Mit einem besonderen Konzert verabschiedet sich Simon Schorr am 10. Dezember als Leiter des Stuttgarter Motettenchors.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Die Stuttgarter Chorlandschaft ist einzigartig. Spitzenchöre gehören dazu wie Ensembles, die von den vielen engagierten Laien getragen werden. In einer Serie stellen wir einige Beispiele des vielgestaltigen Chorschaffens vor.

 

Wenn Simon Schorr bei seinen Gymnasialschülern Ratlosigkeit erleben will, bittet er sie um die Erläuterung des Begriffs Motette. Aber auch bei vielen älteren Semestern wäre der Effekt ähnlich. Das ist auch kein Wunder, denn die Wissenschaft selbst bietet für diesen Begriff viele verschiedene Erklärungen an. Wer also wirklich wissen will, was eine Motette ist, geht am besten in ein Konzert des Motettenchors Stuttgart. Und dort erlebt er die außerordentliche Vielschichtigkeit von dem, was eine Motette alles sein kann. Dass es sich auf jeden Fall um Motetten handelt, also um mehrstimmigen Gesang von Werken mit überwiegend religiösem Inhalt, dafür garantiert Simon Schorr, seit 2001 musikalischer Leiter des Motettenchors Stuttgart. Und natürlich der Chor selbst, den es seit 1951 gibt. Seitdem ist er eine feste Größe im Stuttgarter Konzertleben.

Erstaunliche Kontinuität

Das spiegelt die erstaunliche Kontinuität auf der Leitungsebene wider: Der Gründer, Kirchenmusikdirektor Günter Graulich, leitete 60 Jahre lang dieses Ensemble bis 2001, Simon Schorr seitdem 16 Jahre lang. Das können nur sehr wenige Ensembles der Stuttgarter Musikszene nachweisen. Schorr hört jetzt allerdings aus Altersgründen auf, sein Abschiedskonzert ist am 10. Dezember um 19 Uhr in der Stiftskirche. Sein Nachfolger Felix Romankiewicz steht ebenfalls für Kontinuität: Seit 2008 ist er der ständige Korrepetitor des Chores.

Aber auch solch eine gewachsene und etablierte Einrichtung hat ihre Probleme. „Es gibt sehr viele und sehr gute Chöre hier in der Stadt, eigentlich zu viele“, so Schorr, „das macht es für uns immer schwieriger, uns zu behaupten“. Da wird es auch für eine Institution wie den Motettenchor schwierig, eine beständige Interessentenschar an sich zu binden. Für ihn kommt als Besonderheit hinzu, dass er zwar auf geistliche Musik spezialisiert ist, im Gegensatz zu den anderen Kirchenchöre in der Stadt aber nicht an eine bestimmte Gemeinde gebunden ist. „Bei denen gibt es meist enge Bindungen, sowohl was die Interessen betrifft als auch den gesanglichen Nachwuchs. Aber die Gründungsidee des Motettenchors war, einen freien Chor zu schaffen von Laien, die mehr wollen“, so Schorr, „wir haben aber eine gute Zusammenarbeit mit der Matthäuskirche entwickelt.“

Denn ein Problem ist auch, neue Mitglieder für den Chor zu finden: „Auch da wollen sich viele nicht mehr länger binden“, so Ulrike Kappelmann, Vorständin des Chors, „sondern entscheiden sich für Projekte, die zeitlich befristet sind“.

Bestens vernetzt mit Profis

Dabei hat der Motettenchor einiges zu bieten: Außer Probenbesuchen gibt Schorr noch Stunden zur Stimmbildung. Dabei hat er aber auch festgestellt: „Immer wieder kommen welche mit ziemlich überzogenen Erwarungshaltungen“. Und es gibt jährlich drei größere Projekte zur Advents- sowie zur Passionszeit und im Frühjahr. Dazu gehört dann häufig instrumentale Begleitung. Schorr ist da bestens vernetzt mit den Profis in der Stadt, die etwa bei den Radiosinfonikern oder im Opernorchester spielen. Wer da was kann, weiß er auch sehr gut durch seinen Vater Dieter Schorr, der viele Jahre lang Musikkritiker der „Stuttgarter Nachrichten“ war. „Es ist gut, wenn man solche Leute hat. Da sind die Proben kompakt, alle sind bestens vorbereitet“, so Schorr. Dies ist so eine der Möglichkeiten, in der Laien über sich selbst hinauswachsen können.

Bachs Weihnachtsoratorium, Händels „Messias“, diverse Passions-Vertonungen – das gehört zum Standard beim Motettenchor. Doch im Laufe der Jahre hat Schorr die Fühler auch immer wieder ausgestreckt in Richtung zeitgenössische Vokalmusik. Dazu zählte etwa ein Stück seiner Mutter, der Komponistin Eva Schorr oder ein Oratorium mit Texten von Anne Frank. „Das ist eine Herausforderung für uns Sänger, da sind auf einmal viele ungewohnte Klänge im Ohr“, so Kappelmann, „man musste erst mal herausfinden, ob man überhaupt in der richtigen Tonlage singt und wie sich das zu einem ganzen fügt.“ Schorr: „Das ist mit sehr vielen Mühen verbunden, doch dieser Aufwand wird nicht immer wirklich belohnt. Mit dem Weihnachtsoratorium bewegt man sich da doch in vertrauten Bahnen. Aber es gab auch Zeiten, da lief es sehr gut mit solchen Projekten“.

Besonderes zum Abschlusskonzert

Zum Abschlusskonzert am 10. Dezember hat sich Schorr nochmals für selten zu Hörendes entschieden: Die Kompositionen „Die heilige Nacht“ und „Zion“ des Dänen Niels Wilhelm Gade. „Das ist Musik der Hochromantik“, so Schorr, „das ist voller Melodien, eng verbunden mit dem Spiel des Orchesters“. Vergleiche zu Gades Lehrer Felix Mendelssohn-Bartholdy sind naheliegend, von dem an diesem Abend noch „Vom Himmel hoch“ gespielt wird.

Wer an den künftigen Aktivitäten des Motettenchors im kommenden Jahr teilnehmen möchte, kann sich jetzt schon melden. Für das selten aufgeführte Werk „Via crucis“ von Franz Liszt werden noch Sänger gesucht (24. März) sowie für „Die Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky (15. Juli).