Die Stadt will nach dem Wechsel des Klinischen Direktors Jürgen Graf nach Frankfurt die Führungsstruktur ihres Klinikums „zukunftsfähig gestalten“. Dies geschieht nach StZ-Informationen ohne Beteiligung des Geschäftsführers Ralf-Michael Schmitz.

Stuttgart - Der Stuttgarter Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) hat nach StZ-Informationen am Donnerstag die Fraktionen mit einer wichtigen Personalentscheidung überrascht: Professor Doktor Jürgen Graf, Klinischer Direktor des Stuttgarter Klinikums, verlässt nach nur zweijähriger Tätigkeit das durch seine Neu- und Umbauten sowie die finanzielle Schieflage im Fokus der Öffentlichkeit stehende Haus. Er hatte 2014 die Nachfolge von Claude Krier angetreten. Ein Grund für die Kündigung: Graf wurde am Donnerstag zum hauptamtlichen Ärztlichen Direktor und Vorstandsvorsitzenden des Klinikums der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität ernannt. Die Frankfurter werden das am Freitag kommunizieren.

 

Für Graf ist es ein weiterer Karrieresprung. In Frankfurt ist er künftig oberster Chef im Leitungsgremium. In dem als wirtschaftlich selbstständiger Eigenbetrieb der Stadt firmierenden Klinikum Stuttgart durfte er als Mitglied der Krankenhausleitung den allein fürs Operative und das strategische Management verantwortlichen Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz lediglich beraten und unterstützen.

Abschied zum „ungünstigsten Zeitpunkt“

Gegenüber den Fraktionen würdigte Wölfle die Arbeit des erst 45-jährigen Professors. Er habe ihn als agilen und kritischen Geist kennengelernt, der vieles angestoßen habe. Mit der Einschätzung, dass sein Abschied zum „ungünstigsten Zeitpunkt“ für das Klinikum komme, steht der Krankenhausbürgermeister nicht alleine. Auch der Gemeinderat hätte gerne für die anstehenden Veränderungsprozesse auf Grafs Kompetenz zurückgegriffen.

Hellhörig machen die Stadträte indes zwei konkrete Hinweise Wölfles: Dass die Verwaltung im Rahmen der seit Januar laufenden Begutachtung – Stichwort: wirtschaftliche Zukunftssicherung – gemeinsam mit der Firma Ernst & Young „die künftige Führungsstruktur des Klinikums zukunftsfähig“ gestalten und von den zuständigen Gremien absegnen lasse. Und dass die Stadt als Trägerin der Häuser an der Kriegsbergstraße und in Bad Cannstatt in der Übergangsphase die ärztliche und pflegerische Kompetenz in der Klinikumleitung sicherstellen werde. Weder am Krisenmanagement noch bei der Entscheidung über die künftige Unternehmensführung, die ihn konkret betrifft, soll demnach der heute allein fürs Klinikum verantwortliche Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz teilhaben.

Auch die Pflegedirektorin ist weg

Handlungsbedarf besteht aber nicht nur aus unternehmenspolitischer Sicht, die personelle Situation ruft nicht erst seit Grafs Kündigung nach einer neuen Ordnung: Lange vor ihm hatte mit der Pflegedirektorin Gudrun Klein ein weiteres Mitglied der Krankenhausleitung gekündigt. In ihrem Bereich hatte es diverse Pannen gegeben. Danach beklagte der Personalrat, Klein sei kurzerhand entmachtet worden, indem man ihr die Führungsverantwortung für den Pflegebereich entzogen habe. Die Geschäftsführung dementierte. Die Stelle ist seit Monaten unbesetzt.

Das Verhältnis zwischen Schmitz und der Trägerin Stadt Stuttgart gilt seit Längerem gleich aus mehreren Gründen als belastet. So wurde etwa eine Debatte zur Ausgliederung des Servicepersonals zur Unzeit angestoßen. Kontrovers wurde zuletzt im Krankenhausausschuss auch Schmitz’ Boni für geleistete Arbeit diskutiert. Der Geschäftsführer ist, abgesehen von LBBW-Chef Vetter, mit insgesamt 399 000 Euro der bestbezahlte städtische Manager und zudem mit einem Vertrag bis 2021 ausgestattet. Obwohl die Krankenhäuser 2014 ihren Fehlbetrag auf 24,5 Millionen Euro mehr als   verdoppelten, erreichte Schmitz’ Bonus die Rekordhöhe von 117 000 Euro. Es könne nicht sein, dass allein für das Einhalten gesetzlicher Vorgaben „wie das rechtzeitige Vorlegen des Jahresabschlusses bereits 20 Prozent vom Bonus fließen“, klagte seinerzeit CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Er vermisst in den Auftritten des Geschäftsführers häufig den nötigen Respekt gegenüber der Trägerin. Nicht nur für ihn agiert Schmitz derzeit völlig unangemessen.

Das Klinikum steckt tief in den roten Zahlen

Zuletzt musste sogar Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) einräumen, „aus allen Wolken“ gefallen zu sein, weil sich bei der Neuordnung des Klinikums wegen Baupreissteigerungen und Planabweichungen eine Erhöhung der Kosten von 800 Millionen auf 1,3 Milliarden Euro abzeichnen. Als mindestens ebenso gravierend wird der Umstand bewertet, dass das Klinikum in vielen Bereichen (Kinderklinik, Notfallpraxis, Palliativmedizin) defizitär arbeitet und – um eine Überschuldung zu verhindern – immer größere Geldspritzen aus dem laufenden Stadthaushalt benötigt. 24 Millionen Euro waren es zuletzt, dabei war einmal eine schwarze Null vereinbart worden. Dass nun externe Gutachter geeignete Restrukturierungsvorschläge unterbreiten und Systemänderungen erarbeiten, wird im Gemeinderat durchaus als Schwächung der Position des Geschäftsführers gewertet.

Angreifbar hat sich Schmitz aber vor allem durch diverse vertragliche Vereinbarungen mit Vertretern der libyschen Übergangsregierung sowie mit dem kuwaitischen Gesundheitsministeriums gemacht. Das Rechnungsprüfungsamt (RPA) identifizierte in seinem Jahresbericht „schwer kalkulierbare rechtliche und finanzielle Risiken“ im zweistelligen Millionenbereich bei der Abteilung „International Unit“, die sich um zahlungskräftige Patienten im Nahen Osten bemüht.

Stadt erwägt Schadensersatzforderung

Nach erfolgreicher Akquise hat sie es nach Ansicht der Kontrolleure in den kritisierten Fällen offenbar wegen fehlenden Personals bei der Vertragsgestaltung und der Abrechnung an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen. Dafür spricht, dass Schmitz dies im Ausschuss als Begründung für die Verluste anführte und den Prüfern zugesagt hat, die Geschäftsordnung zu optimieren und einen Verwaltungschef einzustellen. Die Stadtverwaltung hat sich vorbehalten, den oder die Verantwortlichen den durch die Verträge mit libyschen und kuwaitischen Partnern entstandenen Schaden in Rechnung zu stellen. Deshalb hat der Gemeinderat eine unübliche Entscheidung getroffen: Die Entlastung der Geschäftsleitung wurde zurückgestellt.

Die Rathausspitze fordert, die Leistungen in Kuwait einzustellen. Außerdem werden für ausländische Privatpatienten keine Regiekosten mehr übernommen. Das RPA hat seinen Abschlussbericht mittlerweile fertig, aber noch nicht veröffentlicht. Die Stadt bat zudem einen externen Fachmann um ein Urteil. Auch das steht noch aus.

Graf geht, die Probleme bleiben

Professor Doktor Jürgen Graf (46) ist Facharzt für Innere und Intensivmedizin sowie Anästhesiologie. Er habilitierte 2007 und wurde 2011 zum außerplanmäßigen Professor der Philipps-Universität Marburg ernannt. Vor seiner Tätigkeit am Stuttgarter Klinikum als Klinischer Direktor war er Leitender Arzt bei der Lufthansa in Frankfurt. Sein neuer Arbeitgeber hat 32 Kliniken und Institute sowie 20 Forschungsinstitute, 1307 Betten und rund 4500 Mitarbeiter.

Das Klinikum hat in den vergangenen Jahren 372 Verwundete aus Libyen behandelt – eine humanitäre Entscheidung, allerdings gab es keine ausreichende Bezahlung. Es fehlen von 28,4 Millionen Euro fast zehn Millionen Euro, auch weil an externe Vermittler 13,4 Millionen Euro für Unterbringung, Verpflegung und Taschengeld ausbezahlt wurden.

Beim Kuwait-Geschäft sollten die Stuttgarter helfen, die medizinischen Leistungen einer Klinik in Kuwait zu verbessern. Doch der Partner behält Geld zurück. Ob die Stadt in Kuwait klagen wird, ist noch unklar. Der Auftragswert betrug 46 Millionen Euro, fürs Klinikum sollten 16,4 Millionen Euro herausspringen.