Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat eine Entscheidung zu den Fahrverboten getroffen. Aus der Fülle der Reaktionen in Stuttgart und Baden-Württemberg stellen wir eine Auswahl vor.

Stuttgart - Wie im Bund fallen auch in Stadt und Land die Reaktionen auf das Leipziger Urteil unterschiedlich aus: Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sagte, es werde nicht einfach sein, das Urteil umzusetzen, gerade bei den beengten Verhältnissen im Stuttgarter Talkessel. Er begrüße aber, dass das Gericht eine „sehr differenzierte“ Entscheidung getroffen und Grundsatzfragen mit den Fragen der Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten abgewogen habe. Das Gericht habe auch die Chance eröffnet, die frühestens für 1. September 2019 möglichen Fahrverbote für Euro-5-Diesel „nach hinten zu verschieben“, wenn die Luftqualität bis dahin besser werden sollte. Das möchte der OB auch nutzen. Schon jetzt sei die Luftqualität in Stuttgart auf dem Weg der Besserung, sagte er. Diesen Trend wolle er verstärken durch zusätzliche Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs bis September 2019 . So will er beispielsweise „noch einmal mehr Buslinien“ anpeilen.

 

Wird der Feinstaubalarm beibehalten?

Offen sei freilich, ob man genug Fördermittel für den Nahverkehr bekomme, ob die Autoindustrie die Nachrüstung von Euro-5-Dieseln und die Einführung wirklich sauberer Euro-6-Diesel forciere und wie schnell die Elektromobilität vorankomme. Bei Fahrverboten käme es dann auch auf funktionierende Kontrollen an. In dem Zusammenhang forderte Kuhn das Land auf, der Polizei die entsprechenden Mittel bereitzustellen. In etwa einem halben Jahr erwartet er vom Land nun auch einen neuen Luftreinhalteplan.

Ob der Feinstaubalarm in Stuttgart in der gegenwärtigen Form nun beibehalten werde, müsse man prüfen, sagte Kuhn. Das Urteil drehe sich direkt aber nur um die Vermeidung von Stickoxiden. Um den Feinstaub zu reduzieren, könne der Feinstaubalarm weiterhin sinnvoll sein, sagte Kuhn.

Das Fazit des Oberbürgermeisters: „Das Urteil der höchsten verwaltungsgerichtlichen Instanz ist umzusetzen.“ Den Ländern könne bei der Luftreinhaltung durch Fahrverbote immer noch geholfen werden, indem der Bund die Blaue Plakette einführt. Die dabei vorgesehene Regelung sei auch „verhältnismäßig“ und sie erleichtere die Kontrollen. Für den Bundesgesetzgeber sei das Urteil eine „Blamage“, weil die Richter entschieden hätten, dass europäisches Recht das Bundesrecht breche. Die Städte fühlten sich vom Bund allein gelassen. Kuhn zeigte sich aber überzeugt, „dass in drei Jahren die Feinstaub- und Stickoxid-Probleme in Stuttgart gelöst sind“.

Kretschmann drängt auf die Blaue Plakette

Anwohner des Stuttgarter Neckartors werteten das Urteil als Ohrfeige für die Landesregierung. „Die können jetzt nicht weiter nichts tun“, sagte Anwalt Roland Kugler, der die Interessen mehrerer Anwohner vertritt, an die Adresse des Landes.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte: „Wir werden die erforderliche Fortschreibung des Luftreinhalteplans in Angriff nehmen.“ Zugleich werde man gegenüber der Bundesregierung die Einführung der Blauen Plakette anmahnen: „Das ist unabdingbar, um kommunale Flickenteppiche zu vermeiden und eine effektive Kontrolle zu ermöglichen.“

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hob auf die Verhältnismäßigkeit ab: „Im Sinne des Wirtschaftsstandorts benötigen wir pragmatische Ausnahmeregelungen. Firmen müssen auch weiterhin mit Waren versorgt werden, Handwerker ihrer Arbeit nachgehen und soziale Dienste ihre Patienten versorgen können.“

Kammern warnen vor „drakonischen Maßnahmen“

Ähnlich fällt die Stoßrichtung von Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart aus. Die Kammern appellierten an das Regierungspräsidium Stuttgart, bei der Anpassung der Maßnahmen im Luftreinhalteplan die Verhältnismäßigkeit in den Blick zu nehmen. Zuletzt seien die Schadstoffwerte zurückgegangen. Würden in absehbarer Zeit die Grenzwerte auch „ohne drakonische Sperrmaßnahmen“ eingehalten, sollte die Notwendigkeit von Fahrverboten nochmals auf den Prüfstand.

Die Arbeitgeberverbände in Baden-Württemberg forderten die Landesregierung und die Stadt Stuttgart auf, Schnellschüsse zu vermeiden. „Die Aufforderung des Gerichts, die Luftreinhaltepläne auf ihre Verhältnismäßigkeit hin zu prüfen, ist ein deutlicher Fingerzeig, dass Fahrverbote allenfalls als letztes Mittel zum Einsatz kommen dürfen“, sagte Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick.

Die AfD sieht Deutschland auf dem Weg zum Sozialismus

Die BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender begrüßte das Urteil: „Die freie Fahrt für dreckige Diesel ist vorbei“, sagte sie. Städte und Gemeinden seien nicht länger ein rechtsfreier Raum, in dem der Autoverkehr gegen das Umweltrecht verstoßen darf. Zustimmung kam auch vom Verkehrsclub VCD. Dagegen erklärte die AfD-Landtagsfraktion: „Die Bundesrepublik Deutschland ist einer Staatsordnung sozialistischer Prägung näher gekommen.“

Die Stuttgarter City-Initiative befürchtet im Fall von Fahrverboten wirtschaftliche Nachteile: „Es wird weitere Frequenzverluste und eine Abwanderung in andere Städte und Kommunen geben“, heißt es in einer Mittelung. Der Handel werde ebenso darunter leiden, wie Kunst- und Kulturbetriebe und die Gastronomie. Die CDU-Gemeineratsfraktion erklärte in Person des Fraktionsvorsitzenden Alexander Kotz: „Vor dem Hintergrund, dass die Luftbelastungen in Stuttgart kontinuierlich Jahr für Jahr geringer werden, und wir heute die beste Luft seit Jahrzehnten in Stuttgart atmen können, halten wir jegliche Art von Fahrverboten für unverhältnismäßig.“ Die negativen Auswirkungen für private und gewerbliche Fahrzeughalter, aber auch für unsere Stadt insgesamt, wären immens. Kotz fügte hinzu: „Auch wenn wir aktuell die Grenzwerte noch nicht ganz einhalten können, so werden wir dies zeitnah durch den weiteren Ausbau des ÖPNV, durch mehr Umstieg aufs Fahrrad und durch bessere Motorentechnologie und die E-Mobilität erreichen.“

SPD fürchtet Verkehrsverlagerungen

SPD-Fraktionschef Martin Körner nannte das Urteil eine herbe Niederlage für die Landesregierung. „Das Land muss nun seine Hausaufgaben machen und sagen, welche Fahrverbote aus seiner Sicht verhältnismäßig sind und welche nicht.“ Zu klären seien nicht nur die Frage der Übergangsfristen, sondern auch die Frage unerwünschter Verkehrsverlagerungen. „Jetzt ist es auch noch wichtiger, die Alternativen für das Auto, vor allem das Fahren mit Bussen und Bahnen, attraktiver zu machen, zum Beispiel durch niedrigere Preise.“

Die Grünen im Rathaus erklärten. „Das Leipziger Gerichtsurteil fällt nicht vom Himmel und ist ein Armutszeugnis für all diejenigen, die jahrelang wirksame Maßnahmen auf die lange Bank geschoben haben.“ Jetzt geht es darum, dass bei der Umsetzung des Gerichtsurteils die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, sagte der Fraktionsvorsitzender Andreas Winter. Für Handwerker etwa müsse es Aus-nahmeregelungen geben: „Die Bundesregierung darf die Städte nicht alleine lassen. Sie muss die Voraussetzungen für die Einführung der Blauen Plakette schaffen, um die bevorstehenden Fahrverbote handhabbar zu machen.“

CDU im Landtag will Autohersteller in die Pflicht nehmen

Für die Stuttgarter FDP fordert ihr Kreisvorsitzender Armin Serwani „einen großen Wurf bei der Verkehrskonzeption“. Als Bestandteile eines solchen Konzepts nannte er neben Maßnahmen zur Verbesserung des fließenden Verkehrs und der Untertunnelung an neuralgischen Stellen die Optimierung des Öffentlichen Nahverkehrs.

Thomas Adler, Fraktionschef von SÖS/Linke, forderte Kuhn auf, „unverzüglich entsprechende Maßnahmen umzusetzen“. Es darf nicht auf Kosten der Gesundheit der Stuttgarter weiter auf Zeit gespielt werden, indem man auf eine landeseinheitliche Regelung wartet.“ Die politisch Verantwortlichen in Stadt, Land und Bund seien der Autoindustrie jahrelang in den Auspuff gekrochen: „Mittlerweile sind sie schon im Katalysator angekommen und müssten eigentlich merken, dass der nicht funktioniert.“

Der CDU-Fraktionschef im Landtag, Wolfgang Reinhart, lenkte den Blick auf die Autoindustrie. Er forderte „umfassende Nachrüstprogramme“. „Gerade von unseren Automobilkonzernen erwarten wir, dass sie die technischen Lösungen im Hardwarebereich genauso intensiv vorantreiben wie die Software-Updates.“Und wir sollten auch darüber nachdenken, wie von politischer Seite finanzielle Anreize geschaffen werden können, die eine technische Nachrüstung forcieren.“ Die CDU wolle Fahrverbote weiterhin vermeiden. „Wir stehen für eine Innovations- und keine Verbotskultur.“

Umliegende Städte gegen Fahrverbote

Reaktionen kamen auch aus den Städten: Die Stadt Heilbronn zeigt sich erfreut über das Leipziger Urteil. „Das ist ein Erfolg für die Deutsche Umwelthilfe und setzt das Land unter Druck, möglichst rasch die Luftreinhaltepläne fortzuschreiben“, sagt Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD). „Für uns steht der Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung an erster Stelle“, sagte er. Gleichzeitig müsse in der Innenstadt den Wirtschaftskreislauf am Laufen gehalten werden. Mergel sprach sich jedoch klar gegen Fahrverbote aus. „Wir haben die Hoffnung, dass wir den Schutz unserer Bevölkerung auch ohne Verbote sicherstellen können.“ Er sieht jetzt vor allem die Automobilindustrie in der Pflicht. “ Diese müsse eine Soft- und Hardwarenachrüstung vorhandener Modelle möglich machen und saubere Motoren auf den Markt bringen, die die geltenden Emissionswerte auch im Straßenverkehr einhalten.

Auch die Stadt Heilbronn sei sich ihrer Verantwortung bewusst, betonte Mergel. Große Teile der Stadt gehörten bereits zur Umweltzone Heilbronn. Viele Einzelmaßnahmen seien umgesetzt worden: der Bau der Stadtbahn, die Verbesserung des Verkehrsflusses, die Förderung des Radverkehrs und der Einsatz von mehr Bussen und Bahnen im öffentlichen Nakverkehr.

Außerdem habe der Gemeinderat einen „Green-City-Plan“ beschlossen mit etlichen Maßnahmen zur Reduzierung der Stickoxide. Heilbronn plane den Weiterbau der Stadtbahn, den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur sowie den Austausch älterer Fahrzeuge im städtischen Fuhrpark.

Reutlingen rätselt über die Folgen

Für die Stadt Ludwigsburg erklärte Oberbürgermeister Werner Spec (parteilos), man werde „alles unternehmen, um die Luftschadstoffbelastung innerhalb der nächsten zwei bis maximal drei Jahre auf einen unkritischen Wert zu bringen. „Wir hoffen, damit die Fahrverbote abwenden zu können.“

Ähnlich äußerte sich Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch (parteilos): Derzeit sei noch völlig unklar, was das Leipziger Urteil, das sich auf die konkrete Situation in den Städten Düsseldorf und Stuttgart beziehe, für Reutlingen bedeute. Mit kurzfristigen Fahrverboten rechne die Stadt aber nicht. Die Oberbürgermeisterin bezeichnete das Urteil als einen weiteren guten Grund für die Bundesregierung, endlich die eigentlichen Verursacher des Problems in die Pflicht zu nehmen: „Die Automobilindustrie hält den Schlüssel für die saubere Luft in der Hand.“ Nur mit Hilfe der Konzerne könne die Stickoxid-Belastung flächendeckend gesenkt und zugleich ein Flickenteppich im Land vermieden werden. „Wenn es in einer Stadt Diesel-Fahrverbote gibt und in einer anderen nicht, weiß keiner mehr, wo er fahren darf und wo nicht“, sagte sie.

Es sei erwiesen, dass Nachrüstungen bei der Hardware von Euro-5-Dieselfahrzeugen die Stickoxid-Belastung um 50 bis 70 Prozent senken könnten, erläuterte Reutlingens Erste Bürgermeisterin Ulrike Hotz: „Die Städte allein können das Problem nicht lösen“. In Reutlingen wären derzeit rund 17000 Fahrzeuge von einem Diesel-Fahrverbot betroffen – also jedes vierte Fahrzeug, betontn Hotz. Darunter auch viele kleine Handwerksbetriebe, Lieferanten und Dienstleister.

Die Stadt tue viele, um die Schadstoffbelastung so rasch wie möglich so weit wie möglich zu senken. Im Entwurf des Regierungspräsidiums Tübingen zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Reutlingen seien – anders als im Luftreinhalteplan für Stuttgart – keine Fahrverbote enthalten, dafür aber ein umfangreiches Bündel verschiedener Maßnahmen mit nachgewiesener Wirkung auf die Stickoxid-Belastung: „Es ist mir wichtig, dass die Maßnahmen möglichst rasch umgesetzt werden können“, sagte Oberbürgermeisterin Bosch.

Esslinger OB befürchtet soziale Spaltung

Der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger (SPD) sagte: „Fahrverbote sind keine Lösung, sondern kurieren am Symptom und sind in ihrer Wirkung keinesfalls nachhaltig.“ Die Zuständigkeit für Fahrverbote im Rahmen eines Luftreinhalteplanes liegt für die Große Kreisstadt Esslingen ausschließlich beim Regierungspräsidium Stuttgart als Rechtsaufsichtsbehörde. „Sollten die Städte in die rechtliche Situation versetzt werden, eigenständig zu handeln, würde ich dem Gemeinderat empfehlen, keine Fahrverbote zu verhängen“, betonte Zieger. „Sollte es zu Fahrverboten kommen, befürchte ich kaum zu bewältigende verkehrliche Probleme in den Spitzenzeiten morgens und abends und eine aufgebrachte Bürgerschaft“, so Zieger weiter. Fahrverbote würden zu einer sozialen Spaltung beitragen, da sie ökonomisch leistungsfähigere Haushalte begünstigten. Zugleich seien Produktionsabläufe in der Wirtschaft gefährdet, weil die Arbeitszeiten für die dort tätigen Mitarbeiter nicht flexibilisiert werden können.