Auch im zweiten Jahr ohne Volksfest sind Dirndl und Lederhose beliebt. Das sagen die Wirte und die Trachtenhersteller. Wir zeigen die Trends.

Stuttgart - Der Gastronom Michael Wilhelmer sagt „Herbstzeit ist Trachtenzeit“. Wie berichtet, hat er wieder seine Volksfest-Hütten vor dem Amici und dem Schlachthof aufgebaut hat. Das ist nicht nur ein Wunschtraum des Wirts, weil Dirndl und Lederhose im urigen Altholzambiente einfach ein fesches Bild abgeben, sondern offenbar auch ein Bedürfnis seiner Gäste. Manch eine(r) habe sich mittlerweile eine Zweit- oder gar Drittmontur angeschafft, die nun endlich mal wieder ausgeführt werden wolle, erklärt Wilhelmer. „Der Bestand ist da.“

 

Erstaunlich ist die Trachtendichte bei der „Wiesn da oben“ im Skybeach. An den Freitagen und Samstagen kommen, so schätzt der Betreiber Lothar Müller „95 bis 96 Prozent“ der Gäste in Tracht auf das Dach des Galeria-Kaufhof-Parkhauses beim Hauptbahnhof. „Das ist ein besonderes Event. Dafür macht man sich schick“, sagt der Festwirt auf Zeit. Auch bei Sonja Merz sind Dirndl und Lederhose sowohl in der Almhütte als auch im Trachtengarten „sehr, sehr gern gesehen“, wie sie sagt. Zur Pflicht möchte sie das Tragen nicht machen. Es gebe ohnehin wegen Corona noch genug Einschränkungen im Alltag. Aber viele Gäste kommen der Aufforderung offenbar sehr gerne nach.

Trachtenfläche ist abgebaut

Wird aber diese Saison auch das ein oder andere neue Outfit gekauft? Ein Indikator für die Nachfrage nach Dirndl und Co. ist der Platzhirsch des Stuttgarter Einzelhandels: Bei Breuninger ist die Trachtenfläche, die traditionell von April bis Oktober steht, dieses Jahr bereits wieder abgebaut worden. Die Ware sei noch im Online-Shop verfügbar, und wer einen Termin vereinbare, der könne sich die neuesten Kollektionen im Haus vorführen lassen, versichert die Geschäftsführerin des Stuttgarter Breuninger-Hauses, Andrea Girsch. Aber ein Zeichen für nicht allzu großes Interesse ist das trotzdem.

Auch das Ladengeschäft von Krüger Dirndl an der Marktstraße ist verwaist. „Das hat sich angeboten“, sagt Dominik Henne, einer der beiden Geschäftsführer des Trachtenherstellers. Der Mietvertrag sei ausgelaufen, und man suche nun angesichts der Dauerbaustelle Marktplatz eine neue, gleichwertige Ladenfläche, möglichst wieder in 1-A-Lage. Für diese Saison hat man bei Krüger mit erneut deutlich weniger Nachfrage gerechnet als vor Corona. Nun läuft der Verkauf laut Henne viel besser als erwartet, und man hat die Öffnungszeiten im Werksverkauf in Wernau (Kreis Esslingen) erweitert. „Wir werden auf niedrigem Niveau überrannt“, ist Hennes Fazit. Dabei spüre man die diversen Ersatz-Wasen-Veranstaltungen sehr positiv. Dazu kämen Trachtenhochzeiten und kleinere Feste.

Reißverschluss statt Schnürung

Auch für 2021 hat sich das sechsköpfige Designerinnen-Team von Krüger eine, wenn auch kleinere Kollektion ausgedacht. Den Trend, der das fortsetzt, was sich bereits vor Corona abzeichnete, beschreibt der Chef so: „Das Dirndl wird wieder einen Tick traditioneller. Hoch geschlossene Blusen laufen sehr gut. Statt der Schnürung hat das Mieder einen Reißverschluss oder wird geknöpft.“ Die Devise „mehr ist mehr“ der vergangenen Jahre funktioniere nicht mehr, so Henne.

Das zeigen mehr noch die aktuellen Modelle der Dirndl-Designerin Kinga Mathe, die von Stuttgart nach München umgezogen ist, und ebenfalls von guten Geschäften berichtet. Bei ihren Couture-Kleidern setzt sie in dieser Saison etwa lila Samtmieder ein, kombiniert mit einem schlichten dunklen Samtoberteil und einer zeitlos-edlen Seidenschürze in kräftigem Altrosa. Und auch Angermayer aus München propagiert das hochgeschlossene Dirndl aus Naturmaterialien.

Diskussion zur Historie

Aber vermeintlich Traditionelles hat noch lange nichts mit der historischen Bedeutung von Tracht zu tun. Ist die anhaltende Dirndl-Begeisterung also nichts mehr als die Lust am Verkleiden? Oder kommt damit doch eine gewisse Heimatliebe zum Ausdruck? Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion der Landesstelle für Volkskunde in Stuttgart, die am Donnerstag, 30. September, um 19 Uhr im Alten Schloss stattfindet. Sie ist Teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung „Fashion?! Was Mode zu Mode macht“. (Karten im Vorverkauf unter www.landesmuseum-stuttgart.de oder an der Museumskasse)

Der zeitliche Gleichklang ist übrigens Zufall: Die Veranstaltung, die ursprünglich im November 2020 stattfinden sollte, musste damals Corona-bedingt ausfallen und wird jetzt nachgeholt.