Exklusiv Porsche droht Ärger: Die Enkelin des früheren Chefdesigners Erwin Komenda greift den Stuttgarter Sportwagenhersteller an. Die Designlinie sei das Werk von Komenda und nicht von Porsche, sagt sie.

Stuttgart - Dem Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche droht Ungemach. Die Enkelin des früheren Porsche Chefdesigners Erwin Komenda erhebt in einem Brief an den Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Porsche schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen und die Familie Porsche. Entgegen der von Unternehmen und Familie im Porsche-Museum und zahlreichen Publikationen verbreiteten Behauptungen sei nämlich ihr Großvater Erwin Komenda der wahre Urheber und geistige Vater der „Porsche Linie“ – vom VW-Käfer über das Porsche-Logo bis zu den Sportwagen, vom Typ 356 bis zum 911.

 

Auf dem Sterbebett wurde das Testament geändert

Weder habe Ferry Porsche die Form für den Porsche 356 entwickelt, noch sei dessen Sohn Ferdinand Alexander Porsche der Designer des 911 gewesen, sagt die Komenda-Enkelin Iris Steineck. „Dass die geistige Urheberschaft eindeutig bei meinem Großvater liegt, ist klar nachweisbar“, argumentiert die Wiener Ärztin und untermauert das vielfach mit Konstruktionszeichnungen, Patenten und Indizien. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter, spricht von Ideenraub und kriminellen Machenschaften im Zusammenhang mit Erwin Komendas Nachlass. So hätten sich gegen den Willen des 1966 unheilbar an Lungenkrebs erkrankten Automobilkonstrukteurs an dessen Sterbebett unter anderem Ferdinand Porsches Neffe und Privatsekretär Ghislaine Kaes mit einem Notar befunden. Sie ließen ihn in seinen letzten Lebensstunden ein Testament unterzeichnen, das in entscheidenden Passagen ganz anders lautete, als es mit Komendas Ehefrau ursprünglich besprochen war. „Dies geschah zu einem Zeitpunkt, in dem mein Großvater durch massive Atemnot längst wehrlos und bewusstseinsgetrübt war“, analysiert die Medizinerin Steineck die Krankenakte. Seitdem jedenfalls ist nicht nur das private Archiv von Erwin Komenda spurlos verschwunden, sondern es tauchte plötzlich auch das Testament auf, dessen Authentizität die Hinterbliebenen massiv anzweifeln.

Fest steht: Der in der Steiermark in Österreich geborene Erwin Franz Komenda war seit 1931 bis zu seinem Tod 35 Jahre lang als Chefkonstrukteur bei Porsche für die Karosserieentwicklung zuständig und hat in dieser Funktion für sämtliche von Porsche präsentierten Automobile das Design geschaffen. Iris Steineck unterstreicht: „Die Entwicklung der weltberühmten ´Porsche-Linie´ ist sein Werk: Erwin Komenda hat die legendäre Porsche-DNA geschaffen, die sich wie ein roter Faden über den Volkswagen, die Porsche-Sportwagen bis hin zum VW-New-Beetle nachzeichnen lässt. Dieser Tradition folgend hat er auch das Porsche-Wappen entwickelt. Die Behauptung, dieses sei von Ferry Porsche während eines New York Besuchs in einem Restaurant auf eine Serviette gezeichnet worden, ist nachweislich genauso falsch wie das angebliche Design des VW-Käfer, 356er und des 911er durch die Porsches.“

„Ich habe die Person Komenda verehrt“

Für dieses schwere Geschütz, das Iris Steineck gegen Porsche aufgefahren hat, greift sie auf prominente Zeugen zurück – nicht zuletzt auf Ferry Porsches Grabrede für Erwin Komenda, in der es wortwörtlich heißt: „Als unser Chefkonstrukteur für die Karosserieentwicklung verantwortlich, will ich nur die markantesten Entwicklungen, an denen sein schöpferischer Geist maßgebend beteiligt war, erwähnen: der Auto Union Rennwagen, der Volkswagen, die Kriegswagen, der CIS-Italia Rennwagen, der Porschewagen, welcher in Gmünd entwickelt wurde, Porsche Typ 356. (…) Ich habe die Person Komenda verehrt. Ich und meine Familie werden ihm immer ein ehrendes Angedenken bewahren.“ Und in der Porsche-Zeitschrift „Christophorus“ (Nr. 83, November 1966) heißt es in einem Artikel „Zum Tod von Erwin Komenda“ wortwörtlich: „Die Linie des Porsche war im wesentlichen sein Werk. Sein Ideenreichtum und seine Erfindungen haben eine ganze Generation von Automobilbauern beeinflusst.“ Auch von Porsche-Enkel Ferdinand Piëch lässt sich in einem „Zeit“-Interview ein eindeutiges Zitat finden: Als einen der Schlüsselmitarbeiter seines Großvaters Ferdinand Porsche bezeichnete er „Erwin Komenda, der für den Käfer, den 356er und den 911er Porsche die Karosserie konstruierte“.

Eine klare Sache also, sagt Iris Steineck, die im übrigen darauf verweist, dass Ferry Porsche nach Abbruch seiner Lehre bei Bosch von Erwin Komenda in der Designabteilung ausgebildet worden sei. Genauso wie viele Jahre später dann Ferrys Sohn Ferdinand Alexander Porsche („Butzi“), der zuvor sein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm abgebrochen hatte – und mittlerweile vom Unternehmen als der Designer des 911 gefeiert wird. Dagegen führt die Komenda-Enkelin aktuelle Automobilexperten ins Feld. Beispielsweise den international renommierten Autor Karl Ludvigsen, der in seinem neuesten Buch darlegt, dass dank der von Komenda entwickelten Linie für den 356 auch die Form des 911 entstanden sei. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter: Die eigentliche Geburt der Porsche-DNA, an der sich seitdem das gesamte Porsche-Design ausrichte, sei von Komenda bereits in den späten Dreißiger Jahren realisiert worden: Erwin Komenda, Urheber der Porsche-DNA.

Voll und ganz auf derselben Linie argumentiert auch Freeman Thomas, der Designer des VW New Beetle. Er belegt nicht nur, dass es „Butzi“ Porsche ohne die Mithilfe und die Teamleitung von Erwin Komenda niemals gelungen wäre, die Form des 911 zu entwickeln – so sehr sich sein Vater Ferry Porsche auch gewünscht habe, dem Junior die volle Urheberschaft zuzuschustern. Selbst seine eigenen Inspirationen seien nur durch Komendas Arbeit möglich geworden: „Auch der New Beetle ist Teil dieser Porsche DNA die von Komenda geschaffen worden ist“, sagt Thomas.

Iris Steineck hat Hausverbot

Umso befremdlicher, so Karl Ludvigsen, sei daher die Tatsache, dass man Komenda aus den entscheidenden Fotos schlicht herausgeschnitten habe: so auch aus einer historischen Aufnahme, die Ferdinand Porsche, Ferry Porsche und Erwin Komenda vor einem der ersten in Gmünd/Kärnten gebauten Modelle des Typs 356 zeigt. Ein beschnittenes Foto, das in Porsche-Publikationen ständig abgedruckt wird und das auch im Museum in Zuffenhausen stolz gezeigt wird. Im Bild sind nur die beiden Porsches, von Komenda ist nur ein winziger Mantelzipfel zu sehen. Dass die Enkelin, genau wie ihre Mutter, bei einem Besuch in Zuffenhausen aus allen Wolken fiel, als sie das zurecht geschnittene Foto erblickte, das plötzlich die alleinige Urheberschaft von Ferry Porsche am 356 belegen sollte, mag da niemanden mehr verwundern. Und dass sie auf ihren spontanen Protest hin im Jahr 2001 gleich mit einem Hausverbot für das Porsche-Archiv in Zuffenhausen und das Entwicklungszentrum in Weissach belegt wurde, spricht Bände.

Dagegen will Iris Steineck in ihrem Schreiben an Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche und Uwe Hück, den Betriebsratsvorsitzenden („der sich auch um die Urheber-Interessen der Arbeitnehmer kümmern muss“), nun massiv vorgehen. So fordert sie eine sofortige Aufhebung des Zutrittsverbots, sowie die offizielle Anerkennung der Designerleistungen Komendas sowohl in internationalen Pressemitteilungen wie auch in den Darstellungen des Museums. Allerdings kontert die Porsche-Pressestelle auf Nachfrage der Stuttgarter Zeitung ihre leidenschaftliche Initiative gelassen: „Ja, klar“, sagt ein Sprecher, „Erwin Komenda hat hier gearbeitet. Er ist Angestellter von Porsche gewesen, wie viele andere auch. Das haben wir ja auch nie verschwiegen. Aber das mit den Patenten sehen wir ganz anders.“ Das bringt Iris Steineck nun umso mehr in Wallung. Keinesfalls lässt sie den Kommentar von Porsche-Archivar Dieter Landenberger gelten, der anmerkt, Komenda sei zwar ein wichtiger Mitarbeiter gewesen, „wie übrigens viele andere auch“ – und es sei „Unsinn, zu behaupten, Komenda habe das Porsche-Logo und die Linie des 911er hervorgebracht“. Man solle „mit den alten Geschichten“ endlich Ruhe geben.

Die Enkelin verweist auf das Urheberrecht

Aus dieser Ruhe wird freilich so rasch nichts werden, weil die Komenda-Enkelin sich von dieser „Mauertaktik“ nicht beirren lassen möchte, sondern nun erst recht vehement auf eine offizielle Antwort von Porsche und auf eine Entschuldigung für die ihrer Ansicht nach bewusst herbeigeführten Falschdarstellungen pocht. Demnächst will sie sogar mit weiteren Erkenntnissen nachlegen. Wer wie Porsche eine „wissentliche Verletzung des Urheberrechts begeht, indem Porsche die geistige Urheberschaft Komendas beim Volkswagen und beim 356 verschweigt und diese wahrheitswidrig Ferdinand Porsche beziehungsweise Ferry Porsche zuschreibt, handelt schuldhaft und ist laut deutschem Urheberrecht zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.“ Sie bezieht sich dabei auf den entsprechenden Paragrafen im Urheberrecht, das den persönlichen Schöpfer eines Werkes als Urheber definiert und schützt. Und zwar bis 70 Jahre nach dessen Tod. Das wäre dann im Jahr 2036. Mindestens so lange wird die Enkelin nicht mehr locker lassen – „es sei denn, Porsche hat endlich ein Einsehen und erweist meinem Großvater jenes ehrende Angedenken, das Erwin Komenda schon immer verdient gehabt hätte!“