Wie von Geisterhand bewegt sich das große Rohr in Richtung Himmel. Allerdings steht niemand daneben, um die Schalter oder Knöpfe zu bedienen: In Kalifornien ist jetzt das Spiegelteleskop Atus eingeweiht worden, das von Stuttgart aus bedient werden kann.

Stuttgart/Kalifornien - Wie von Geisterhand bewegt sich das große Rohr in Richtung Himmel. Allerdings steht niemand daneben, um irgendwelche Schalter oder Knöpfe zu bedienen. Vielmehr erhält Atus seine Befehle per Fernsteuerung via Internet, kann also von jedem Ort der Welt aus bedient werden. Die Abkürzung steht für Astronomisches Teleskop der Universität Stuttgart. Und es steht auch nicht im lichtverschmutzten Deutschland, sondern in rund 1400 Meter Höhe in der Sierra Nevada im fernen Kalifornien.

 

Dieser Standort hat zwei große Vorteile: Er bietet die weitaus meiste Zeit des Jahres einen ungestörten Blick in den Himmel – und die Zeit hinkt dort neun Stunden hinterher. Die Studenten können also bequem vom warmen Hörsaal oder einem Seminarraum aus in den kalifornischen Sternenhimmel blicken und astronomischen Studien betreiben oder ihre ingenieurmäßigen Leistungen testen.

Erkunden des Himmels und Übungsobjekt für Studenten

Denn das Teleskop mit seinem 60 Zentimeter großen Spiegel soll gleich zwei Aufgaben erfüllen. Zum einen dient Atus der weiteren Erkundung des Himmels, wobei vor allem die enge Zusammenarbeit mit dem größten Projekt der Uni wichtig ist – der in einem umgebauten Jumbojet eingebauten fliegenden Sternwarte Sofia. Zum anderen lassen sich an diesem ferngesteuerten Instrument prima viele Arbeiten üben, die auch bei einer richtigen Weltraummission erledigt werden müssen. Und dies zu lernen, ist eine wichtige Aufgabe der künftigen Luft- und Raumfahrtingenieure.

Dementsprechend ist Atus auch am Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Uni Stuttgart angesiedelt. Dort soll es vom kommenden Jahr an in Vorlesungen und Seminaren eingesetzt werden. Dabei kann man nicht nur lernen, astronomische Instrumente und Kameras per Fernsteuerung zu bedienen und entfernte Himmelskörper aufzusuchen, sondern sich auch auf Fehlersuche begeben, wenn etwas nicht ordnungsgemäß funktioniert – was in einem Seminar durchaus beabsichtigt sein kann.

Ausbildung unter realen Bedingungen

IRS-Chef Stefanos Fasoulas jedenfalls ist von dem Teleskop und seinen Möglichkeiten ebenso begeistert wie Alfred Krabbe, der das zum IRS gehörende Deutsche Sofia Institut (DSI) leitet. Sofia steht für Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie. Das DSI betreut den deutschen Anteil des fliegenden Observatoriums, das zu 80 Prozent von den USA und zu 20 Prozent von Deutschland betrieben und wissenschaftlich genutzt wird. Auch der Uni-Rektor Wolfram Ressel lobte dieser Tage bei der offiziellen Einweihung von Atus „die hervorragende Möglichkeit für unsere Studierenden, die ferngesteuerten Prozesse, die für Weltraumsatelliten relevant sind, während ihrer Ausbildung unter realen Bedingungen zu testen“.

Das vor allem aus Studiengebühren und Qualitätssicherungsmaßnahmen finanzierte Teleskop hat eine längere Vorgeschichte, wie Jürgen Wolf berichtet, der in Kalifornien für Sofia tätig ist. Zusammen mit seinem Kollegen Karsten Schindler kümmert er sich seit einigen Jahren um das Projekt. Ende 2012 schließlich lieferte der italienische Hersteller das Teleskop aus. Allerdings zeigten die nachfolgenden Tests eine ganze Reihe von Schwachstellen auf. Die Wissenschaftler waren jedenfalls so unzufrieden, dass der Hersteller auf ihr Drängen hin und nun in enger Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Ingenieuren und Astronomen kostenlos ein neues, besseres Teleskop baute.

Stadt Fresno bietet 237 wolkenlose Nächte im Jahr

Dieses wurde dann im Mai diesen Jahres geliefert und arbeitet nun so stabil und präzise wie es soll. Der windgeschützte Standort in der Sierra Nevada in der Nähe der Stadt Fresno bietet mit durchschnittlich 237 wolkenlosen Nächten im Jahr und einer sehr geringen Lichtverschmutzung hervorragende Beobachtungsbedingungen. Das hat auch eine ganze Reihe privater Hobbyastronomen erkannt, die – wie die Uni Stuttgart – in dem ferngesteuerten Observatorium ebenfalls ihre Teleskope aufgestellt haben.

Neben dem Einsatz für die Ausbildung künftiger Luft- und Raumfahringenieure soll Atus auch die wissenschaftliche Arbeit von Sofia unterstützen. Dabei kann das Teleskop am Boden als Testplattform für neue Instrumente im Flugzeug sowie der für ihre Steuerung erforderlichen Software dienen. So wird in der Sierra Nevada zum Beispiel dieselbe Kamera und ein ähnliches Filtersystem wie in der fliegenden Sternwarte genutzt. Aber auch zur Vorbereitung neuer astronomischer Programme sind Vorarbeiten an dem kleineren Teleskop wertvoll, etwa beim Messen von Helligkeit und Farbe eines Zielobjekts.

Sehr hilfreich kann Atus auch bei der Erkundung von Kleinplaneten sein, wie eine entsprechende Beobachtung in diesem Sommer bereits gezeigt hat. Wenn diese Kleinkörper beispielsweise von einem anderen Himmelsobjekt verdeckt werden oder vor ihm vorbeiziehen, lässt dies Rückschlüsse auf ihre Beschaffenheit zu. Konkret ist bei der Beobachtung solcher Sternbedeckungen im kommenden Jahr bei der Erforschung kleiner Himmelskörper jenseits des Planeten Neptun – den sogenannten Transneptunischen Objekten – eine enge Zusammenarbeit zwischen Atus und Sofia geplant.