Überall lauern Stromfresser: Im Museum sind es die Klimaanlagen, in den Buchverlagen das Papier, im Theater die Beleuchtung. Doch es geht auch anders. Wir haben uns nach vorbildlichen Ideen umgesehen. Und im Stuttgarter Kulturleben gibt es schon ganz schön viele davon.

Das Stuttgarter Kammerorchester hat es vorgemacht: Die Noten auf dem Tablet, mit dem Fahrrad zu Proben und Konzert, Ökostrom für die Heizung: Als nach eigenen Angaben erstes deutsches Orchester arbeitet und musizieren die Stuttgarter klimaneutral. . „Es wurden sämtliche Aktivitäten des Orchesters ebenso in den Blick genommen wie der ökologische Fußabdruck der eingekauften Güter und Dienstleistungen“, sagt Intendant Markus Korselt. Sogar der CO2-Ausstoß des Publikums sei berücksichtigt worden.

 

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Doch wie sieht es in anderen Institutionen aus? Wir geben einen Überblick über die Aktionen, wie das Kulturleben in Stuttgart (und dem Rest der Welt) auf die Herausforderungen der Klimakrise reagiert.

Buchverlage: Energiefresser Papier und die Auswege

Die Produktion von Büchern ist nicht nur an den enormen Verbrauch geistiger Ressourcen gebunden, sondern setzt auch in erheblichem Maß Treibhausgase frei. Und dabei ist das, mit dem der Käufer als Erstes in Berührung kommt, das Unversehrtheitssiegel der Plastikfolie, noch der geringste Posten. Die Herstellung einer Tonne Papier verbraucht so viel Energie wie die einer Tonne Stahl. Weitere Energiemengen verschlingen die Druckmaschinen. Die Farben werden auf Mineralölbasis hergestellt, hinzu kommt der Transport.

Immer mehr Verlage haben sich daher wie die Stuttgarter Unternehmensgruppe Klett-Cotta das Ziel gesetzt, so klimaneutral wie möglich zu werden. „Wir produzieren in Deutschland“, sagt die Herstellungsleiterin Ulrike Wollenberg. Damit sind nicht nur die Transportwege kürzer, man unterliegt auch einer strengeren ökologischen Gesetzgebung. Gedruckt wird auf Papier aus Holz von nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. Ein wichtiger Punkt, so Wollenberg, sei die Auflagenplanung: „Das Schlimmste sind Bücher, die umsonst produziert wurden. Deshalb achten wir von vornherein darauf, so wenig wie möglich makulieren zu müssen.“ Doch noch so optimierte Produktionsbedingungen setzen Emissionen frei, ohne Kompensationen durch die Unterstützung von Klimaprojekten geht es daher auch bei dem Verlag nicht, in dem die Bücher der Klimaaktivistin Luisa Neubauer erscheinen.

Filmproduktion: Nachhaltige Impulse aus Stuttgart

Ein Arbeitskreis namens „Green Shooting“ hat zum 1. Januar 2022 ökologische Mindeststandards für nachhaltige Filmproduktionen entwickelt. Diese sollen nach dem Willen der Filmförderungen von Bund und Ländern sowie der Kulturstaatssekretärin Claudia Roth zum 1. Januar 2023 einheitlich gelten für die gesamte deutsche Film-, TV- und Video-on-Demand-Wirtschaft. „Die Förderrichtlinien sollen noch stärker am Ziel der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden“, sagte Roth Anfang Februar. Der erste Impuls für nachhaltiges Produzieren und das Label „Green Shooting“ stammen aus dem Südwesten: Carl Bergengruen, Leiter der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) in Stuttgart, macht sich seit Jahren für das Thema stark. Die MFG bietet schon seit einiger Zeit Beratung an sowie einen selbst entwickelten CO2-Rechner.„Die Film- und TV-Branche verursacht viel höhere CO2-Emissionen, als wir alle denken, laut einer französischen Studie so viele wie die gesamte Telekommunikationsbranche“, sagte Bergengruen unserer Zeitung im Jahr 2020, „Filmcrews können die Emissionen um fast die Hälfte reduzieren, wenn sie Ökostrom und LED-Lampen einsetzen, weniger fliegen und mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen, auf Dieselgeneratoren und Einweggeschirr verzichten.“

Museen: Klimaanlagen als Stromfresser

Im Museum sind sie selbstverständlich: Klimamessgeräte. Temperatur und Feuchtigkeit werden streng überwacht – und die aufwendige Klimatisierung macht Museen zu den großen Energieverbrauchern der Innenstädte. Dabei gibt es längst Stimmen, die hinter der klimatischen Hochrüstung vor allem Technikgläubigkeit sehen – und nicht Notwendigkeit. Denn die größten Kulturschätze haben über Jahrhunderte bestens überlebt in kalten Kirchen und zugigen Schlössern. Die Staatsgalerie Stuttgart hat in den vergangenen Jahren auf LED umgestellt, Abfalltrennung eingeführt und den Wasserverbrauch reduziert, außerdem fährt die Kfz-Flotte elektrisch. Für die kommenden Jahre steht nun die Optimierung der Klimasysteme an. Denn auch wenn Experten vergeblich an die Politik appellieren, wird in den Museen noch lange Feuchtigkeit gemessen und werden zwanzig Grad als Optimum ausgegeben werden. Warum? Weil die Versicherungen diktieren, was als richtig gilt.

Bühne: Scheinwerfer leuchten mit LED

Wenn die Requisiteure Besorgungen machen muss, können sie aufs Rad steigen. Schon vor fünf Jahren hat die Stuttgarter Oper ein Lasten-Pedelec angeschafft. Inzwischen ist das Staatstheater dabei, auch den Fuhrpark sukzessive auszutauschen, immerhin sind täglich mehrere Lkw, Kleinbusse und Autos zwischen den Spielstätten und dem Großlager in Bad Cannstatt unterwegs. Das Dreispartenhaus hat sich den Umweltschutz als strategisches Ziel auf die Fahnen geschrieben. Verbräuche werden gemessen, Verbrauchsquellen identifiziert, Lieferanten befragt oder auch analysiert, ob das Publikum mit dem ÖPNV kommen könnte – oder ob das am Abendfahrplan scheitert. Ganz konkret wurde im Staatstheater bereits auf Ökostrom umgestellt, außerdem wird jeder Scheinwerfer, der kaputtgeht, durch LED oder Energiesparlampen ersetzt. Eines aber steht außer jeder Diskussion: Die Kunstfreiheit soll nicht durch die Klimapolitik beschnitten werden.

Popkonzerte: Coldplays Tanzboden erzeugt Energie

Pop schadet der Umwelt. Laut einer Studie verursachen in Großbritannien Tourneen jedes Jahr 405 000 Tonnen CO2-Emissionen. Wenn Musikerinnen und Musiker mit ihrer Crew und ihrem technischen Equipment kreuz und quer über den Globus reisen und große Arenen füllen, dann geht das nun mal nicht klimaneutral. Oder vielleicht doch? Coldplay wollen zumindest „so nachhaltig wie möglich touren“, wie Chris Martin, der Sänger der Band, erklärt. Die Briten haben sich drei Ziele gesteckt: erstens, die CO2-Emissionen um die Hälfte senken; zweitens, neue grüne Technologien erproben; drittens, durch die Finanzierung nachhaltiger Projekte Schadstoffemissionen kompensieren. Bei der aktuellen Tour der Briten kommt daher fast nur erneuerbare Energie zum Einsatz – etwa in Form wiederaufladbarer Showbatterien. Die Energie wird durch Solarenergie, recyceltes Speiseöl und einen stromerzeugenden Tanzboden – und damit vom Publikums selbst – erzeugt.

Streaming: Besseres Heimkino braucht mehr Strom

Netflix, Amazon Prime und all die anderen Streamingdienste sind Energiefresser und hinterlassen einen CO2-Abdruck. Modernste Prozessoren in den Serverfarmen und effizientere Kühlsysteme könne dabei nicht auffangen, dass der Gesamtmarkt dramatisch wächst. Aber nicht nur die wachsenden Serverfarmen für immer mehr Filme für immer mehr Kunden treiben den Stromverbrauch hoch, sondern auch die üppiger werdende Ausrüstung der Konsumenten. Die Streamingfalle: je breiter der Bildschirm, je höher die Auflösung, je schöner wir Heimkino erleben, desto höher der Verbrauch. Netflix verspricht, bis Ende 2022 immerhin die Netto-Null-Emission an Treibhausgasen zu erreichen. Nicht erst ab dann ist der Verbraucher gefragt. Bei Lieblingsfilmen etwa ist die Blu-Ray nachhaltiger als der wiederholte Streamingabruf. Und Filme sind ja nur ein Teil des Cloud-Lebens: Mehr lokale Software und mehr lokales Gaming statt Zocken in der Cloud senken den Verbrauch.

Kulturpolitik: „Kulturbetrieb muss klimagerecht sein“

„Klimagerechte Produktionsbedingungen im Kunst- und Kulturbetrieb“ – dieses Ziel setzt Petra Olschowski, Staatssekretärin im Kunstministerium und Mitglied der Grünen, in einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung für die künftige Kulturpolitik des Landes. Klimaschutz als „Sicherstellung und Bewahrung unserer Lebensgrundlagen“ sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dazu müssten alle ihren Beitrag leisten. Für die Kulturszene bedeute dies: „Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei allen Prozessen mitzudenken, das soll und muss Standard sein.“ Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf künftige Bau-Investitionen: „Alle Sanierungen und Neubauten im Kulturbereich müssen selbstverständlich klimagerecht geplant werden.“ Und: „Green Culture kann Impulsgeber für die Gesellschaft sein, kann Mut machen.“