Das alte Stuttgarter Paketpostamt sollte mal Interimsspielstätte der Staatsoper Stuttgart werden. Diese Idee wurde verworfen, aber ab 2. November begibt sich das Musiktheater jetzt dennoch dorthin. Bei Béla Bartóks Zwei-Personen-Stück „Herzog Blaubarts Burg“ reibt sich auf spannende Weise ein intimes Kammerspiel am riesigen Raum. Konsequent, dass man für die Inszenierung einen Installationskünstler engagiert hat.

Stuttgart - Ein bisschen muss das für ihn sein wie ein Déjà-vu: Mit dem Fahrrad kommt Titus Engel zur Arbeit, greift zum Stock, blickt über dem Notenpult hinweg auf einen Haufen leerer Stühle, gestikuliert dann vor einem einsamen Pianisten, und immer wieder unterbricht ihn jemand aus dem Off, der dieses anders und jenes noch einmal hören will. So in etwa darf man sich das Leben eines Dirigierstudenten vorstellen, und so in etwa ging es in der vergangenen Woche im Paketpostamt an der Ehmannstraße zu.

 

Den Ort, den man nur findet, wenn man weiß, dass er das Ziel der rasenden DHL-Transporter auf der Zufahrtsstraße ist, hatte man sich mal ausgeguckt als Übergangsspielstätte der Staatsoper während der dringend anstehenden Sanierung. Aus Kostengründen und wegen fehlender Nachnutzungsmöglichkeiten wurde dies verworfen, aber als noch alle im Staatstheater glücklich waren über die endlich gefundene Interimsspielstätte, hatten der neue Opernintendant Viktor Schoner und sein Team bereits entschieden, dass man das Publikum vorab ein bisschen neugierig machen wollte auf die Begegnung von Hochkultur und Off-Location. Béla Bartóks Einakter von 1918, die wohl düsterste unter den fünf Blaubart- Opern, lag schon deshalb nahe, weil es dort um Türen geht, die geöffnet werden, um die Erkundung eines unbekannten Gebäudes.

Gleich zwei Beteiligte beginnen diese Produktion mit dem Fahrrad. Der eine ist der Dirigent, der sich bei der Probe wie dereinst im Studium mit einem Mann am Klavier (dem virtuos aus der Partitur spielenden Korrepetitor Stefan Schreiber) begnügen muss. Der andere heißt Falk Struckmann, ist Bassbariton und spielt jenen märchenhaften Herzog Blaubart, der seiner dunklen Vergangenheit nicht entkommt.

Eigentlich, mag man denken, passt nichts weniger in diese riesige Halle als Bartóks intimes Zwei-Personen-Kammerspiel. Aber wenn es einem gelingen kann, das Gegensätzliche zusammenzubringen, dann einem Mann der Kunst, der vor allem für installative Raumgestaltungen bekannt geworden ist. Deshalb darf der Belgier Hans op de Beeck am Nordbahnhof erstmals nicht nur das Bühnenbild für ein Stück Musiktheater schaffen, sondern selbst inszenieren..

Das Publikum schaut einem Paar beim Streiten zu

Bei op de Beeck ist Blaubarts Burg ein schwarzer Bootssteg mit Rettungsringen und dunklen Zweiradsilhouetten; das Wasser, das man zur Premiere in die Becken darunter füllen wird, umfließt dann auch zwei mit Früchten und Blumen beladene Boote sowie diverse Sandbänke mit großen schwarzen Fässern und winterlich kahlen, verkümmerten Bäumen. Fünfzehn Guides werden bis zu 444 Zuschauer in Gruppen durch das Wasser zu ihren Plätzen rechts und links des Stegs geleiten, werden ihnen Überschuhe geben, damit ihre Füße trocken bleiben, Decken, damit sie nicht frieren, und eine kleine ironische Einführung ins Stück bekommt man von ihnen auch. Das Schwere des Stücks will op de Beeck so ein bisschen leichter machen.

Danach soll man sich als Voyeur fühlen. Der Saal, ein Teil nur der riesenhaften Halle, ist mit schwarzen Stoffbahnen abgehängt, durch deren Ritzen man bei der Probe noch Massen von Paketen sehen kann und Männer, die sie hierhin und dorthin verladen. Schallwände, die vor den Raumtrennern aufgestellt sind, sorgen dafür, dass sich der Klang nicht allzu diffus im Raum verteilt, und eine deutsche Übersetzung wird es auch geben.

Gesungen wird auf Ungarisch. Bei der Probe feilt Blaubart noch eifrig an der schwierigen Aussprache; die Souffleuse sekundiert ihm über einen Knopf im Ohr. Ein „Catwalk“, sagt der Regisseur, soll der Steg sein, den er entwarf; auf ihm, dicht vor den Augen des Publikums, bewegt sich erst Falk Struckmann und dann Claudia Mahnke, die mit einem Rucksack bepackt durch das Wasser zu ihm stößt.

Das Künstliche soll immer sicht- und spürbar sein

„Ich bin“, sagt Hans op de Beeck, „kein Mann der großen Gesten. Ich wollte reduzieren, wollte nicht die Symbole des Stücks illustrieren. Lieber Metaphern zeigen: die dunkle Landschaft, das Wasser, das vielleicht der Tränensee ist, von dem das Libretto spricht, vielleicht aber auch einfach die dunkle Seele des Mannes.“

Das Konstruierte, Künstliche soll immer sichtbar sein, das Publikum stets spüren, dass es nur in einer Attrappe sitzt. Und die Handlung? Ganz einfach: „Da sind zwei einsame Menschen in einer Landschaft; sie treffen sich, sie küssen sich, sie streiten, und sie trennen sich. Sie kommt aus einem bürgerlichen Leben, wünscht sich etwas Anderes, Dunkles, Rohes. Er weiß, dass es wieder schief gehen wird, aber er tut es dennoch, immer wieder.“ Dabei ist das Orchester für den Regisseur der dritte Mitspieler im Stück: ein Gegenüber, mit dem die Sänger immer wieder Kontakt aufnehmen sollen.

Und wie findet er nun der Raum? Ach, sagt Hans op de Beeck: Als er erfahren habe, wo er inszenieren solle, habe er erst einmal geseufzt – weil er als bildender Künstler oft in solchen Gebäuden sei und deshalb im Theater ganz konventionelle Bühnen „mit Guckkasten und Vorhang“ bevorzuge. Nun aber sei der Raum „so, wie ich ihn gebaut habe“. Dann geht der freundliche, scheue Mann zurück zu den Künstlern, um mit ihnen an den Positionen zu feilen. Das Licht wird hinzu kommen. Schließlich soll diese musiktheatralische Performance-Installation so etwas werden wie ein bewegtes Stillleben: „Je beschränkter ein Setting ist, desto präziser muss man arbeiten.“