Hans Holbein unterm Mikroskop: zur Großen Landesausstellung in der Staatsgalerie wird seine "Graue Passion" aufwendig restauriert.

Stuttgart - Ein Pünktchen auf dem gläsernen Objektträger, so winzig, dass man es mit bloßem Auge kaum erkennen kann: eine Farbschichtprobe aus einer der zwölf Tafeln der "Grauen Passion" von Hans Holbein d. Ä., erklärt die Restauratorin Stephanie Dietz. Unter dem Mikroskop verwandelt sich das Pünktchen in einen Streifen aus leuchtenden Blautönen, die man einem als grau betitelten Bildzyklus gar nicht zutrauen würde.

"Keine einzige dieser Farbschichten ist echt", sagt die Restauratorin dazu. Das leuchtende Kobaltblau habe es zu Holbeins Zeiten überhaupt noch nicht gegeben, das sei eindeutig eine Schicht des zwanzigsten Jahrhunderts, und auch die anderen Farben seien viel zu gleichmäßig und zu fein in ihrer Körnung, um dem spätgotischen Meister zugeordnet werden zu können. Es muss sich also, so nimmt Stephanie Dietz an, um eine kleine Fehlstelle auf dem Gemälde gehandelt haben, die Jahrhunderte nach Holbein von fremder Hand ausgeglichen wurde. Dagegen das Pünktchen, das einer der Fackeln auf der "Gefangennahme Christi" entnommen wurde: in der mikroskopischen Vergrößerung zeigt es sich als dottergelbes, grobkörniges Pigment und wird von den Experten als "original Holbein" eingestuft.

Millimeterarbeit mit Wattestäbchen


Seit 2008 arbeiten Restauratoren unter der Leitung von Henning Antzen in der Stuttgarter Staatsgalerie an der eingehenden Untersuchung und Restaurierung der "Grauen Passion". Anfangs zu zweit, mittlerweile sind sieben Spezialisten damit beschäftigt, die Schäden zu erfassen, nachträglich aufgebrachte Farbschichten millimeterweise mit lösungsmittelgetränkten Wattestäbchen abzutragen, abgeblätterte Farbe zu ergänzen und die Bildtafeln für die Große Landesausstellung vorzubereiten, die Ende des Jahres Holbeins "Graue Passion in ihrer Zeit" präsentieren soll.

"Eine große Sache für die Staatsgalerie", sagt der Chef Sean Rainbird. Das gilt sowohl für Holbein selbst als auch die zur Ausstellung zu erwartenden Werke der Crème de la Crème der altdeutschen Kunst wie Martin Schongauer, Hans Memling, Hans Baldung Grien und Matthias Grünewald aus Basel, Dresden, London, Madrid, New York und München, unter denen die "Grüne Passion" von Albrecht Dürer aus der Wiener Albertina die spektakulärste sein wird. Verliehen wird diese ohnehin kaum mehr, und selbst in ihrem Stammhaus nur alle fünfundzwanzig Jahre aus der Schublade geholt. Die acht Blätter der Zeichnungsfolge sind so ungemein fragil und empfindlich, dass sie nicht einmal für die gesamte Dauer der Stuttgarter Schau exponiert werden dürfen, sondern nur in zwei Portionen von je vier Blättern. Wer alle sehen will, muss folglich mindestens zweimal kommen.

Die phänomenale Neuerwerbung


Superlative birgt aber auch die Holbein-Passion reichlich. Erworben wurde der Zyklus, ein Hauptwerk der altdeutschen Kunst, vor sieben Jahren aus dem Kunstbesitz des Donaueschinger Hauses Fürstenberg. Aus eigenen Mitteln hätte die Staatsgalerie die 13 Millionen Euro für den Ankauf freilich niemals aufbringen können. Möglich wurde der Ankauf durch eine großangelegte Spendenaktion, zu der neben der Landesregierung, der Kulturstiftung der Länder, dem Verein der Freunde der Staatsgalerie, der Landesbank Baden-Württemberg und Firmen wie Daimler und Bosch auch private Förderer beitrugen, voran der Unternehmer Reinhold Würth.

Allzu lange konnten Besucher des Museums sich an der phänomenalen Neuerwerbung jedoch nicht erfreuen, denn mit dem Umbau der Staatsgalerie und der dadurch bedingten Schließung des Altbaus verschwanden die Holbein-Tafeln in der Werkstatt der Restauratoren, die inzwischen den Raum über dem Foyer im Barth'schen Trakt bezogen haben. 400.000 Euro kostet diese bisher umfangreichste Restaurierungskampagne in der Geschichte der Staatsgalerie, bereitgestellt unter anderem aus einem Sonderzuschuss des Landes.

Wer nun aber erwartet, dass sich durch die Reinigung der Bildtafeln ein spektakulärer Vorher-Nachher-Unterschied ergibt- nach Art von Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle -, dürfte ein wenig enttäuscht sein. Denn man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass da ein Ärmel vom Firnis der Jahrhunderte befreit wurde, dort der Hintergrund wieder in dem tiefdunklen Türkis glimmt, der typisch ist für die Augsburger Schule, der Holbein angehörte. Insgesamt sechzig Proben haben Antzen und seine Kollegen den Bildern entnommen und sind dabei auf ganz unterschiedliche Erhaltungszustände gestoßen. In relativ guter Verfassung war etwa die Tafel "Christus am Ölberg", in schlechter dagegen die "Kreuzabnahme". Auf einigen Gemälden prangen vorläufig noch deutlich sichtbare weiße Kittflecken, die bis zur Ausstellung noch bearbeitet werden müssen.