Fast ein Jahr lang hat Andreas Magdanz im Stammheimer Gefängnis fotografiert. Jetzt zeigt er im Stuttgarter Kunstmuseum die Ergebnisse seiner Recherche mit der Fotokamera.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn Häftlinge ihre Mitinsassen nicht mehr ertragen können, wenn sie dabei sind, die Nerven zu verlieren und durchzudrehen, dann können sie für ein paar Stunden umziehen in die BGH-Räume – „besonders gesicherte Hafträume“. Dort gibt es kein fließendes Wasser, aber etwas, was in Viererzellen ein rares Gut ist: Ruhe, Einsamkeit und einen Hauch von Intimität.

 

Gefängnisse sind nie schön. Sie sollen es auch nicht sein. In Stammheim wurde Anfang der Sechziger ein ganz besonderer Knast gebaut – nach modernsten Erkenntnissen der Sicherheit. Für die RAF-Prozesse wurde 1975 noch ein Mehrzweckgebäude ergänzt. Aus Angst, die RAF könnte Hubschrauber landen lassen, wurden zahllose Stahlnetze gespannt. Ein trostloser Anblick, den Andreas Magdanz mit der Kamera eingefangen hat. Er hat für sein fotokünstlerisches Projekt eine Wohnung neben der Haftanstalt bezogen und das Gefängnis über Monate dokumentiert. Das Ergebnis dieser Langzeitrecherche präsentiert er als „Stuttgart Stammheim“ im Kunstmuseum .

Magdanz hat sich eine strenge Versuchsanordnung auferlegt und das Gebäude systematisch vom Erdgeschoss aus Etage für Etage mit der Kamera erarbeitet – bis hinauf in den siebten Stock, in dem Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe inhaftiert waren. Die Zellen sind kalte, unbelebte Kammern mit Heizkörper, Stahlwaschbecken, Tisch, Stühlen und Stockbetten.

All das ist von bedrückender Tristesse

Magdanz zeigt aber auch den Hof mit seinen einsamen Bäumen und steinernen Tischtennisplatten, mit trostlosen Pfaden durch darbendes Gras. Er hat den „Besucherraum Familien“ fotografiert, in dem die Glaskabinen verwirrend wie ein Spiegelkabinett wirken. Die „Mehrzweckhalle Presse“ besteht aus gläsernen Zellen mit altmodischen Signo-Telefonen, im Gerichtssaal ragen die Mikrofone vor der Anklagebank empor.

All das ist von bedrückender Tristesse, Stacheldraht, Strommasten und Laternenpfähle fungieren als kalte, grafische Elemente in einer entmenschlichten Zweckarchitektur. Aber erzählen diese digitalen Fotografien tatsächlich auch etwas vom Terrorismus in der Bundesrepublik und von dem „wichtigsten Ereignis der Nachkriegsgeschichte“, wie Andreas Magdanz sagt?

Der Fotograf, der immer wieder in der Architektur bundesdeutscher Geschichte nachspürt, hat für seine Stammheim-Dokumentation auch Gespräche mit Zeitzeugen geführt und Archive studiert, was er später in einen Katalog einfließen lassen will. Für ihn als Experten sind die Orte, die er bei seiner fotografischen Recherche besucht hat, „noch stark aufgeladen“, wie er es nennt.

Die Historie ist nicht ablesbar

In der Ausstellung dagegen stoßen die Fotografien an ihre Grenzen. Magdanz hat sie wie ein Archivar mit nüchternen Titeln versehen wie „Blick aus dem Schlafzimmer auf Bau 1“ oder „Flur mit Blick in Zelle 719“. Die Gewalttaten der RAF, der endlose Prozess, die Todesursachen der Häftlinge, all das mag der Architektur eingeschrieben sein. Ablesbar ist die Historie deshalb aber nicht. Die Fotografien enthüllen ihre Botschaft nur dem informierten Betrachter. Die Bilder werden nur dann zu Sinnbildern, wenn sie mit den Szenen aus dem kollektiven Gedächtnis angereichert werden.

Magdanz wollte Stammheim „auf der Bildebene zu Ende bringen“, wie er sagt. Und in der Tat markieren diese Fotografien einen Endpunkt, es ist wie ein Verstummen, ein letzter Nachhall. Stammheim als eine Ruhestätte, die für eine große politische Tragödie steht. Das Schwarz-Weiß der Fotografien, auf denen nie ein Mensch zu sehen ist, unterstreicht noch die Trostlosigkeit des Ortes, der in der Realität übrigens deutlich belebter ist. Denn dort, wo einst die Mitglieder der RAF starben, sind heute jugendliche Straftäter untergebracht.