Früher hat Stefan Strumbel in Stuttgart illegal gesprüht, heute ist er für das Bühnenbild der Puccini-Oper La Bohème verantwortlich. Der junge Künstler-Wilde aus dem Schwarzwald versucht sich gern an ausgefallenen Projekten.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - An der Stuttgarter Oper wird selbst der Defibrillator hübsch in Szene gesetzt. In einem dunkelbraunen Holzschrank ist das lebensrettende medizinische Gerät hinter einem schweren Vorhang versteckt. „Mich erinnert das an einen Beichtstuhl, diese Installation könnte man genauso ausstellen“, sagt Stefan Strumbel. Strumbel gilt derzeit als einer der erfolgreichsten jungen deutschen Künstler. Früher hat der 35-Jährige als Graffiti-Sprayer illegal S-Bahnen und Gebäude verschönert. Heute hängen seine Werke bei Karl Lagerfeld und in der Villa Reitzenstein. Für die Stuttgarter Oper hat er das Bühnenbild für „La Bohème“ gestaltet, die heute Premiere feiert. Vom Graffiti-Künstler zum Kultur-Darling – wie konnte das passieren?

 

„Medial ging es ab 2006 so richtig rund, als ich erst eine Geschichte im „Stern“ gestalten durfte und dann auf einer Doppelseite in der New York Times abgefeiert wurde“, erinnert sich Strumbel. Seitdem gilt Strumbel als der junge Wilde aus dem Schwarzwald, der den Heimat-Begriff entstaubt hat. Bollenhut, Bambi und Schwarzwälder Kirschtorte transferiert er dabei in den Kontext der Pop Art. Seine Kuckucksuhren sind schreiend bunt, statt Klöppel baumeln in seinen Uhren schon mal Handgranaten. „Ich habe das Thema Heimat sehr früh besetzt. Heute wird es von der Industrie ausgeschlachtet, jeder Dorfmetzger kehrt zurück zur Heimat“, so Strumbel. Die kollektive Heimatsuche erklärt sich Strumbel mit den Überforderungen der digitalen Welt: „Je mehr wir bei Facebook nur noch imaginäre Freundschaften pflegen, desto stärker sind wir doch alle auf der Suche nach Heimat, nach Geborgenheit.“

Strumbel macht aus Playboyhasen Playboywildschweine

Dabei verortet Strumbel seine Heimat nicht an einem konkreten Ort, sondern erklärt sie mit einem Gefühl. „Der Geruch eines frisch gewaschenen Handtuch bei meiner Mutter, das mich an Kindheit erinnert, das ist für mich zum Beispiel Heimat, nach der jeder jeden Tag sucht“, so Strumbel, auf seinem Kopf der obligatorische Hut, unter den Ärmeln seines schwarzen Hemdes blitzen die Tätowierungen hervor.

Derzeit ist Suttgart Heimat für Strumbel. Die Arbeit an der Oper Stuttgart hat ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er das hiesige Nachtleben links liegen gelassen hat. Auf seinem iPhone zeigt Strumbel Details seines Bühnenbildes. Hier hat er einen Mercedesstern in ein Peacezeichen umgestaltet, dort hat er den Schriftzug „Heimat loves you“ auf eine Wand gesprüht. Den Playboyhasen hat er für Puccinis Werk in ein Playboywildschein umgewidmet.

Die Oper Stuttgart versucht sich zu verjüngen

Stefan Strumbel als Künstler in „La Bohème“ einzubinden, war ein schlauer Schachzug der Stuttgarter Oper auf dem Weg in die Verjüngung. Das Staatstheater hat es mit Armin Petras vorgemacht. Zu dessen Spielzeiteröffnung legte im Herbst DJ Schowi auf, die Gäste der Premierenparty waren erschreckend jung. „Viele Menschen aus meinem Umfeld haben mich jetzt nach Karten für die Oper gefragt“, so Strumbel. Ein Künstler, der aus dem Hip-Hop kommt, versöhnt nun also Hochkultur und Street Art? „Puccini gibt vier Bühnenbilder vor. Für mich war es faszinierend, im Team mit der Dramaturgie solch ein Kunstwerk zu gestalten. Im Museum erzähle ich meine eigene Geschichte, hier erzähle ich eine Jahrhundertstory, die erst im Zusammenspiel mit Licht und Gesang so richtig wirkt“, erzählt Strumbel.

Seine Sprache verrät dabei deutlich, wo er herkommt. Wenn er beschreiben will, wie sehr in jetzt die Oper begeistert, sagt er, er sei „addicted“, also süchtig nach der Oper: „Ich fiebere bei jeder Probe mit. Oper ist kein Kino, auf der Bühne geht es richtig ab.“ Bei der Generalprobe sitzt er neben dem Regiepult und bestaunt sein Werk. Vor allem das zweite Bühnenbild, eine Café-Situation, ist spektakulär, ein greller LSD-Trip mit einer überdimensionierten Spätzlespresse in Gold an der Wand, die pinke Teigwaren hervorbringt, während im Bühnenbild allerlei Eisbären und sonstige seltsame Gestalten umhertollen. Und in einer Nebenrolle brillieren die Stühle des Café Scholz am Marktplatz. „Das scheint ja für viele Stuttgarter auch eine Art Heimat gewesen zu sein“, greift Strumbel sein Lieblingsthema auch in „La Bohème“ wieder auf.

Früher hat Strumbel in Stuttgart illegal gesprüht

Wenn Strumbel früher in Stuttgart unterwegs war, hat es ihn weniger in die Scholz-Welt gezogen. Seine Arbeiten sind in alten Graffiti-Büchern zu finden. „Die ein oder andere S-Bahn-Haltestelle kam mir gleich wieder bekannt vor“, sagt Strumbel doppeldeutig. Seine Vergangenheit in der Illegalität hat ihm eine Hausdurchsuchung eingebracht samt Vorladung vors Gericht. „Die Richterin meinte damals, dass sie mein Bild kaufen würde, wenn ich es nur auf eine Leinwand gesprüht hätte. Meine Akademie war aber eben die Straße, Züge waren für mich die geilste Leinwand. Da konntest du irgendwo am Bahnhof stehen und einen echten Strumbel vorbeifahren sehen.“

Nach der Premiere von „La Bohème“ heute Abend geht es für Strumbel langsam wieder in seine Herzensheimat zurück – nach Offenburg. „Ich habe es mal in Berlin versucht, dort war die Ablenkung aber zu groß. In Offenburg sind meine Eltern, mein drei Jahre alter Sohn und meine Freunde. Mit dem Schwarzwald im Rücken habe ich einfach viel mehr Power“, sagt Strumbel und verabschiedet sich. Längst ist der junge Wilde selbst zu einem Gesamtkunstwerk geworden: der Maler Marcello, der in der Oper den Bohemian verkörpert, ist im Kleidungsstil an Strumbel angelehnt: er trägt Hut, Sonnenbrille und Turnschuhe.