Duell im März wieder in der Nachspielzeit, wieder nach einer Ecke, wieder durch einen Kopfball von Sökler.

Da war er wieder, der Fluch, den viele über dem Verein liegen sehen, seit dem Last-Second-Abstieg 2016 aus der dritten Liga. Dabei war der Fluch am 21. Mai 2022 eigentlich besiegt gewesen – durch das begeisternde 5:4 im Elfmeterschießen im WFV-Pokalfinale gegen den SSV Ulm 1846 vor 7300 Zuschauern auf der Waldau. Doch nicht nur am letzten Oberliga-Spieltag, sondern auch in den Aufstiegsspielen hatte das Glück den Kickers schon wieder die eiskalte Schulter gezeigt. Nach dem 3:0 gegen Eintracht Stadtallendorf musste auch am 14. Juni im Spiel bei Eintracht Trier ein Sieg her, um den Sprung nach oben zu schaffen. Doch mit neun Mann, Nico Blank/30. und Denis Zagaria/73. sahen Gelb-Rot, reichte es am Ende vor 8300 Zuschauern nur zu einem 1:1.

Zwei DFB-Pokal-Höhepunkte

Tränen flossen. Ein fünftes Jahr Oberliga war zur Gewissheit geworden. Doch Mannschaft und Verein gingen gefestigt aus dem Negativerlebnis hervor. Einen Energieschub brachte der DFB-Pokal-Triumph in der ersten Runde gegen Bundesliga-Absteiger SpVgg Greuther Fürth. Das 2:0 am 30. Juli vor 7500 Zuschauern durch die Tore von Denis Zagaria und David Braig zeigte die Klasse des Kickers-Teams. In der zweiten Runde am 18. Oktober vor den 10 000 Besuchern im ausverkauften Gazi-Stadion verloren die Blauen zwar gegen Europa-League-Champions Eintracht Frankfurt mit 0:2, gewann aber mit dem mutigen Auftritt die Herzen der Fans.

Neben der Kür lief aber auch die Pflicht absolut nach Plan. Im WFV-Pokal ist das Viertelfinale erreicht, in der Liga gab es lediglich eine Niederlage (0:2 beim FV Ravensburg) und drei Unentschieden, ansonsten Siege, die meisten davon fielen deutlich aus. Ganz besonders wertvoll: das 3:0 im Spitzenspiel vor knapp 5000 Zuschauern bei der SG Sonnenhof. Der Lohn am Ende eines mit Intensiverlebnissen gespickten Jahres: Die Kickers überwintern mit sieben Punkten Vorsprung (dazu der um 45 Treffer besseren Tordifferenz) vor Verfolger SG Sonnenhof Großaspach.

Mit zahlreichen Fotos blicken wir auf die wichtigsten Momente des Kickers-Jahres zurück. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie – viel Spaß!