Timo John hat sich einen Kindheitstraum erfüllt: In seinem Stadtgarten in Stuttgart baut er seit zehn Jahren Obst und Gemüse an – und füllt wie zu Großmutters Zeiten seine Speisekammer mit Eingewecktem.

Stuttgart - Bei den Obstbäumen sind einfach die Pferde mit ihm durchgegangen. „Ich wollte halt so gerne alles haben“, sagt Timo John und zuckt entschuldigend mit den Schultern. So hat er vergangenes Jahr auf einer Fläche von etwa 30 Quadratmetern ein Dutzend Halbstämme gepflanzt – in zwei Reihen, dicht nebeneinander. Noch sind die Bäumchen, die einmal reichlich Früchte wie Äpfel und Birnen, Aprikosen und Feigen, Süß- und Sauerkirschen, Quitten und Weinbergpfirsiche tragen sollen, nur schulterhoch. „Wenn ich sie richtig schneide, wird das schon“, glaubt der 55-jährige Hobbygärtner. Seit zehn Jahren bewirtschaftet er ein Stückle auf der Heslacher Karlshöhe.

 

Das malerische, 900 Quadratmeter große Hanggrundstück, das er von der Stadt gepachtet hat, schmiegt sich zwischen eine Jugendstilvilla und einen Neubau – „als Frischluftschneise“, weiß Timo John, der heute als Wirtschaftsförderer für den Rems-Murr-Kreis tätig ist und auch einmal einige Jahre lang im Bezirksbeirat Stuttgart-Mitte saß. „Hier war alles komplett mit Brombeeren zugewuchert“, berichtet er aus den Anfängen seines Gärtnerdaseins.

Obst und Gemüse vom Südhang

Heute ist das anders. Eidechsen sonnen sich auf den Terrassenplatten. Im Beet wachsen Kräuter wie Minze und Melisse, Liebstöckel, Schnittlauch und Rosmarin. Der Meerrettich braucht noch ein bisschen. Auch der Grünkohl soll vorläufig weiterwachsen: „Für die Grünkohl-und-Pinkel-Party, die ich jedes Jahr gebe.“ Im neu angelegten Hochbeet stehen Auberginen und rote Beete, Karotten und Kohlrabi, Pastinaken und Peperoni. Kartoffeln gab es viele dieses Jahr. Und auch mit der Ausbeute an Zucchini und den Gurken ist Timo John zufrieden. Der Rhabarber und die Himbeeren sind schon lange abgeerntet. Auf die weißen und roten Trauben freut sich der Hobbygärtner. Und auch darauf, dass er hoffentlich bald die ersten Kiwi essen kann.

Zwölf Bienenvölker summen herum

Es sei nicht nur sein grüner Daumen, der zum Gelingen beiträgt: „Die viele Sonne macht’s.“ Die Erde des ehemaligen Weinbergs verbessert Timo John mit Kompost vom Grünguthof in Degerloch. Nicht nur die Pflanzen fühlen sich bei ihm wohl: Auch die zwölf Bienenvölker im Schatten unter den großen Bäumen liefern meist fleißig Honig ab. „Den zu schleudern ist eine Heidenarbeit. Die ganze Küche klebt danach.“ Die Gläser mit dem gelben Etikett „Stadthonig“ bietet der Hobbyimker in mehreren Geschäften in Stuttgart an. „Voriges Jahr waren es 140 Kilogramm. Dieses Jahr gibt es fast nichts.“ Es sei zu kalt gewesen, als die Obstbäume blühten und außerdem auch zu nass.

Landwirt als Traumberuf

Mit dem eigenen Garten hat sich der promovierte Kunsthistoriker John, der Autor mehrerer Gartenbücher ist und nebenbei auch eine regionale Stiftung leitet, einen lang gehegten Wunsch erfüllt. „Als Kind war mein Traumberuf ‚Bauer‘ – so einer wie vor 50 Jahren vielleicht, wie es ihn heute wahrscheinlich gar nicht mehr gibt.“ Er ist in einer Mietwohnung ohne Garten aufgewachsen. Die Ferien habe die Familie oft auf einem Bauernhof verbracht: „Das hat mir gefallen.“ Als John vor zehn Jahren auf der Suche nach einem neuen Hobby war, stellte sich schnell heraus: Gärtnern und Imkern waren genau das Richtige.

Zur Hälfte Selbstversorger

Timo John schätzt, dass er heute zu 50 Prozent Selbstversorger ist. „Nur Reis, Milch und Eier kaufe ich ein.“ Wenn er nicht alles verbrauchen kann, was er im Garten erntet – „Es gibt im Gartenmarkt ja immer nur Setzlinge im 12-er-Pack“ –, bringt er auch Gemüse oder Obst zur Schwäbischen Tafel an der Hauptstätter Straße. Oder er verschenkt es an Leute, die zufällig vorbeikommen und mit denen er ein nettes Schwätzchen hält.

Ansonsten schwört der leidenschaftliche Koch auf Großmutters Techniken im Haltbarmachen: Zum Treffen hat er eine Auswahl Gläser und Flaschen aus der prall gefüllten Speisekammer seiner Wohnung unweit des Bosch-Areals mitgebracht. Es gibt eingemachtes Apfelmus und Zwetschenkompott, Johannisbeermarmelade und Quittengelee, Himbeeressig und Honigwein, fermentierten Kohlrabi und eingelegte grüne Tomaten, Tomatensoße mit Zucchini und – ein bisschen exotisch – Auberginenmousse mit Sesampaste. Gerne empfiehlt er auch, Fleisch zu trocknen und hat gleich ein Stück Rinderschulter mitgebracht, in ein Leinentuch eingewickelt. „Drei Tage in Zucker einlegen, drei Tage in Salz, mit Kräutern marinieren und dann drei bis vier Wochen trocknen lassen. Das schmeckt viel besser als die Sachen aus dem Discounter“, ist Timo John überzeugt. Mit Schweinefilet funktioniere es im Übrigen auch. Den selbst gemachten Käse hat er mit eigenem Bienenwachs ummantelt und so haltbar gemacht. Auch an Camembert und Blauschimmelkäse hat er sich schon versucht. In der Corona-Zeit hat er begonnen, Nudeln und Ravioli zu machen: „Ich kenne jetzt alle italienischen Mamas von Mailand bis Sizilien“, lacht Timo John, der sich vor allem mithilfe von Videos auf YouTube kulinarisch weiterbildet.

Sauerteigbrot statt Pizzaservice

Dass das aufwendige Ernährungskonzept, das er für seinen Einpersonenhaushalt pflegt, nicht für jeden funktionieren kann, ist Timo John durchaus bewusst: „Eine Familie mit Kindern, in der beide Eltern berufstätig sind, kann diesen Aufwand nicht betreiben.“ Trotzdem versteht er nicht, dass viele Menschen so gar keine Freude am Kochen, Backen und Zubereiten von Mahlzeiten haben: „Ausgerechnet in der Hochphase der Pandemie¸ als alle mehr Zeit hatten, kam bei vielen ständig der Pizzaservice ins Haus.“ Er dagegen hat da lieber gelernt, sein eigenes Sauerteigbrot zu backen.

Den grünen Daumen gab’s nebenbei

Vielleicht kommt seine Neigung zum Selbermachen auch ein bisschen von zu Hause: „Wir haben als Kinder alles mitbekommen, was in der Küche passierte. In der Wohnküche auf der Eckbank, da saß man dann halt und hat gesehen, wie’s funktioniert.“ Wenn Timo John verreist, dann schwingt er sich auf sein Fahrrad und fährt beispielsweise vom Bodensee an den Königssee, von der Schweiz nach Rotterdam oder den Rhein-Rhone-Kanal entlang. Mit Rudi, dem Nachbarn und Bienenpaten von gegenüber, war Timo John auf einer Wellenlänge: „Wir haben immer gegenseitig nach dem Rechten gesehen.“ Jetzt ist der geschätzte Imkerfreund leider verstorben. Und Timo John muss erst mal jemanden finden, der so wie der Rudi Pflanzen und Bienen versorgt, wenn er selbst mal nicht da ist.