Es gibt nicht mehr viele richtig konservative Denker. Der Stuttgarter Philosoph Robert Spaemann, der jetzt im Alter von 91 Jahren gestorben ist, war einer. Aber mit dem Etikett „konservativ“ war dieser große katholische Geist noch lange nicht hinreichend beschrieben.

Stuttgart - Gibt es in unserer Zeit, in der alle irgendwie in der liberalen Mitte sein wollen, noch konservative Intellektuelle? Es stimmt, sagen Kenner der Szene, dass man im heutigen Deutschland lange nach ihnen suchen muss. Aber dann fällt ihnen nach einigem Überlegen der Name des Philosophen Robert Spaemann ein, der stets tapfer dem Zeitgeist die Stirn geboten habe und keinem Streit mit dessen Jüngern aus dem Weg gegangen sei.

 

Haben sie Recht? Möglicherweise ja. Spaemann pflegte im Vatikan ein und aus zu gehen, mit Papst Benedikt XVI. teilte er viele Einschätzungen der aktuellen geistigen Lage. Er stritt für die alte lateinische Messe, bekämpfte den postmodernen Relativismus und Nihilismus, befürwortete eine Bestrafung der Gotteslästerung, pflegte gelegentlich den kolumbianischen „spirituellen Reaktionär“ Nicolás Gómez Dávila zu zitieren, forderte gegen das Laissez-faire der emanzipatorischen Pädagogik einen „Mut zur Erziehung“, lehnte vehement Abtreibung und Sterbehilfe ab, bezeichnete Homosexualität als „anthropologisches Manko“ und polemisierte gegen das „Weltethos“-Projekt von Hans Küng.

Gegen den Atomtod

Vielleicht haben sie aber auch unrecht. Denn als die Adenauer-Regierung Ende der 1950er Jahre die Bundeswehr mit Atomwaffen ausrüsten wollte, engagierte sich Spaemann zusammen mit vielen linken Intellektuellen in der „Kampf dem Atomtod“-Bewegung, und er war schon gegen die zivile Nutzung der Atomenergie, als es die Grünen noch gar nicht gab.

Es lohnt sich deshalb, den Werdegang des 1927 in Berlin geborenen Philosophen etwas genauer zu betrachten, denn er stammte keineswegs aus einer konservativen Familie. Seine Eltern, der Journalist Heinrich Spaemann und die Tänzerin Ruth Krämer, gehörten zum linksliberalen Bürgertum, waren aber in den 1920er Jahren zum katholischen Glauben konvertiert. Während Kinder aus Familien, die seit Generationen katholisch sind, gleichsam gedankenlos in eine Religion hineinwachsen, hat sich der Konvertit nach reiflicher Überlegung für sie entschieden.

Bewusst katholisch

Kein Zufall, dass einer der Vorbilder Spaemanns John Henry Newman war, der Mitte des 19. Jahrhundert von der anglikanischen zur katholischen Kirche übergetreten war. Konvertiten sagt man freilich nicht nur nach, dass sie ihren Glauben intellektuell begründen können, sie gelten bei manchen auch als päpstlicher als der Vatikan. Beides traf auf Spaemann zu.

Aufgewachsen im Rheinland, machte Spaemann sein Abitur am renommierten Gymnasium Petrinum in Dorsten und studierte dann Philosophie, Theologie, Geschichte und Romanistik in Münster, München, Fribourg und Paris. 1952 promovierte er in Münster bei Joachim Ritter und habilitierte sich dort 1962, nach einem Intermezzo als Lektor beim Stuttgarter Kohlhammer Verlag, mit einer Studie über den französischen Theologen und Schriftsteller François Fénelon. Er lehrte dann Philosophie in Stuttgart (bis 1968), Heidelberg (bis 1972) und schließlich bis zu seiner Emeritierung 1992 an der Universität München und war mehrmals Gastprofessor in Brasilien.

Stilist und Streiter

Übersieht man Spaemanns literarisches Werk, dann fällt auf, dass er stets zweigleisig gefahren ist. Es gibt die philosophischen Bücher wie etwa „Glück und Wohlwollen – Versuch über Ethik“ (1989) oder „Personen – Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas‘ und ‚jemand‘“ (1996), von denen die meisten bei Klett-Cotta in Stuttgart erschienen sind. Sie richten sich an die Gebildeten unter den Verächtern der Religion. Und es gibt die „Christlichen Reden“ für die schon Überzeugten, veröffentlicht in einem katholischen Verlag in der Schweiz.

In dieser Parallelaktion gleicht Spaemann dem Protestanten Sören Kierkegaard, dessen Werk sich ebenfalls in einen philosophischen und einen „erbaulichen“ christlichen Teil aufspalten lässt. Dass Spaemanns Bücher gut geschrieben sind, versteht sich bei seiner Orientierung an den Stilisten des französischen „Grand Siècle“ von selbst.

Verteidiger des Naturrechts

Der rote Faden, der sich durch Spaemanns philosophisches Werk zieht, ist seine Orientierung an den griechischen Klassikern Platon und Aristoteles. Er hielt nichts von nachmetaphysischem Denken im Stil von Jürgen Habermas, verteidigte vielmehr in Fragen der Politik wie der Moral das klassische Naturrecht und scheute sich nicht, auf Nietzsches Parole vom Tod Gottes mit einem philosophischen Gottesbeweis zu reagieren. Am folgenreichsten dürfte die in seinem Buch „Natürliche Ziele“ (2005) versuchte Rehabilitierung einer Zielgerichtetheit der Natur im Anschluss an Aristoteles sein, die er den Theorien der modernen Naturwissenschaften entgegenhielt.

Von daher konnte er auch sein Engagement für die Ökologie begründen, das er zuletzt noch einmal in seinem 2011 erschienenen Essay „Nach uns die Kernschmelze – Hybris im atomaren Zeitalter“ zusammengefasst hat. Auch wer die Moderne nicht so kritisch sieht, kann einem intellektuellen Gegner des Zeitgeists wie Robert Spaemann seinen Respekt nicht versagen. Am 10. Dezember 2018 ist der Philosoph jetzt in Stuttgart-Botnang, wo er seit seiner Stuttgarter Professorenzeit wohnte, im Alter von 91 Jahren gestorben.