Im Nord inszeniert der rumänische Regisseur Eugen Jebeleanu mit Stuttgarter Schauspielstudenten Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“: ein sehenswertes Stück, das nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Stuttgart - Sie wissen nicht, wohin mit ihrer Energie, mit den erhitzten Körpern. Sie rennen japsend über einen Fußballplatz, stoßen sich an und ab wie Moleküle in einem hochexplosiven Gasgemisch. Ein Trainer mit Trillerpfeife versucht die jungen Menschen noch abzukühlen, sie abzulenken von ihren zerstörerischen Gedanken, indem er sie mit Sit-ups und Sprints quält. „Scheiße. Ihr lebt doch am Leben vorbei“, schnauzt er das halbe Dutzend an. Als dann der Grieche Jorgos auf dem Platz erscheint und von Gunda, Franz, Bruno, Helga, Marie und Paul wie ein exotisches Tier beäugt wird, weiß man schon: Sport hilft nicht immer.

 

Diese schweißtreibende Anfangsszene in Eugen Jebeleanus „Katzelmacher“-Inszenierung im Nord findet sich nicht im Text des Autors. Rainer Werner Fassbinder wäre der naturalistische Zugriff fremd gewesen, mindestens so fremd wie seinen Figuren die Begegnung mit dem Gastarbeiter, wie man in den 60er Jahren Leute mit Migrationshintergrund nannte. „Katzelmacher“ wird 1968 uraufgeführt, ein Jahr später wird aus dem Stück über eine verkorkste Jugend in der Münchner Vorstadt Fassbinders zweiter Spielfilm. Die betont künstliche, ja schablonenhafte Spielweise des Ensembles um Fassbinder war für viele damals ein Schock. Der künstlerische Ausdruck war reduziert aufs Minimum, die Sprache geriet äußerst knapp, die Dialoge klatschten wie Ohrfeigen. Paul treibt es mit Helga, Marie geht mit Erich, Peter lässt sich von Elisabeth aushalten, die Gastarbeiter für ihren Betrieb anheuert. Zum Beispiel Jorgos, „ein Griech‘ aus Griechenland“, der Geld in die Heimat schickt zu Frau und Kindern, der unten herum, „am Schwanz“, wie Erich erklärt, „besser gebaut“ ist als die deutschen Männer.

Das weckt den Potenzneid der anderen, die sich nach der Arbeit anöden, Bierflaschen köpfen und Schlager aus Music-Boxen hören. Jorgos sagt: „Nix verstehn“ und lässt sich auf Marie ein, macht mit ihr „Ficke-fick“, was die Stimmung kippen lässt. Es fließt Blut. Fassbinders These: Kleinbürgerliche Konventionen gepaart mit sexuellen Frustrationen führen unweigerlich zum Faschismus. Und an allem ist nur der Ausländer schuld. Kommt einem sehr bekannt vor.

Die Regie ist eklektizistisch

Wer als Fassbinder-Nostalgiker nun ein statisches Agieren im Sinne des Meisters erwartet, wird von Eugen Jebeleanu zunächst einmal enttäuscht. Auch nach der vorangestellten Drillszene hält der rumänische Regisseur seine Akteure - fast alle sind Studenten von der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart - mächtig unter Dampf. Die Spielfläche ist ein Kampfplatz, begrenzt von Wohnwagen, Bauarbeiter-Toilette, Spind und Heiligenfigur. Entfremdete Arbeit und religiöser Wahn machen aus den Menschen Untertanen, Knechte ihrer unterdrückten Wünsche und Begierden.

Paul ist bei Christopher Vantis ein Schläger mit Worten, bellend, daueraggressiv. Inga Behrings Marie bietet ihren Körper feil wie eine Marktfrau ihr Obst, für ein Kompliment von Jorgos (Nurettin Kalfa) legt sie sich schneller hin als eine Fallsüchtige. Und während ihre „Augen wie Sterne“ funkeln, stromert derweil ihr gehörnter Lover Erich (Philippe Thelen) durch den Raum wie ein Panther im Käfig. Eine einzige Gewaltfantasie mit flackerndem Blick. Und Gunda? Die Schmusesängerin ist bei Jebeleanu ein sexy Vamp, gespielt und eben nicht chargiert von einem talentierten Mann, was keine schlechte Idee ist, weil Jannik Mühlenweg aus der Figur etwas Irritierendes zaubert, etwas Abstoßendes und zugleich Liebenswertes formt. Wenn aus Gundas geschürztem Mündchen Françoise Hardys Chansonzeilen „Träume, die bei Nacht entstehen und bei Tag vergehen“ wie süßsaurer Atem entweicht, dann klingt und riecht es nach Tod. Posen voller Pathos wie in einem Film von Pedro Almodóvar.

In hochhackigen Silbersandalen und giftiggrünem Paillettenkleid will Gunda, diese Caterina Valente für Arme, dem „Katzelmacher“ Jorgos an die Wäsche, dem der Ruf wie allen Gastarbeitern vorauseilt, sie würden Kinder zackzack wie Katzen ihre Jungen zeugen. Doch der stößt sie von sich, woraufhin die Zurückgewiesene überall herumtratscht, der Fremde habe sie vergewaltigt.

Die Regie ist eklektizistisch, die Dramaturgie (Maria Nübling) bleibt weitgehend texttreu. Mal naturalistisch, mal symbolistisch umkreist Jebeleanu den kargen Text, der seinen jungen Schauspielern nicht selten schwer über die Lippen kommt. Die ausgestellte Physis der Akteure, die eingespielte Musik, der Gesang macht vieles trotzdem verständlich, treibt die Handlung voran. Doch nach der Pause zeigt die Regie, dass es auch anders geht, ganz ohne Tamtam. Sneaker und Trainingsjacken hat das Prekariat gegen feine Anzüge und Abendkleidchen getauscht, man gehört jetzt zur Gesellschaft und schaut dem Publikum in die Augen, spiegelt sich in ihnen. Man steht im Viereck, bildet eine Einheit mit rechten Winkeln. Jorgos liegt am Boden. Aus dem Himmel spritzt das Rot. Jeder Satz ein Schuss. Ohne Scham sagt Kim Vanessa Földings Helga: „Eine Ordnung muss wieder her.“ Ein starkes Stück.