Am Sturz des Fußball-Drittligisten Stuttgarter Kickers ans Tabellenende ist nicht nur die Verletzungsmisere schuld. Er ist auch auf hausgemachte Probleme zurückzuführen. Eine Analyse.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Die Schwaben gelten ja als Dichter und Denker, deshalb darf man auch im Sport mal ein wenig philosophisch werden – und auf den gebürtigen Marbacher Friedrich Schiller zurückgreifen, von dem der Spruch stammt: „Die wahren Optimisten sind nicht überzeugt, dass alles gut gehen wird, aber sie sind überzeugt, dass nicht alles schiefgehen kann.“

 

So oder so ähnlich dürfte sich derzeit Michael Zeyer fühlen. Als Sportdirektor der Stuttgarter Kickers nimmt die Kritik an seiner Person zu, weil er maßgeblich für die Personalpolitik des Traditionsclubs verantwortlich ist. Und derzeit haben die Blauen ihren Stammplatz – als Schlusslicht der dritten Liga. Daran ist nicht nur die Verletzungsmisere schuld, auch wenn die am Wochenende auf Mannschaftsstärke angewachsen ist. Zu lange schon dauert die Negativserie, die sich auf zwölf Spiele ohne Sieg ausgeweitet hat. Kein Zufall, die Probleme in Degerloch sind auch hausgemacht.

Kader

Am Samstag bei der 1:3-Niederlage in Köln hat sich in gewisser Weise zwar ausbezahlt, dass der Kader (mit dem aufgerückten Lasse Lehmann) inzwischen auf 27 Fußballer angewachsen ist. Dennoch ist unstrittig, dass er zu groß geraten ist. Das gibt auch Zeyer zu: „Wir haben sicher drei Spieler zu viel.“ Und just drei Spieler aus Nürnberg, wobei der beste (Max Dittgen) zum Nachbarn Großaspach gegangen ist. Bei allem Konkurrenzkampf ist so ein Überangebot wenig hilfreich, weder unter trainingsspezischen Gesichtspunkten noch unter psychologischen, wenn sich immer wieder Spieler auf der Bank oder gar nur auf der Tribüne wiederfinden.

Torhüter

Das Gerangel um die Plätze beginnt schon bei den Torhütern, bei denen nach der Degradierung von Korbinian Müller zum Ende der vergangen Saison eigentlich Ruhe einkehren sollte. Eine Fehleinschätzung. Das Spiel in Köln, als Carl Klaus beim 0:2 nicht gut aussah, heizt die Diskussion zum wiederholten Male an. Zumal der 21-Jährige sich schon in der Anfangsphase der Partie mal wieder als Feldspieler versuchte – das ging fast ins Auge und hat im Abstiegskampf nicht zu suchen.

Die Nibelungentreue Zeyers ist deshalb nicht nachvollziehbar, Talent hin oder her. „Wir werden noch viel Freude an ihm haben“, stimmt selbst der Präsident Rainer Lorz in die Lobeshymnen ein. Am Sonntag hat sich Klaus mit einem viralen Infekt erst einmal abgemeldet. Doch nicht nur deshalb ist es gut möglich, dass sein Konkurrent Rouven Sattelmaier am Freitag gegen den VfL Osnabrück nach überstandenen Sprunggelenksproblemen wieder zwischen den Pfosten steht. Die Torhüterdiskussion jedenfalls ginge damit munter weiter.

Engelbrecht

In der vergangenen Woche haben die Kickers ohne Not ein neues Fass aufgemacht – und Daniel Engelbrecht eröffnet, dass er sich einen anderen Verein suchen soll, möglichst noch in der Winterpause. Selbst wenn man an den sportlichen Qualitäten des Spielers zweifeln mag, hätte sich in diesem speziellen Fall – der Stürmer spielt bekanntlich mit einem Defibrillator, was Spieler und Verein wochenlang positive Schlagzeilen gebracht hat – eine harmonische Lösung finden lassen. Erst recht bei einem Club, der so gerne seine Leitlinien in den Mittelpunkt rückt. Eine davon lautet: „Kein Fußball ohne Herz“ – treffenderweise mit Engelbrecht als Bildmotiv. Dass eben dieser am Samstag in Köln aufgrund der Personalsorgen in der letzten halben Stunde doch noch ran muste/durfte, passt in das konfuse Bild.

Trainerwechsel

Natürlich hatte man nach sechs Niederlagen ein Argument, den Trainer zu entlassen. Doch bei Horst Steffen galten im Grunde andere Gesetze. Noch kurz zuvor wurde er als Heilsbringer gefeiert und schien unkündbar, er hatte einen guten Draht zur Mannschaft – und zum Präsidium. Dann reichte nahezu ein einziges Spiel (in Erfurt), um die Verantwortlichen zum Umdenken zu bringen. Quasi über Nacht wurde Tomislav Stipic verpflichtet, nicht zuletzt auch, weil die Kickers die Sorge hatten, dass ein anderer Verein ihren plötzlichen Wunschkandidaten wegschnappt. Bisher ging der Schnellschuss nah hinten los.

Stipic

„Man darf keine Wunderdinge erwarten“, hat Tomislav Stipic zum Amtsantritt gesagt. Das war vor fünf Wochen. Ein bisschen mehr als magere zwei Punkte aus vier Spielen wäre aber nicht zu viel verlangt gewesen. Der Effekt eines Trainerwechsels ist jedenfalls verpufft, zumal bisher auch kein klares Spielsystem erkennbar ist. Wobei eine weitere Trainerdiskussion von Zeyer im Keim erstickt wird: „Ich bin überzeugt, dass Stipic und sein Team die Wende schaffen“, sagt der Sportdirektor, dessen interne Stellung allerdings auch von der Trainerpersonalie abhängig ist. Zeyer fügt hinzu: „Die Umstellung geht nicht von heute auf morgen.“ Umso unverständlicher wird unter diesem Aspekt, dass der Wechsel mitten in der Runde – dazu noch unmittelbar vor einer sich anbietenden Länderspielpause – durchgeboxt worden ist. Und es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Kickers korrigieren müssten. Als Dirk Schuster im November 2012 entlassen wurde, folgte auf dessen Nachfolger Gerd Dais nach nur zehn Spielen Massimo Morales.

Ausblick

Die Kickers werden das tun, was die meisten Vereine in ihrer Situation machen. Auf den Trainerwechsel folgen Verstärkungen – wohl für Abwehr und offensives Mittelfeld. In der Schiller’schen Hoffnung, dass nicht alles schiefgehen kann.