In den Kommentarspalten auf Facebook, Instagram und auf Twitter herrscht mittlerweile regelrecht Krieg. Sind wir nach einem Jahr Pandemie empfindlicher und wütender geworden?
Beides. Die Zahlen zeigen im letzten Jahr eine deutliche Zunahme von Wut und Hass im Netz und auf der anderen Seite sehen wir in der Praxis eine deutliche Zunahme von depressiven Tendenzen, Hilflosigkeit, Resignation und Sensibilität. Die Menschen sind dünnhäutiger geworden und verzweifelter als vor der Pandemie.
Woher kommt der Hass und warum hassen wir (online) so viel? Gibt es eine wissenschaftliche Erklärung für Hass?
Da gibt es in der Tat unterschiedliche Erklärungsansätze, warum Hass zu unserem Leben gehört. Eine Erklärung ist, dass Hass uns dabei hilft, im Vergleich zu anderen besser dazustehen. Wir erhöhen uns sozusagen durch Hass auf Kosten der anderen, die wir dadurch klein machen. Oder andersrum formuliert: je kleiner und unbedeutender wir uns fühlen, desto größer ist möglicherweise der Hass. Ein weiterer Aspekt ist unsere Angst. Angst vor dem anderen, dem „anders Sein“, dem „anders Denken“, dem „anders Leben“ usw. Die Ablehnung des „Anders“ sichert uns das Überleben und gibt uns Sicherheit, dass das richtig ist, wie wir leben und denken.
Ein Shitstorm entsteht heute unglaublich schnell. Die betroffenen Menschen erhalten nicht selten Morddrohungen. Ist das noch normal?
Klare Antwort: Nein! Da wird definitiv eine Grenze überschritten.
Warum glauben wir, dass unsere eigene Meinung die einzig richtige ist? Warum können wir andere Meinungen nur schwer akzeptieren? Und welche Rolle spielt dabei Social Media?
Meinungen werden gefühlt in der letzten Zeit immer extremer. Man ist entweder für oder gegen Corona-Maßnahmen. Für oder gegen Migration. Für oder gegen Gewalt usw. Die Zwischenstufen fallen weg, die Meinungen finden sich auf den zwei Endpolen. Meiner Meinung nach fehlen auch die Skills, Lösungen zu finden, die für alle gut sind und nicht nur für den einen. Wenn wir also die Meinung des anderen gelten lassen, verlieren wir. Im Netz kann man sich wie sonst nirgends Zustimmung holen, Gleichgesinnte hinter sich vereinen, bekommt innerhalb von Sekunden Feedback in Form von Klicks. Es ist einfacher, sich nicht mit anderen Meinungen auseinandersetzen zu müssen. Da kann man gemütlich in seiner Komfortzone bleiben.
Würden Menschen einem diese Dinge auch im realen Leben ins Gesicht sagen?
Einige wenige vielleicht. Die anderen nutzen die Anonymität des Netzes: Man muss dem anderen nicht in die Augen sehen. Da bietet das Netz einfach einen anderen Rahmen. Wenn es zu blöd wird, schalte ich den PC einfach aus. Fertig. Dass ich dem anderen im übertragenen Sinne eine blutige Nase geschlagen habe, bekomme ich so ja nicht mit.
Was tun, wenn man Hass im Netz erlebt? Wie sollen Betroffene reagieren?
Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ich keinem Schaden zugefügt habe und Opfer einer Hass-Aktion geworden bin. Dann ist es wichtig, sofort zu reagieren: Den Hass-Verbreiter blockieren, melden (z.B. bei hass-im-netz.info melden), eine Anzeige bei der Polizei machen. Screenshots sind hier sehr hilfreich. Das Erlebte öffentlich machen, darüber reden, Verbündete suchen, die auch Opfer von Hass geworden sind. Auf jeden Fall nicht aus Schuld- oder Schamgefühl schweigen oder das mit sich selber ausmachen. Wenn ein Profi hinzugezogen werden muss, gibt es zwischenzeitlich auch Beratungsstellen und Therapeuten, die sich auf das Thema spezialisiert haben. Was mich nachdenklich macht, ist, wie viele Menschen schon Opfer von Hass im Netz geworden sind.