Durch die Pandemie haben wir uns lange nur noch mit wenigen Personen oder einem kleineren ausgewählten Freundeskreis getroffen. Welche Auswirkungen hatte das auf unsere Freundschaften?
Die Konsequenz ist, dass in der Tat viele Freundschaften und soziale Netzwerke weggebrochen sind. Viele Menschen, die wir „normalerweise“ automatisch, zum Beispiel bei der Arbeit, im Studium, in der Schule oder auch in Vereinen getroffen haben, waren von einem Tag auf den anderen nicht mehr da. Wir sind mit der Zeit bequem geworden und haben uns bei Netflix und einer Flasche Bier vor dem Fernseher eingerichtet und noch schlimmer: Wir haben uns daran gewöhnt! Und dann gibt es noch diejenigen, die aus Angst vor dem Virus jetzt ein Jahr lang nicht auf die Straße gegangen sind.
Viele von ihnen tun sich eh schwer mit sozialen Kontakten und da haben die Beschränkungen der Pandemie dazu geführt, dass ein Jahr lang kein soziales Training mehr möglich war. Diese Menschen stehen nun vor einer riesigen Hürde. Andere haben in der Pandemiezeit erst soziale Phobien entwickelt – Mitmenschen plötzlich als lebensbedrohlich erlebt und sich in der Folge mehr und mehr zurückgezogen. Wir sehen in der Praxis, dass sich die Anzahl der Ängste und Depressionen und ihre Ausprägung im letzten Jahr massivst verschlimmert hat. Und viele der Betroffenen haben es noch nicht mal geschafft, sich Hilfe zu holen.
Manche Freunde hat man während der Pandemie häufiger und intensiver getroffen, während man andere seit Monaten oder sogar einem Jahr nicht mehr gesehen hat. Hat die Pandemie etwa unsere ganz realen Freundeslisten „aussortiert“?
Die Pandemiezeit wird allgemein als eine Zeit gesehen, in der sozusagen brennglasartig all das zum Vorschein kam, was sowieso schon da war. Das gilt natürlich auch für Unterschiedlichkeiten. Manche Freunde haben mit uns zum Beispiel die Sicht auf den Grad der Gefährlichkeit des Virus nicht geteilt und wir haben uns gewundert und uns mit denjenigen weiter getroffen, die unsere Sicht auf die Welt teilen. Freundschaften unter „verschärften“ Bedingungen zu pflegen, kostet sehr viel mehr Energie, als wenn ich mich jeden Mittwoch zum Abendessen treffe. Für wen lohnt es sich dann, diesen Mehraufwand zu betreiben?
Aus meiner Sicht haben sich in der Pandemiezeit die Freunde von den Bekanntschaften getrennt. Und natürlich sind die Freunde, mit denen wir uns in Clubs oder zum Abhängen getroffen haben, nicht mehr wichtig gewesen. Weil das ja nicht mehr erlaubt war. Also hat sich da von selbst eine Neuordnung ergeben. Auch Fußballtraining online hat nicht funktioniert. Aber Fußballer haben im Verein einen anderen Zusammenhalt als lockere Freundschaften, die sich zum Beispiel auf abendliche Treffen auf der Treppe am Schlossplatz beschränken.
Haben wir durch die Pandemie das Zwischenmenschliche verlernt? Können wir soziale Kontakte überhaupt noch richtig pflegen oder müssen wir das neu lernen?
Genaugenommen müssen die psychischen Auswirkungen der Beschränkungen in der Pandemie und die Ängste, die die Menschen im letzten Jahr entwickelt haben, zuerst wieder aufgearbeitet werden. Soziale Kontakte müssen wieder reanimiert oder neue Kontakte aufgebaut werden. Das ist besonders bitter für die, die sich damit sowieso schwertun und denen soziale Skills fehlen. Und auch für die, die im letzten Jahr ihre sozialen Skills nicht trainieren konnten. Auch andere soziale Routinen müssen wieder aufgebaut werden. Die gute Nachricht ist, dass wir sehr anpassungsfähig sind. Viele Menschen werden sich somit an die neue Situation schnell gewöhnen und damit umgehen können. Man beobachtet aber zum Beispiel in der Stadt, dass sich Menschen noch immer nicht mit Handschlag begrüßen oder sich vorher umdrehen („schaut da jemand zu? ist das jetzt wieder erlaubt“), wenn sie sich umarmen. Es wird ein langer Weg zurück in die Normalität!
Warum sind soziale Kontakte im echten Leben so wichtig für uns? Und warum ersetzt eine Zoom-Party oder eine WhatsApp-Nachricht auf Dauer kein reales Treffen?
Gott sei Dank hat das letzte Jahr auch gezeigt, wie sehr Menschen soziale Wesen sind und was passiert, wenn soziale Kontakte nicht mehr oder sehr eingeschränkt möglich sind. Wir verschaffen uns Glücksgefühle durch soziale Kontakte, durch Interaktion und Kommunikation. Am Bildschirm kann ich zwar mit einer anderen Person ein Menü kochen, aber ich kann sie nicht probieren lassen. Darüber hinaus fehlen sehr viele nonverbale Signale, die mir im persönlichen Treffen das Zusammensein und die Kommunikation erleichtern.
Dann ist da auch noch die technische Seite: Eingefrorene Bilder über Teams und eine verzerrte Tonspur bei Skype sind einfach mega stressig für unser Gehirn, das immer versucht, daraus ein vollständiges Bild zu kreieren. Ein Bildschirm ist unpersönlich und es fehlt der physische Kontakt. WhatsApp ist da genauso unpersönlich. Verbale und nonverbale Kommunikation ist auf Dauer nicht durch Emojis zu ersetzen. Und vor allem steht bei elektronischen Nachrichten die Tür für Missverständnisse offen.
Nun ist durch die Lockerungen wieder mehr möglich, plötzlich kann man sich wieder mit mehr Menschen treffen. Wann lohnt es sich, auf der Strecke gebliebene Freundschaften wiederzubeleben und wann sollte man die Pandemie einfach als endgültigen Cut sehen?
Prinzipiell ist es wahrscheinlich jede Freundschaft wert, wiederbelebt zu werden. Dennoch habe ich ja immer eine Wahl. Möglicherweise haben sich Menschen im letzten Jahr in einer Art und Weise weiterentwickelt, die ich nicht teilen kann oder möchte. Oder der Kontext, in dem ich mich mit Menschen getroffen habe, hat für mich in der Pandemiezeit an Wichtigkeit verloren oder ich habe mich weiterentwickelt und neue Bereiche für mich erschlossen. Wenn ich mit Menschen keine Gemeinsamkeiten mehr habe, wird es wohl eher ein Cut als eine Reanimation sein.
Werden wir Freundschaften in Zukunft anders pflegen?
Ich glaube nicht, dass es da sowas wie einen langfristigen „Lerneffekt“ geben wird. Mit mehr Normalität wird es peu à peu auch mehr Normalität im Umgang mit Freundschaften geben. Eventuell wird es normaler, auch mal einen digitalen Cappuccino mit Freunden zu trinken, die weit weg wohnen, statt zu warten, bis sich wieder ein physisches Treffen ergibt. Aber ein persönliches Treffen ist dadurch nicht zu ersetzen.