Eventprofis haben aus der Pleite des Stuttgart Festivals 2016 gelernt. Sie setzen auf ein kreatives Modell und gründen Vereine. Das ist nicht nur finanziell geschickt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Pop und Insolvenz sind einander nicht fremd. Das hat jüngst die Stuttgarter Posse um das New Fall Festival gezeigt. Sein Veranstalter Hamed Shahin meldete Insolvenz an, zog dann zurück und erklärte, dass sein Festival künftig nur noch in Düsseldorf stattfinde. Damit war auch die Hysterie beendet, die Shahin mit seinem erfolgreichen Antrag auf 40 000 Euro städtische Förderung in der hiesigen, gerade mit einem Strukturwandel beschäftigten Popszene ausgelöst hatte. Clubkonzerte lohnen sich finanziell kaum noch, in die Bresche springen vermehrt Enthusiasten, öffentlich geförderte Einrichtungen – und Vereine mit speziellen Mitgliedern.

 

Ein besonders interessanter Vereinsmeier heißt Tobias Reisenhofer. Er hat mit der Absage des zweiten Stuttgart Festivals 2016 auf der Landesmesse 116 405,27 Euro verbrannt. Möglicherweise – er will sich gegenüber unserer Zeitung nicht äußern – konzentriert sich Reisenhofer deshalb jetzt auf eine andere Art Event. 2012 fing er mit dem Marienplatzfest an, vergangenes Jahr folgten das Europaviertelfest und im Dezember das Wouahou Winterdorf am Marienplatz. Alle Veranstaltungen verbindet neben einem kundig zusammengestellten Musikprogramm der Umstand, dass sie von Vereinen angemeldet und öffentlich gefördert wurden.

Die Vereine heißen Urban Culture oder Kesselglück und sitzen in einem Bürogebäude in der Herzogstraße 15 in Stuttgart – so wie Reisenhofers Eventagentur Do The Do, die insolvente Stuttgart Festival GmbH und die Firma Grüne Neun, mit der er öfters zusammenarbeitet. Dass der Eventmanager auch im Freikonzert e.V. und beim Marienplatzfest e.V. mitmischt, ist kein Zufall. Die Vereine beauftragen als Veranstalter der genannten Events ihre eigenen Mitglieder mit der Durchführung vom Musikprogramm bis zum Getränkeausschank. Ihre Leistungen können die Mitglieder dem Verein in Rechnung stellen.

Die Stadt fördert, ein Bezirksbeirat murrt

Die Vereine sind nicht gemeinnützig. Aber der zuständige Bezirksbeirat kann ihren Veranstaltungen dieses Prädikat verleihen und tut das auch in aller Regel. Dann erlässt die Verwaltung dem Verein die Gebühren für die Platzmiete, das sind etwa 8000 Euro für den Marienplatz. Wenn Events der guten Sache dienen, sammeln sich auch Sponsorengelder leichter ein: Zum Wouahou Winterdorf etwa schoss die Landesregierung relativ großzügige 8000 Euro zu, um bei den überwiegend jungen Besuchern ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu bewerben. Organisiert wurde das Event hauptsächlich von Tobias Reisenhofer und Kesselglück e.V.

Im Bezirksbeirat Süd, der für Events auf dem Marienplatz zuständig ist und regelmäßig Besuch von Vereinsvertretern bekommt, regt sich inzwischen Unmut, wenn auch anonym. „Wir geben den Marienplatz für umme, und dann wird dort richtig Geld gemacht“, sagt ein Mitglied. Die Events seien professionell organisiert und kämen gut an. Aber sie haben eben wenig mit einem klassischen Vereinsfest zu tun, bei dem Mitglieder ehrenamtlich Bier zapfen und Würste grillen. „Was treiben diese Vereine das restliche Jahr über?“, fragt das Beiratsmitglied.

Die Frage kann man an Michael Benz weitergeben. Er ist ebenfalls Mitglied in Event-Vereinen, welche die Westallee (dieses Jahr vom 12. bis 14. Juli) und das Marienplatzfest (am darauffolgenden Wochenende) veranstalten. Doch anders als sein ehemaliger Geschäftspartner Tobias Reisenhofer spricht der Gründer der Agentur Seven City offen über das Konzept „Verein organisiert Event“. Der 38-Jährige gibt offen zu, dass die Vereine Mittel zum Zweck sind. Sie erreichten gerade die Mindestanzahl von sieben Mitgliedern – genug, um eine Art Konsortium aus Eventprofis zu bilden. Benz’ Agentur ist beim Marienplatzfest laut eigener Website unter anderem für Projektsteuerung, Logistik sowie Behördenkram zuständig. Wie viel er dem Verein dafür in Rechnung stellt oder was der Marienplatzfest e.V. an vier ungetrübten Sommertagen verdient, wie viel vom Gewinn zurückgelegt und wie viel verteilt wird, sagt er nicht. „Das große Geld“, betonte er im Februar im Bezirksbeirat West, mache man nicht. Und das kleine?

Ohne Förderung kein Fest

Benz sagt: „Wenn wir als Verein nicht die Platzmiete erlassen bekämen, würden diese Events nicht stattfinden.“ Die Rechnung gehe so: Eintritt zu verlangen, sei viel zu aufwendig und würde die junge Zielgruppe ebenso abschrecken wie der Festles-Dreiklang aus Coverband, Biertisch und Zapfhahn. Ihr Geld verdienten die Vereine beim Getränkeverkauf und mit Sponsoren. Alle Beteiligten, beim Ausschank etwa „Kumpels und Kumpels von Kumpels“, würden fair entlohnt. Jedenfalls würden die Einnahmen, so Benz weiter, nicht beim Vereinsausflug verjubelt. Die Vereinskonstruktion hat vielmehr den Vorteil, dass Gläubiger in aller Regel höchstens ans Vereinsvermögen kommen. Dennoch: „Wenn es an zwei von vier Marienplatzfest-Abenden gewittert, fängst du an zu rechnen“, gesteht Michael Benz. Die Events seien für die Macher auch Herzenssache.

Ein paar Worte will Benz noch zur Popmusikförderung loswerden. Er schlägt einen städtischen Risikofonds vor, der einspringt, wenn eine Veranstaltung zum Beispiel wetterbedingt floppt. „Das würde die Hemmschwelle bei Veranstaltern senken“, sagt Benz. Dem Stuttgart Festival wäre damit ebenso geholfen gewesen wie dem keineswegs als Raffzahn bekannten Verein, der das Festival Umsonst und Draußen auf der Uni-Wiese in Vaihingen veranstaltet. Dieses Event, das heuer seine 39. Auflage erlebt, konnte vor 16 Jahren nach einer völlig verregneten Ausgabe nur durch Spenden gerettet werden.