Die Stuttgarter Staatstheater starten in die neue Saison. Das Publikum ist gespannt auf drei neue Intendanten und einen frischen Generalmusikdirektor. Doch auf allem lastet ein Thema: Die dringend nötige Sanierung des Opernhauses bleibt ungewiss. Warum kommt die Politik nicht zu Potte?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Das Faszinierende am Theater ist, wie zuverlässig sein Zauber funktioniert. Man konnte es in dieser Woche in Stuttgart beim Ballett beobachten und erleben, wo es zum Auftakt der Saison die bewährte Reihe „Blick hinter die Kulissen“ gab: Gerade noch sprach der neue Intendant Tamas Detrich ein paar launige Sätze zur Begrüßung – und schon ist die klitzekleine Bühne voller Tänzer, es wird gereckt und gedehnt, gesprungen und gehoben. Der Zuschauer darf eine Probe beobachten – und ist bereits nach wenigen Augenblicken so gefangen vom Geschehen, dass diese Probe beinahe schon so aufregend ist wie eine fertige Aufführung.

 

Theaterkunst mit all ihrem Zauber – Stuttgart kann sich freuen, dass seine Staatstheater diese seit vielen Jahren auf hohem bis höchstem Niveau auf die Bühne bringen. In diesem Herbst ist bei den Zuschauern die Spannung auf die kommende Saison besonders groß, denn gleich drei neue Intendanten und ein Generalmusikdirektor nehmen ihre Arbeit auf: eben Tamas Detrich im Ballett, Viktor Schoner in der Oper, Burkhard C. Kosminski im Schauspiel und Cornelius Meister beim Staatsorchester. Mit einem Eröffnungsfest am Sonntag will das Quartett gemeinsam mit dem Geschäftsführenden Intendanten Marc-Oliver Hendriks das Publikum willkommen heißen.

Übrigens: Vor und hinter den Kulissen sind hier über 1300 Mitarbeiter tätig. Die Staatstheater sind ein ziemlich großer mittelständischer Betrieb; abgesehen von den Künstlern arbeiten hier versierte Techniker, Handwerker, Gestalter, Organisatoren und Serviceexperten. Wer mag, kann die Theater auch sehen als breit aufgestelltes öffentliches Dienstleistungsunternehmen, das mit seinem Angebot pro Jahr weit über 400 000 Bürger erreicht und so zum Rang Stuttgarts als Kulturmetropole wesentlich beiträgt.

Die Task Force ist unterwegs

Die Aufgabe der neuen Intendanten ist es, dieses Angebot, also den Theaterzauber für die nächsten fünf Spielzeiten zu sichern, denn so lang läuft erst einmal ihr Vertrag. Man darf hoffen, dass dies ihnen gelingt. Die Aufgabe ihrer Auftraggeber, also von Stadt und Land, ist es dagegen, die Theaterzukunft weit über diese fünf Spielzeiten hinaus zu sichern, indem sie eine dringend nötige Sanierung des Opernhauses ermöglichen und den technischen Betrieb auf einen zeitgemäßen Stand bringen. Aber zum Beginn der Spielzeit muss man ernsthaft besorgt sein, ob die Verantwortlichen im Rathaus und im Ministerium, im Gemeinderat und im Landtag an dieser Aufgabe womöglich scheitern. Seit rund sechs Jahren wird an der Vorbereitung (!) der Theatersanierung politisch herumgeprökelt. Außer warmen Willensworten ist aber nichts beschlossene Sache. Und ein realer Baubeginn noch nicht mal in Sicht.

Wie bekannt, mühen sich die Zuständigen gerade immer noch mit der Suche – nein, nicht etwa nach einem überzeugenden Gesamtplan für ein Opernhaus der Zukunft, sondern erst mal nur nach einer Interimsspielstätte für Oper und Ballett in der Sanierungszeit. Die drei Standorte, die der Oberbürgermeister Fritz Kuhn vor zwei Jahren selbst eingebracht hat, sind auch dank seiner Hilfe inzwischen alle Makulatur. Seitdem hält eine Task-Force im Rathaus Ausschau nach freien Gebäuden oder zumindest Grundstücken. Es heißt, man will noch in diesem Herbst die Vorschläge präsentieren. Was dann passieren wird? Wir tippen mal auf eine weitere mindestens einjährige Überprüfungsphase.

Der Wort „Interim“ ist trügerisch

Derweil verlängern die Experten in ihren Planspielen die voraussichtlich nötige Aufenthaltsdauer von Oper und Ballett in einem solchen Interim, so wie einst Hofrat Behrens die Liegekurzeit für Hans Castorp auf dem Zauberberg: Ganz früh war mal von zwei, dann von drei Spielzeiten im Ausweichquartier die Rede; inzwischen scheinen fünf Spielzeiten selbstverständlich. Seit Rückkehr aus den Ferien hört man aber auch plötzlich die Zahl sieben; und aus den Baubehörden gibt es Ermahnungen, „nur zur Sicherheit“ solle man sich auch von einer Zehn nicht überraschen lassen.

Damit ist zumindest eines völlig klar: Das Wort „Interim“ ist eigentlich trügerisch. Hier geht es nicht mehr um Provisorien, sondern um eine belastbare Zwischenlösung. Zwei der drei Staatstheater-Sparten brauchen eine sichere Perspektive, wo und wie sie über, sagen wir mal, fünf bis sieben Jahre ihren künstlerischen Rang halten und den weit über 400 000 alljährlichen Zuschauern in Stadt und Region ein attraktives Angebot machen können.

Manchmal müssen Theater von einem Tag zum nächsten schließen

Wer die entsprechenden Einblicke hat, kann über die Produktivität und Effizienz der Staatstheater, die seit Jahr und Tag über all die baulichen und technischen Miseren hinweghelfen, nur staunen. Man wünschte sich, allein aus Respekt vor dieser Leistung (und vor dem Interesse des Publikums natürlich) würde die politische Seite ihrerseits an Produktivität und Effizienz mal etwas zulegen. Wenn dies nicht geschieht, droht womöglich irgendwann am Eckensee ein technischer oder arbeitsrechtlicher K. o. In anderen Städten (Augsburg!) ist dies genau so geschehen.

Wie bekommt man es hin, zum Auftakt einer neuen Theatersaison dem Publikum nicht übertriebene Sorgen zu bereiten, andererseits aber auch die drängende Lage nicht zu verharmlosen? Wahrscheinlich nur, indem man beide Seiten der Medaille sieht: Die Kreativität des Theaters kann geradezu Berge versetzen. Auch das ist Teil seines Zaubers. Politik dagegen muss zweifellos mit Sorgfalt handeln. Aber über Jahre hinweg nicht zu handeln macht einen Sanierungsbau ganz sicher nicht besser.