Die bisherigen Mieter in der Rotenwaldstraße 74 müssen für Wohngemeinschaften weichen. Marica Cujko kämpft um ihre Wohnung, in der sie schon 14 Jahre lebt, mit Hilfe eines Anwaltes. Fünf Jahre mehr würden ihr schon reichen, sagt sie.

Stuttgart - Wie viele Tage in ihrer Wohnung werden ihr noch vergönnt sein, ehe sie raus muss? Marica Cujko (51) weiß es nicht. Die langjährige Bewohnerin im Haus Rotenwaldstraße 74 im Stuttgarter Westen hat als Auszugstermin den 31. März gesetzt bekommen, aber sie wehrt sich per Anwalt seit vergangenem Jahr. Sie will sich mit ihrem Mann Ivan (58) nicht aus der Dreizimmerwohnung vertreiben lassen, in der sie seit 2006 lebt.

 

Die Wende zum Schlechteren kam 2019 mit dem Verkauf des Hauses, als gerade renoviert und neue Balkone angebaut gewesen seien. Der neue Eigentümer, dessen einschlägig tätiges Immobilienunternehmen aus der Nähe von Ulm ist und das dort mit ähnlichen Geschäften viel Staub aufwirbelte, schickte über seinen Rechtsanwalt neun Mietparteien im Haus Kündigungen. Der Tenor: die bisherige Vermietung sei nicht kostendeckend. Eine Anhebung der Miete durch Mieterhöhung biete „derzeit keine wesentliche Aussicht auf Erfolg“. Wenn man so eine Wohnung in mehrere Zimmer für eine Wohngemeinschaft umbaue, lasse sich eine deutlich höhere Miete erzielen, pro Zimmer 500 Euro kalt, heißt es in einem Schreiben. Das ist etwa das Dreifache des Jetzigen. Bei Fortsetzung der Mietverhältnisse würden dem Eigentümer also „nicht unerhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen“. Daher sehe er „leider keine andere Möglichkeit, als die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses auszusprechen“.

Über Abfindungen kann man reden, heißt es

Der Eigentümer und der Anwalt stellen das sogar als soziales Verhalten dar: Der Plan trage ja gerade dem Umstand Rechnung, dass im Raum Stuttgart erheblicher Wohnungsmangel herrsche. Künftig werde es in dem Haus Wohnraum „für mindestens doppelt so viele Bewohner“ geben. Gegenüber unserer Zeitung ergänzte der Anwalt, ein Mietvertrag sei eben nicht auf Lebenszeit angelegt. Man könne ihn kündigen. Über Abfindungen „kann man mit uns reden“.

Für Marica Cujko allerdings nimmt dieses Angebot dem Vorgang nicht den Schrecken. Denn eine andere Wohnung in Stuttgart zu finden, ist äußerst schwierig. Vor allem, wenn man sich die Wohnung mit einem Hund und zwei Katzen teilt. Außerdem macht ein Umzug große Umstände. Und das alles für fünf Jahre? So lange würde das Paar die 84 Quadratmeter große Wohnung noch gern behalten, denn dann wird Maricas Mann, der wie sie bei der Marché-Gastronomie in der Wilhelma arbeitet, in Ruhestand gehen. Dann zieht es sie in die alte Heimat Kroatien. Um so lange in der Wohnung bleiben zu können, hätte sie sogar eine moderate Erhöhung der Miete hingenommen, beteuert Marica Cujko. Mit ihnen habe aber niemand direkt geredet. Inzwischen sind die meisten Wohnungen geräumt, offenbar schon neue Mietverhältnisse in Vorbereitung.

Baumaßnahmen schon 2015 genehmigt

Die Vorgänge dort haben auch bereits den Mieterverein auf den Plan gerufen. Er zeigte beim Baurechtsamt den Verdacht auf Zweckentfremdung an. Die Umbauten dienten offenbar nicht der Verhinderung von Wohnungsnot, sondern der Gewinnoptimierung. Die Reaktion vom Amt verspricht keine Abhilfe. Ob eine abgeschlossene Wohnung an eine Person oder Familie oder als WG an mehrere Einzelpersonen vermietet werde, sei aus der Perspektive des Zweckentfremdungsrechts nicht zu ahnden, erläutert der Amtsvize Rainer Grund unserer Zeitung. Und mit dem Baurecht? Nun, genehmigt habe man im Jahr 2015 den Anbau von Balkonen und den Ausbau des Dachgeschosses im Sinne von zusätzlichen Wohnungen. Im Rahmen der normalen Baukontrolle hätten seit dem Auftakt von Baumaßnahmen im Jahr 2016 mehrere Kontrollen stattgefunden – ohne Beanstandungen.

Marica Cujkos Anwalt hat allerdings Einwände. Die Frage sei doch, ob jetzt noch jene Pläne umgesetzt würden, die 2015 genehmigt wurden. Damals sei von einem Wohnheim oder WGs nicht die Rede gewesen. Heute sei in den Kündigungsschreiben von einer Aufteilung der Wohnungen die Rede. Sogar im Keller entstünden offenbar Wohnräume. Es stelle sich die Frage, ob für dieses Konzept genügend Stellplätze nachgewiesen werden.

Die Stadt soll genauer prüfen, fordert der Mieterverein

Auch Mietervereinschef Rolf Gaßmann meint: „Das Amt sollte es dem Eigentümer nicht so einfach machen.“ Es rieche hier nach gewerblicher Vermietung – und daher Zweckentfremdung. Das Amt müsse genau hinschauen. Der Vorgang sei leider kein Einzelfall. Immer wieder würden in Stuttgart zurzeit Wohnungen aufgeteilt und die Zimmer mit gemeinsamer Küche und gemeinsamer Ausstattung an Wohngemeinschaften vermietet, um mehr Rendite zu machen. 600 Meter entfernt, in der Reinsburgstraße 167, ist es soeben auch bei zwei Wohnungen geschehen. Ein weiterer Fall wurde dem Mieterverein in der Hohenheimer Straße bekannt. In den beiden letztgenannten Fällen ist eine Agentur nun der Hauptmieter, der untervermietet. In der Rotenwaldstraße ist das wohl nicht der Fall. Aber: „Im Fall Rotenwaldstraße 74 wird das Renditestreben besonders dreist formuliert“, meint Gaßmann.