Unikate sind das Gegenteil von Massenware. Die Show „Unikate“ zum 15. Geburtstag des Dinnerzeltes Palazzo summiert Einmaligkeiten aus Poesie, Comedy, Artistik und Harald Wohlfahrts Küche zu einer Sternstunde des Varietés. Das ist Wellness für die Sinne. Am Donnerstag war Premiere auf dem Wasen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Daniel Reinsberg ist selbst ein Unikat. Geboren ist der Berliner in Äthiopien und wurde von deutschen Eltern adoptiert. Wenn der dunkelhäutige Conférencier, Bauchredner und Gute-Laune-Garant im Spiegelpalast auf dem Cannstatter Wasen vor das Publikum tritt, wie am Donnerstagabend bei der Premiere der vor einem Jahr in Graz uraufgeführten Show „Unikate“, kann er Gedanken lesen. Der Afrodeutsche, der mit seinem Scholli spricht, mit einem vorlauten Handpuppen-Pinguin, spürt die Fragen, die in den Köpfen der Stuttgarter Palazzo-Gäste kreisen: „Woher kommst du? Von was lebst du? Und hast du was zu rauchen?“

 

Rauchen verursacht neun von zehn Lungenkarzinomen, es bedroht die Potenz. Wir kennen die Warnhinweise mit den Schockbildern. Ein Besuch bei „Unikate“ im Palazzo-Zelt hingegen fördert die Gesundheit. Die Eintrittskarten (sie kosten inklusive Menü zwischen 89 und 146 Euro) sollten auf Rezept verschrieben werden. Sobald man das Zelt betritt und in das Abendrot des Chapiteau mit funkelnden Sternen am Stoffdach und den Kerzenglanz auf den feierlich gedeckten Tischen eintaucht, schaltet man in den Wohlfühlgang runter. Seit 15 Jahren zählt Stuttgart zu den Umsatzbringern des in Hamburg ansässigen Palazzo-Imperiums.

Die Zeltband Sidewalkers reißt das Publikum mit

In diesen 15 Jahren hat sich nicht nur der Standort geändert (einst fing’s auf dem Pariser Platz hinterm Bahnhof an), sondern auch die Dramaturgie. In den Anfängen war das Spektakel wilder und chaotischer als heute.

Früher musste der Zuschauer damit rechnen, von einem (w)irren Artisten entführt und an eine Säule gefesselt zu werden. Mittlerweile sind die Shows gediegener, ja entspannter. Im Vordergrund stehen Glücksgefühle zur Entschleunigung für Genießer, die im Alltag rastlos sind. Obendrein sieht man nun von allen Plätzen gut. Einst standen im kleinen Zirkuszelt zwölf Säulen und verbauten die Sicht. In der neu errichteten Spielstätte, die sich an Vorbildern der 1930er orientiert, aber moderne Techniken nutzt, sind es nur sechs Säulen. Leichtfüßiger scheint auch die Show zu sein. Erneut reißt die Band Sidewalkers mit und spielt Ohrwürmer unikatgerecht auf eigene Weise.

„Die wichtigsten Sterne“ sind für Harald Wohlfahrt seine Enkel

Über Jahrzehnte besaß Harald Wohlfahrt quasi einen zweiten Vornamen: „Dreisternekoch“ stand bei ihm stets noch vorne dran. Mit seinem Ausscheiden zum Ende des vergangenen Jahres aus den Schwarzwaldstuben in Baiersbronn hat er sich vom Druck befreit, immer der Beste sein zu müssen. Sein neues Leben, sagt der 63-Jährige, der als lebende Kochlegende gilt, genießt er sehr. „Wie dumm ich war“, findet der Star seiner Zunft, „dass sich mein altes Leben über Jahrzehnte auf wenigen Quadratmetern in der Küche abgespielt hat.“ Michelin-Sterne seien ihm nun egal. „Die wichtigsten Sterne“ sind für ihn nun „meine Enkel“, sagt er.

Nach dem Zerwürfnis mit seinem einstigen Chef „wegen einer Vorsorgeuntersuchung“ sei er froh, mehr Zeit für die Familie zu haben. Für eine Darmspiegelung war Wohlfahrt für einen Tag krankgeschrieben. Am Abend sah sein Chef bei Facebook ein Foto seines Spitzenkochs bei einer Veranstaltung – und warf ihn hochkant raus, ungeachtet aller Verdienste. Am Ende einigte man sich auf die Zahlung einer Abfindung vor Gericht. Dies freilich sind alte Geschichten, die höchstens noch dazu taugen, Späße darüber zu machen. Und im Palazzo-Zelt werden gern Späße gemacht.

Der vegetarische Anteil liegt bei etwa zehn Prozent

Im neuen Leben hat Wohlfahrt mehr Zeit, bei seinen beiden Palazzo-Spielstätten in Stuttgart und Mannheim vorbeizuschauen. Wie sich das auf die Konstanz der Qualität auswirkt, wird sich zeigen – die Spielzeit der Show endet erst am 10. März 2019. Bei der Wahl des Hauptgangs bleiben ihm wenige Alternativen. „Es muss etwas sein, was die meisten Gäste mögen“, sagt er. Bei der Premiere dabei: Boxerin Alesia Graf, Rennfahrer Bernd Mayländer, die Designer Tobias Siewert und Manuel Kloker, Ex-Fußballstar Karlheinz Förster.

Zum kleinen Jubiläum hat sich der Maître für einen Klassiker entschieden. Die Barbarie-Ente wird glasiert an der Keule serviert, mit würzig-intensivem Aroma. Vegetarier (es sind etwa zehn Prozent der Besucher) bekommen Buchweizennudeln mit Gewürztomaten, Artischocken und altem Balsamico.

Der zweite Gang (Curry-Velouté mit Coco-Bohnen, Steinpilzflan und Gemüsechips) sowie das Dessert (Pannacotta auf exotischem Früchtecocktail) sind bei beiden Menüs gleich. Fisch (Heilbutt auf Auberginenkaviar) gibt’s als ersten Gang bei den einen, Beluga-Linsen-Salat bei den anderen. Das Menü wird den hohen Ansprüchen eines Spitzentreffens von Unikaten gerecht.

Einzigartig sind Artisten wie Milanea & Christopher am Trapez, der wortlose Komiker Herr Riesling, das finnische Akrobatenduo Lotta & Stina (sie treten in Liebestötern auf), Hula-Hup-Künstler Igor Boutorine und andere. Das Unikat-Siegel indes kann Daniel Reinsberg bei einem Highlight nicht ganz beanspruchen. Mehrfach hat man gesehen, wie zwei herausgefischte Zuschauer auf Händedruck den Mund auf und zu machen, während ihnen der Bauchredner die Stimme verleiht. Der Afrodeutsche beherrscht diesen Klassiker besonders gut. Das Publikum wirft sich vor Lachen weg, wenn der Spaßvogel immer wieder „In Ordnung“ brummt. Die Palazzo-Show zum 15. Geburtstag, können wir zusammenfassend brummen, ist schwer in Ordnung

Täglich außer montags wird die Palazzo-Show „Unikate“ bis zum 10. März auf dem Cannstatter Wasen gespielt. Karten unter Telefon 018 06 / 3 88  83 oder im Netz unter www.palazzo.org.