Am Stuttgarter Mörike-Gymnasium lassen sich Streitschlichter zu digitalen Ersthelfern ausbilden. Es geht um Nacktbilder im Netz, um Mobbing und teure Apps. Die Schulleiterin kritisiert auch die Eltern.

Stuttgart - Ein Schüler ohne Smartphone? Das ist nahezu unvorstellbar. Doch der mobile Türöffner ins Internet birgt Tücken. Über Fallstricke wie Cybermobbing, Erpressung durch Nacktfotos oder Abzocke beim Herunterladen von Apps stolpert auch die Generation Smartphone – beispielsweise Schüler an Stuttgarter Schulen. Immer häufiger wird der Blick auf WhatsApp, Facebook oder Snapchat zur Sucht und die rasche Antwort als störende Pflicht empfunden, der man sich kaum entziehen kann. Am Mörike-Gymnasium im Stuttgarter Süden werden deshalb Streitschlichter der Klassenstufen 10 und der Kursstufe eins zu „digitalen Ersthelfern“ ausgebildet. Die Aktion, an der 40 Schulen teilnehmen, wird von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen unterstützt.

 

Auch die Zehntklässlerin Rebekka Lautenschlager nimmt an der Schulung im Mörike-Gymnasium teil, weil sie jüngeren Mitschülern bei Problemen mit dem Smartphone helfen will. „Wenn man als Schüler nicht bei Whats-App ist, gehört man nicht dazu“, sagt Rebekka. Doch die Jugendlichen benutzen die mobile Nachrichtenplattform nicht nur dazu, einander die Lösungen von Hausaufgaben zuzuschicken oder sich und die Eltern über Stundenplanveränderungen zu informieren. Über diesen Weg würden auch neue Formen der Ausgrenzung praktiziert, berichtet die Schulpsychologin Karin Faigle. „Da gibt’s viele Konflikte.“ Zum Beispiel, wenn es um Geburtstagseinladungen gehe. Oder um Chats, von denen manche Kinder ausgeschlossen würden.

Konflikte eskalieren schneller

„Die Konflikte kriegen deswegen auch eine neue Geschwindigkeit – es eskaliert schneller“, sagt die Psychologin. Und es ist schwerer geworden, sich zu wehren. „Deshalb“, sagt sie, „sollen die Schüler als Mediencoaches ausgebildet werden.“ Faigle gehört auch zum Arbeitskreis Prävention und nimmt ebenfalls an der Aktion teil.

Florian Greinert, Referent der veranstaltenden Mecodia Akademie, lässt die Teilnehmer in Kleingruppen selber zu den kniffligen Themen recherchieren, die durch die Nutzung der Smartphones entstehen. „Vor allem die Themen Datenschutz, Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte werden oft unterschätzt.“

Zwei Schülerinnen referieren, weshalb Cybermobbing so problematisch ist: „Der Täter ist anonym, du weißt nicht, wer dahinter steckt. Und das Opfer hat keinen Rückzugsraum mehr.“ Die Folgen könnten Ritzen, Panikattacken, Alkohol- oder Drogensucht bis hin zum Selbstmord sein. „Man sollte mit seinen Eltern und Freunden darüber reden und zur Polizei gehen“, raten die Schülerinnen.

Zwar gebe es für Cybermobbing keine direkte gesetzliche Strafe. Allerdings für Beleidigungen, aber auch für Fotos, die ohne Einverständnis des Abgebildeten ins Netz gestellt würden. Bei Erpressung durch Nacktbilder raten die Schülerinnen, die Beweise zu sichern und Anzeige zu erstatten. Sexting, also das Ins-Netz-Stellen eigener Nacktbilder, komme durchaus auch bei Schülern vor.

Auch Sexting kommt vor

Doch auch beim Herunterladen von Apps oder anderen Portalen drohen Fallen. Oft seien die aber sehr gut versteckt, wie drei der Schüler herausgefunden haben. Besonders kritisch seien die umfangreichen Zugriffsrechte, die manche Anbieter forderten. Das bedeute, man gebe viele Daten preis. Es lohne sich aber auch, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen genau zu lesen, ergänzt Greinert. Die seien zwar oft umfangreich und auf Englisch. „Dennoch sollte man zwei Sachen auf jeden Fall erst mal anschauen, bevor man diese App installiert: Kosten und Datenschutz.“

„Man verschwendet nur seine Zeit“

Andere Schüler berichten über Gesundheitsgefahren durch das Handy. So drohe Männern Unfruchtbarkeit, wenn sie das Teil dauernd in der Hosentasche hätten. Und, außerdem: „Klar, man kann süchtig werden danach.“

Rebekka und ihre Klassenkameradin Emilia Schüßler betrifft dies nicht. Beide sagen, sie hätten ihr Smartphone in der Schule selten oder gar nicht dabei. „Ich habe keine Probleme, es abzuschalten, wenn ich lernen will“, sagt Emilia. Rebekka ergänzt: „Meistens wird nichts Wichtiges verschickt.“ Emilia findet: „Man verschwendet nur Zeit.“ Doch beide sagen, dass jüngere Schüler dies anders sähen.

Aber ein Handyverbot, das die Lehrer am Mörike-Gymnasium vor drei Jahren beantragt hatten, sei an der „Gemeinsamen Schulrunde“ gescheitert, berichtet die Schulleiterin Sonja Spohn. Das Gremium sei paritätisch mit zehn Eltern, Lehrern und Schüler besetzt und lege die Hausordnung fest. „Wir wollen einen eigenständigen und selbstbewussten Umgang mit dem Handy“, sagt Spohn. Sie selbst lehne ein Handyverbot ab, weil es nicht realistisch sei. „Man kann die Entwicklung nicht zurückdrehen.“

Zur Strafe eine Sechs

Eigentlich habe man sich darauf verständigt, dass im Schulhaus die Handys ausgeschaltet sein müssten. Tatsächlich aber schalteten die Schüler ihre Mobiltelefone nur stumm. Bei Klassenarbeiten würden die Handys abgegeben. „Wenn wir den Verdacht haben, dass da geschummelt wird, gehen wir der Sache auf den Grund“, sagt Spohn. Dabei werde auch Software zur Erkennung von Plagiaten eingesetzt. Wer erwischt wird, bekommt eine Sechs. Das sei schon vorgekommen.

Was die Schulleiterin des Mörike-Gymnasiums besonders ärgert, ist „diese Generation der gesenkten Blicke“ – „wir möchten nicht, dass die Schüler dauernd in Hab-acht-Stellung sind“, sagt Sonja Spohn. Doch viele Eltern legten ihrer Ansicht nach Wert darauf, mit ihren Kindern ständig in Kontakt treten zu können, seien mit ihnen verbunden wie mit einer Nabelschnur. Doch dieses Phänomen tritt nicht nur am Mörike-Gymnasium auf.