Stuttgarter Raucher müssen draußen feiern Kein Herz für Raucher
Vor dem Fest geht man mit den lieben Kollegen ins Lokal. Zum Feiern, Rauchen und Bibbern. Denn Raucher müssen die meiste Zeit draußen feiern. Was für ein jämmerlicher Anblick.
Vor dem Fest geht man mit den lieben Kollegen ins Lokal. Zum Feiern, Rauchen und Bibbern. Denn Raucher müssen die meiste Zeit draußen feiern. Was für ein jämmerlicher Anblick.
Stuttgart - Sitzen ist bekanntlich das neue Rauchen. Um lebensstilbedingten Haltungsschäden vorzubeugen und die natürliche Mobilität zurückzugewinnen, verlassen deswegen viele Menschen spontan ihre krank machende Sitzposition und den geschlossenen Raum, um sich vor dem Gebäude oder auf einem Balkon eine oder zwei anzustecken.
In Restaurants ist das immer wieder ein mitleiderregender Anblick, wenn sich eine Gruppe Raucher auf den Weg in die Kälte macht. Sicher, das ist alles eine Frage der Perspektive. Nur wenige Ex-Raucher haben sich nach ihrer mühseligen Entwöhnung in wohlwollende Passivraucher verwandelt. Manch ein verbleibender Gast, dem früher mal die filterlose Gitane schon vor dem Morgenkaffee an der Lippe klebte, wettert nun als militanter Gesundheitsapostel und Naturschützer gegen die schmauchenden Umweltzerstörer und würde beim Abmarsch der nikotinsüchtigen Brut am liebsten klatschen.
Tatsächlich ist das Rauchen ein klein wenig ungesund, nicht nur für den Raucher oder die Lungen seiner Mitbürger. Tabak wird meist in Entwicklungsländern angebaut und benötigt zum Wachsen viel Wasser. Die Weltgesundheitsorganisation hat berechnet, dass ein einziger Raucher, der 50 Jahre lang 20 Zigaretten am Tag rauche, für den Verbrauch von 1,4 Millionen Liter Wasser verantwortlich sei – was für eine Ressourcenverschwendung.
Andererseits gibt es nichts Angenehmeres, als bei einem Glas guten Weines in freundschaftlicher Atmosphäre seinem Rauchkringel hinterherzuschauen wie dem entschwebenden Sinn des Seins. Kein Wunder, dass die lustvollsten Raucher die Pariser Existenzialisten waren, stilbegabte Jungintellektuelle in schwarzen Rollkragenpullovern, die in vergilbten Schwarten Sartre und Camus lasen, in verrauchten Bars vom Sozialismus träumten – und keinerlei Vorstellung davon hatten, wie viele Badewannen man mit 1,4 Millionen Liter abfüllen kann.
Von dieser Toleranz gegenüber Rauchern ist nichts mehr zu spüren, nicht in dieser Stadt. Starke Raucher wirken hier dementsprechend nervös, gehetzt. Bei einer früh angesetzten Weihnachtsfeier in einem italienischen Lokal im Westen wird man Zeuge einer Völkerwanderung. Wie von Taranteln gestochen hetzt ein Dutzend festlich gestimmter Angestellter einer Versicherung zur Tür hinaus. Der eine lässt sein Smartphone fallen, die andere touchiert mit dem Schal den Spaghettiteller einer Sitzenden. Und jeder vergisst, die Tür hinter sich zu schließen. Türe zu!
Die Kellner sind verwirrt, weil sie die Getränke an den leeren Tischen nicht zuordnen können, schließlich tragen sie resigniert die Gläser vors Lokal, wo eine bibbernde Meute den Rauch in den Himmel pustet. Türe zu! In Stuttgart sind Heizpilze verboten, die Gastronomen stellen keine Pferdedecken bereit. Fast immer ist in der rauchenden Weihnachtsfeierabteilung ein Superdödel dabei, der allen demonstrieren muss, dass ihm die Kälte nichts anhaben kann, weswegen er im T-Shirt bald blau anläuft. Man raucht auch ohne Geduld und Muße – als würde man eine Schweinshaxe mit bloßen Händen zerteilen. Dann geht es wieder mit Tamtam zurück an die Futternäpfe, die kalte Pizza wartet schon. Türe zu!
Der Plan war ja ursprünglich, es Ernst Jünger nachzumachen. Von dem Schriftsteller und Käfersammler heißt es, er habe täglich ein Glas Champagner getrunken und im Alter von 99 Jahren wieder mit dem Rauchen seiner geliebten Dunhill International angefangen. Immerhin wurde er 103 Jahre alt. Aber nach dieser Weihnachtsfeier hält sich die Vorfreude in Grenzen. Türe zu!